Folge 4 Sturm und Schein Man hört eine belebte Gaststube beim Frühstück. Gabeln kratzen über Teller, Brot wird geschnitten, eine Pfanne zischt, Kaffee/Tee wird eingegossen. Man plaudert über den Tag. August (mit vollem Mund) Endlich hat sich die Nummer mit den Kuhbeinen ausgezahlt! (schluckt) Ich hatte noch wochenlang Albträume!(nimmt noch einen Bissen) Aber das Frühstück mhm, das macht alles wieder wett. Alexander Schön, dass es dir schmeckt kleiner Bruder. Aber friss nicht unser ganzes Geld auf. Ich brauch noch einiges, um gleich das Dampfschiff nach Wismar zu chartern.(schlürft Kaffee) August (schluckt) Was wollen wir denn in Wismar? Alexander Ich hatte dir doch schon von dem Großfürsten von Mecklenburg-Schwerin erzählt? Wir wollen mit Salomon Heines Empfehlungsschreiben bei ihm vorstellig werden. In Schwerin. August(mit vollem Mund) Aber Schwerin ist doch nicht Wismar! Alexander Wann genau bist du nochmal von der Schule gegangen? Wismar ist der nächste Hafen bei Schwerin. August Ah, verstehe! (nörgelig) Aber können wir nicht wieder mit der Kutsche fahren? Alexander Natürlich können wir. Aber das wird uns eine Woche und vier, vielleicht fünf mal Zoll kosten und wir werden wieder von einem Schlagloch ins nächste geschüttelt… ne ne. Mit dem Schiff zahlen wir nur einmal und sind morgen früh da! August Na dann… gibst du mir noch mal eine Scheibe von dem Schwarzbrot da vorne… INTRO Hafensoundscape - Möwen, schlagende Tonnen, Wellen, geschäftiges Treiben… Alexander mit Gehstock unterwegs. Der Rudermann zieht an einer Pfeiffe. Alexander Aha, Guten Morgen! Sie müssen der Herr sein, von dem uns unser Gastwirt berichtete? Der, der uns zu unserem Schiff bringen kann? Rudermann Ja Moin. Ja kann schon sein. Sie sind dann der Verrückte, den ich bei dem Wetter zum Dampfschiff der Linie Kiel-Wismar hinausfahren soll? Der Rudermann klopft währenddessen die Pfeiffe aus. Alexander Wetter? Es herrscht doch wunderbarer Sonnenschein. Und ich habe der Dampfschiffgesellschaft schon kabeln lassen! Sie müssen uns einfach rausfahren. Rudermann Ja wenn sie meinen. Aber wenn das Wetter umschlägt, dann drehen wir um! Alexander Nun da verlasse mich natürlich ganz auf Ihre Expertise. Rudermann Ja was auch immer. Wenns unbedingt sein muss, seien Sie mit ihrem Gepäck in einer halben Stunde dort am Pier. Alexander Sehr wohl, der Herr. Alexander mit Gehstock ab. Rudermann(brummelt in seinen Bart) Sonnenschein, Sonnenschein, ich riech den Regen wohl! und mein Knie sacht mir auch dass der Sturm kommt… Das Möwenkreischen wird lauter und die Wellen deutlicher zu hören. Vielleicht grummelt gaaaanz subtil ein Gewitter los. Am Pier. Die Tonnen und das Wasser sind lauter. Im Hintergrund werden mehrere Mannschaften zur Eile angehalten. „die Ware noch unter Deck bringen” oder „alles festmachen”. Man hört August und den Rudermann stöhnen. Während die beiden die schweren Koffer und Kisten des Herrn Alexander einladen. Alexander Aufpassen! August du weißt, dass meine elektrischen Maschine wirklich empfindlich sind. Die sind alle aus Glas! Schepperndes Absetzen von Holz auf dem Ruderboot. Alexander Nicht so schwungvoll! August Hömma! Du kannst lieber mal helfen Fritz! Alexander