Gesellschaft und Lifestyle / Interview

„Man kann gar nicht pessimistisch sein“ – Ein Interview mit der Gründerin von Refined Bohemia (Teil 2)

Sonst wäre die Welt unglaublich langweilig
| Robin Thier |

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Patricia Lager

Jessica Schäfer gründete im vergangenen Herbst ihr Unternehmen „Refined Bohemia“. Wir haben uns mit ihr über ihren Onlineshop, das Gründen und alles was dazugehört, unterhalten. Dies ist Teil 2 des Interviews, im ersten Teil berichtete sie von ihrer Grüdung und dem Weg zum eigenen Unternehmen. Hier geht’s zum ersten Teil.

Findest du, dass persönlicher Kontakt zu Kunden besonders wichtig ist?

Auf jeden Fall. Das versuche ich auch auf meinem Instagram-Account umzusetzen. Da lade ich nicht einfach nur das Bild hoch, sondern erzähle immer eine kleine Geschichte dazu. Das Persönliche ist gerade in diesem Bereich essenziell. Auch, wenn die Boutique-Besitzerin von mir erzählt, dann sind die Menschen immer ganz begeistert, wenn sie erfahren, dass ein Mädel aus der Region den Schmuck gebastelt hat – und meistens kaufen sie die Dinge dann eher. Kommunikation mit den Menschen und das Beantworten von Fragen ist ein immens wichtiger Teil des Kundenservice.

Ein kleiner thematischer Sprung: Die Seite ist auf Englisch, warum?

Eigentlich ist die Webseite sogar zweisprachig: Deutsch und Englisch. Das Englische daher, dass ich mich am internationalen Markt orientiere – der Firmenname ist schon auf Englisch. Gerade Instagram ist eine internationale Community, in der ich natürlich jeden ansprechen möchte.
Aber wer kein Englisch spricht, findet trotzdem einen Mehrwert. Alles Informative und Rechtliche ist in deutscher Sprache gehalten. Texte, die die Stimmung und das Lebensgefühl, das hinter Refined Bohemia steht einfangen sollen, sind oft auf Englsich. Die meisten Leute, die bei mir einkaufen kommen aber ganz gut mit beiden Sprachen klar und sind erstaunlich belesen.

Hast du eine Zielgruppe?

Ich biete zwar zwei Männerarmbänder an und habe vor das noch auszuweiten, aber vor allem richte ich mich an Frauen im Alter von 18 bis 35 (natürlich gibt es Streuung nach oben und unten). Wobei die älteren Kundinnen häufiger die schlichteren Schmuckstücke kaufen und die jüngeren Mädels sich daran orientieren, was gerade angesagt ist. Exklusivität spielt natürlich eine große Rolle: Die Kundinnen entscheiden sich bewusst dafür, in meinem Onlineshop nach Schmuckstücken zu schauen, weil sie etwas Besonderes tragen möchten. Auch das Handgemachte wird da noch sehr geschätzt, also, dass ich alles selbst gefertigt habe und alles von Hand abläuft und nicht vom Fließband. Seien es das Produkt, seine Darstellung oder die Verpackung: Persönlichkeit und Qualität stehen für mich im Mittelpunkt der einzelnen Arbeitsschritte.

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Wenn man in den Einzelhandel schaut, wo es ja vielleicht weniger maschinell zugeht und das Handgemachte noch mehr im Mittelpunkt steht, siehst du da einen Vorteil?

Es gibt da einen Spruch, den ich sehr wichtig finde: „If you buy from a small business, an actual person does a little happy dance.“ Wenn kleine Firmen nicht unterstützt werden, können sie sich auf dem Markt nicht mehr halten und verschwinden einfach. Und dann gibt es nur noch die ganzen Großkonzerne und in der Folge sterben die vielfältigen Kleinanbieter aus und die Welt wird unglaublich langweilig. Daher sollte man darauf bedacht sein, dass man, wenn einem etwas gefällt und auch wenn es ein paar Euro teurer ist, bei einem kleineren Anbieter kauft.

Und es freut mich immer wieder, wenn Bekannte und Kundinnen genau diese Sicht auf die Dinge mit mir teilen. Ich habe eine wirklich tolle und aktive Community, was das angeht.

Machst du alles allein oder holst du dir Hilfe?

Die Schmuckstücke und etliches, was sonst noch so dazugehört, setze ich alleine um, beispielsweise Fotos und Videos. Wenn ich selbst abgebildet bin, wird das Ganze natürlich etwas schwieriger. Anfangs habe ich dann noch mit Selbstauslöser fotografiert, aber da ich viele Fotografinnen und Kreative über die Zeit kennengelernt habe, arbeite ich diesbezüglich immer öfter an Kooperationen: Der eine stellt das Kleid, der nächste zeichnet etwas oder macht die Deko und ich bin für den Schmuck zuständig. Davon haben am Ende alle etwas: Die Fotografin wird bei uns allen auf den Seiten erwähnt und wir haben die schönen Fotos von unseren Produkten. Wichtig ist, dass die Kooperationspartner sich vom Stil her so ergänzen, dass ein stimmiges Gesamtbild entsteht.