Alexander. Wie OFT noch? August (weinerlich) Warum tu ich mir das überhaupt an. Du hast gesagt ich würd dein Bühnendiener und lerne die Tricks, nicht der Packesel… Alexander Nun August das Eine gehört nunmal zum Anderen! Aufpassen, da ist doch DER Eimer drin… August Ja, ja … Wie konntest du nur auf die Idee kommen, ein Boot sei eine gute Idee? Alles schwankt und kippt und da vorne, da sehe ich schon dunkle Wolken aufziehen. Rudermann Aye. Wir müssen uns beeilen, wenn wir noch vor dem Sturm an der Boje sein wollen. Alexander Na dann, zugepackt! Alexander hebt stöhnend irgendeine Kiste hoch. August Na endlich! Komm, reich sie mir rüber! Alexander Hier. Fadeout ins weitere Stöhnen und Hafengeräusche. Knappe Musik, dann schwappendes Meer, regelmäßige Ruderschläge und eine einsame Möwe. August kotzt. Rudermann (lacht) Landratten Alexander August, nun reiß dich zusammen! Wie soll das denn erst auf der Überfahrt in die neue Welt werden… August Nichts neue Welt! Festes Land! (bricht wieder) Alexander Da sind wir wochenlang auf See… August Nie wieder … (hustet) … lass uns in Russland auftreten, da kann man wenigstens hinlaufen. Alexander August, nur in Amerika wird man reich und berühmt! Aber bis dahin musst du echt noch lernen, den Schein zu wahren. August (fängt sich langsam) Wenns mir schlecht geht geht's mir schlecht! Da wahre ich gar nichts. Alexander (kommt langsam in den Dozentenmodus) Der Schein ist das Wichtigste kleiner Bruder! Den Schein zu wahren kann dir das Leben retten! August Nicht noch eine von deinen Belehrungen … ich kotze doch schon… Alexander Das ist keine Belehrung, das ist eine lehrreiche Geschichte. Und es geht um gefährliche Diebe! Rudermann Oh, gutem Seemannsgarn kann ich nicht widerstehen! Alexander So ist es! Und glauben Sie mir, das hat sich alles so ereignet: Rudermann Warten Sie, zu einer guten Geschichte gehört immer eine gute Pfeife. Der Rudermann stopft sich die Pfeife und entzündet sie. Rudert wieder los. Rudermann (zieht, dann durch die Zähne) So, jetzt kann es losgehen. August (stöhnt und spuckt aus. Atmet hörbar und angestrengt) Na gut… Alexander (erzählt unter Anmerkungen und Nachfragen von August und Rudermann) Nun einige Zeit, nachdem ich von Münster fortgegangen war … Das müsste so auf Höhe von Mühlhausen gewesen sein. Nun dort musste ich mich am Posthof bei einigen Personen nach dem Weg erkundigen. Als ich mich so umhörte trat ein etwas, zugegeben verkommen aussehendes Subjekt an mich heran. Rudermann Verkommenes was? Alexander Subjekt, also ein Kerl… Rudermann Ah Alexander Dieser Kerl meinte dass er mir, wenn ich es wünsche, den Weg zu zeigen gedenke. Aber er belehrte mich auch, dass es weit sei und wir lieber eine Droschke nehmen sollten. Nun erfreut über die Auskunft übergab ich meinen Koffer dem Mann. Und der versprach, mich zu den Fuhrleuten zu geleiten. Soweit so gut, dachte ich mir. Auf dem Weg kamen wir am Fenster des Postbüros vorbei. Und in dem Moment, man glaubt es kaum, klopfte der Beamte an das Fenster und winkte mir, hineinzukommen. August Was wollte der denn? Alexander Warts ab! Der Postbeamte empfing mich mit den Worten (verstellt die Stimme) „Junger Mann, nehmen Sie sich in Acht. Sie haben ihre