Was war Refined Bohemia für dich am Anfang? Schon mehr als ein Hobby?

Als GründerIn würde man lügen, wenn man sagt, man mache das einfach nur zum Spaß. Man glaubt ja an sich und daran, dass man die Fähigkeiten hat und dass aus der Sache etwas Großes werden könnte, dass es vielleicht sogar klappen könnte.

Also hast du einen Businessplan gebastelt?

Das war erstmal gar nicht nötig, ich bin ja mit sehr kleinen Stückzahlen gestartet. Das heißt die Ausgaben waren überschaubar. Es ist kein Projekt, bei dem ich am Anfang super viel investieren musste, um ein Produkt zu entwickeln, sondern ich konnte das Ganze gut, günstig und risikoarm realisieren. Zu Beginn habe ich natürlich kleinere Fehler gemacht, aber das ist wohl normal und kein Hals und Beinbruch. Aber jetzt bin ich schlauer und kann solche Dinge in Zukunft vermeiden.

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Was treibt dich an?

Was treibt mich denn an? Gute Frage. Ich will’s schaffen. Fotos waren für mich schon immer ein wichtiger Faktor im Leben und nun kann ich diese Leidenschaft gut kanalisieren und für mein Herzensprojekt anwenden. Ich möchte selbstgesetzte Ziele verwirklichen. Meistens sind das kleinere Ziele, wie etwa die eigene Brautkollektion. Wenn so ein Traum zur Realität wird, dann ist das eine großartige Sache. Solche kleinen Ziele habe ich viele und setze mir jetzt schon wieder die nächsten.
Das tollste Gefühl ist aber, wenn ich Feedback und Fotos zugesendet bekomme, auf denen Mädchen und Frauen meine Schmuckstücke tragen, weil es ihnen am Herzen liegt.

Ein optimistischer Blick nach vorn: Was wird die Zukunft bringen? Was sollte man nicht aus den Augen verlieren als GründerIn?

Naja, das kann man schlecht sagen, man muss einfach beharrlich weiterarbeiten und darf sich nicht unterkriegen lassen. Natürlich gibt es Momente, die nicht so schön sind. Zum Beispiel lebt die Firma davon, dass ich kreativ bin, aber was passiert, wenn ich krank bin oder einen kreativen Hänger habe? Für diese Fälle versuche ich vorzuarbeiten, um dem vorzubeugen. Es gibt keinen Stillstand und kein Ende und vieles ergibt sich erst im Laufe der Zeit und indem man die Dinge anpackt. Viele Menschen lerne ich auf diesem Weg kennen, Menschen, die ich nicht mehr missen möchte. Da kann man gar nicht pessimistisch sein.

„Wahrscheinlich werden wir nicht scheitern. Vielleicht werden wir auf dem Weg eine Kreuzung finden und einen anderen Weg einschlagen. All das was wir erlernen und an Erfahrung gewinnen ist nicht umsonst. Das Wissen haben wir – für immer. „

Man darf nur nicht aus den Augen verlieren, dass man ja auch noch sein normales Leben führt. Als StudentIn bedeutet es, dass man trotz all der schönen Erfahrungen im eigenen Unternehmen versuchen sollte, die Uni regelmäßig zu besuchen und das Studium nicht zu vernachlässigen. Die Uni ermöglicht einem unglaublich viel, vom Semesterticket, über das günstige Mensen bis zum Gründerbüro. Es ist ja kein Problem, wenn man deshalb mal Fotos zu spät online gestellt oder bearbeitet hat. Lasst euch nicht von Facebook oder Instagram diktieren, wie euer Tag abläuft. Euer Leben und die Uni sind auch wichtig. *lacht* tolles Schlusswort, oder?

Eine letzte Frage noch: Was würdest du jungen Menschen und vor allem jungen GründerInnen mit auf dem Lebensweg geben?

Scheut euch nicht, eure Ideen auszuprobieren. Wenn du eine Idee hast, musst du versuchen diese umzusetzen, denn sonst wirst du dich ewig fragen „was wäre passiert, wenn ich es versucht hätte?“. Natürlich bedeutet das mehr Aufwand und vielleicht müsst ihr über den eigenen Schatten springen. Aber haltet daran fest, denn ich denke, wenn du selbst daran glaubst, kann es nur gut werden! Natürlich müsst ihr abwägen: Wenn ihr super viel finanzieren müsst, gibt es mehr Hürden, aber wenn sich die Idee mit relativ geringen Einsätzen realisieren lässt, dann traut euch!
Wir sind Studierende oder erst wenige Jahre im Beruf und haben weder Kinder noch Verantwortung für ein Haus o.ä, das heißt wenn ihr Gründen wollt, dann ist das jetzt eure Zeit!

Vielen Dank für das Interview und noch viel Erfolg mit Refined Bohemia!

Titelbild: Patricia Lager

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