Koffer dem größten Gauner und Dieb der Umgebung anvertraut”. Rudermann Oha… Alexander Allerdings, guter Mann! Ich war natürlich erschrocken. Dankbar für die freundliche Warnung eilte ich zurück auf die Straße. Glücklicherweise wartete der verdächtige Kerl noch ruhig an der Ecke. Rudermann Glück gehabt, wa? Alexander Bisher! Wir setzten unseren Weg also fort. Dann aber blieb ich plötzlich stehen und ich tat als denke ich laut nach. Ich sagte, dass ich im Passagierzimmer der Post ein geladenes Terzerol - Also ihr müsst wissen, Revolver waren noch nicht so an der Tagesordnung damals - Also den hatte ich da in der Post, im Passagierzimmer liegen lassen. August Du hast ne Pistole erfunden? Und sowas billiges hält Gauner fern? Alexander Jetzt lass mich doch mal zu Ende erzählen! Rudermann Genau Junge, lass ihn erzählen! Alexander Vielen Dank, der Herr. Ich sagte ihm also, er möge hier auf mich warten, bis ich meine Pistole geholt hätte. - Und jetzt kommts, August pass auf! Also, nachdem ich wenige Schritte zurückgelegt hatte, machte ich eine Handbewegung nach hinten, an die Rocktasche. - so ungefähr - Alexander steht im Boot auf und tappt sich auf die Jacke. Alexander Was hast du denn? August (übergibt sich beinahe und hustet) Nicht so viel bewegen! Alexander Ach, reiß dich zusammen! Alexander setzt sich wieder. Alexander Ich kehrte wieder um und bemerkte scheinbar erleichtert, dass ich trotz meiner Zerstreutheit das Terzerol wohl doch eingesteckt hätte. Rudermann Ja und was hat der Bandit gesagt? Alexander Ja was wohl? Mein Begleiter hingegen verzog keine Miene! Aber er sagte, dass die Gegend hier so sicher sei, dass es niemandem einfalle, eine Schusswaffe mitzunehmen. Rudermann Kalte Schnauze hatter, muss man ihm lassen… Alexander Na ganz wie man's nimmt! Als wir dann nämlich am Wirtshaus eintrafen, bestand ich darauf, dem Wirt persönlich meinen Koffer zu übergeben. Ich nahm das Gepäck also wieder an mich. Und kaum, sie werden es nicht glauben, hatten wir die Gaststube betreten, war mein eifriger, zugegeben zwielichtiger Kofferträger plötzlich verschwunden. Rudermann Haha, da hatter Schiss bekommen! Alexander So muss es sein, Haha! Der Geselle hatte offenbar die Absicht gehabt, mich um mein Hab und Gut zu bringen! Tja und das wäre ihm auch wahrscheinlich gelungen, wenn nicht ein warnender Engel in Gestalt eines freundlichen Postbeamten sich meiner angenommen hätte. Und wenn ich nicht den Schwindel mit dem Revolver ohne zu zögern genutzt hätte. Rudermann Haha, sehr gute Geschichte. Alexander Siehst du August, man muss nur den Schein aufrecht erhalten, dann ists egal, wer man ist. Rudermann So meine Herren, jetzt is aber genug gesponnen. Ich rate dringend zur Rückkehr! Alexander Äh Rückkehr, aber warum? Rudermann Schauen sie sich um! Dort hinten ist die Sturmwand zu sehen! Es ist höchste Zeit umzukehren, wenn es überhaupt noch möglich ist. August Waaas? Hilfe!!!!! Der Sturm!! Alexander Also gut, kehren sie um. Rudermann Na, wenn das nicht schon zu spät ist. Musik. Der Sturm ist hörbar stark, Donner grollt in der Ferne. Aber noch ist die volle Stärke nicht erreicht. August Fritz, ich hab Angst! Alexander Ach, das bisschen Wind. So rudert ihr doch ein bisschen schneller, dann sind wir bald wieder an Land. Rudermann (keuchend und wütend) Jahaa … die Wellen sind schon viel zu stark. Wir haben zu lange gewartet. Alexander August pass doch auf, da vorne die Kiste ist nicht richtig vertäut. (Welle Platscht gegen das Boot, Alexander stolpert) Donnerwetter! August, halt dich gut fest, da vorne, wickel dir das Seil um den Arm - dass du mir ja keinen Abgang machst, Junge! Rudermann Sie auch! Passen sie bloß auf! August Oh dieses Schaukeln. August übergibt sich schon wieder. Alexander (stößt auf) Langsam verstehe ich was du meinst kleiner Bruder. Rudermann (geht im Donnern unter) Nicht an dem Seil, sie lösen die Knoten! Der Sturm ist jetzt vollends da. Alexander August! Pass auf, meine Truhe! August Ja, hab sie! Alexander Wo bleibt denn das Dampfschiff? Rudermann Das wird bei dem Sturm nicht kommen, die haben Mühe, ihren Kurs zu halten! Alexander Tja dann hängt alles an Ihnen, guter Mann! Rudermann Ich tu was ich kann… August Da, da kommt das Dampfschiff! Alexander Ha, die Rettung! Rudermann Nehmt die Seile! Ihr müsst uns gleich festmachen! August Das schaukelt aber auch ganz schön! Rudermann Nicht gucken, zupacken! Wird von einer Welle unterbrochen, die über das Boot geht. Alexander Das Schiff!!! He, hiergeblieben! August Sie können doch nicht einfach abdrehen! Rudermann Sie müssen, die See ist zu schwer! Wir würden am Schiff zerschellen. August Und was ist mit uns? Alexander Ja dann fahren wir zurück an Land, würde ich sagen! Rudermann Wir versuchen es. An die Eimer, bevor das Boot ganz vollgelaufen ist! Man hört die beiden mit den Eimern Wasser aus dem Boot schöpfen. Alexander August, die Elektrisiermaschine! Halt sie doch auf verdammt! Holz schabt über Holz, dann ein lautes Platschen August Ich komm nicht ran! Rudermann Wir haben Schlagseite! Schmeiß die Kisten auch noch raus! Alexander Aber, die guten Gedichte! August (drückt schon hörbar gegen die Kiste, gepresst) Komm, hilf mir schon! Alexander Ja doch! Gemeinsam schieben sie die Kiste über Bord, man hört das Platschen und ihr Stöhnen. Rudermann Besser, jetzt wieder an die Eimer! Weiteres Brausen des Sturms, schöpfen der Eimer evtl Musik. Auf jeden Fall muss das ganze einen Übergang und das Vergehen von Zeit darstellen. August Oh Gott! Alexander (erleichtert) Ich glaub ich seh da hinten die Küste! August Ohhh endlich! Das Boot knirscht auf dem Sand. Alle drei springen heraus und ziehen es weiter auf den Strand. Rudermann Gott sei Dank, wir sind an Land. Alexander (seufzt) August, besorgst du uns einen Handkarren? August Was? Wie denn das? Alexander Jetz hab dich nicht so! Da ist die Straße und da hinten das Licht, dass kann eigentlich nur ne Postkutsche sein. August Aber wie? Wir sind hier irgendwo vor Neustadt und dein Geld ist gerade mit der Elektrisiermaschine über Bord gegangen! Wir haben doch nichts! Alexander Alles wird gut. Ich habe doch noch meinen Revolver! (klopft sich auf die leere Tasche) Die Kutsche kommt näher. Alexander Halt! Pferde kommen wiehernd zum Stehen. Alexander Kutscher, laden sie meine Koffer auf. Ich bin Gesandter des dänischen Königs! Ich muss zum Großfürsten! Rudermann Das glaubt mir zuhause doch keiner!