Kino & Serie / Kultur und Medien
Serien-Tipp: The Night of
Die Wahrheit einer Nacht
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Während die ganze Welt im Game-of-Thrones-Fieber ist und gebannt nach neuen Folgen giert, ist mir eine deutlich unbekanntere Serie aus dem Hause HBO über den Weg gelaufen und hat mich wirklich gefesselt: The Night of.
Machtspiele
Alles beginnt ganz harmlos. Der College-Student Nasir wird zu einer Party eingeladen und stibitzt dafür das Taxi seines Vaters, um ans andere Ende von New York zu kommen. Zufällig trifft er dort eine geheimnisvolle junge Frau, die beiden kommen sich näher, nehmen gemeinsam Drogen, haben Sex. Wenig später wacht Nasir in der Küche auf. Schock: Die junge Frau liegt auf grausame Weise getötet im Bett und es beginnt eine Reihe von Ereignissen, in der die Wahrheit zweitrangig wird und große Machtspiele auf den Schultern kleiner Leute ausgetragen werden.
Die Serie geht in vielerlei Hinsicht andere Wege. Nach der kurzen Beschreibung oben würde man eine Krimi-Serie oder vielleicht einen Thriller erwarten, in dem die Polizei den wahren Killer fassen wird. Doch falsch gedacht. Bei „The Night of“ handelt es sich um ein Drama, das sehr ruhig die Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der scheinbar unschuldig einem korrupten System ausgesetzt wird, in dem andere über ihn entscheiden und richten und in dem er nur mitspielen kann, um am Leben zu bleiben. Der Thrill fehlt jedoch nicht, denn so ruhig die Bilder auch sein mögen, man fiebert mit den abgehalfterten Charakteren wie dem erfolglosen Anwalt, dem Polizisten kurz vorm Ruhestand oder den verzweifelten Eltern mit und gerade der Schrecken der Serie wird oft nicht gezeigt: Weder der Mord, noch Szenen, in denen Menschen zusammengeschlagen werden, sind direkt zu sehen. Stattdessen erkundet die Kamera Details wie die dreckigen Scheiben einer Gefängniszelle oder einen tropfenden Wasserhahn. Eine Bildsprache der Einsamkeit und Leere bestimmt die Serie. Für einen fröhlichen Abend taugt sie bestimmt nicht. Wer aber ein feinsinniges Charakterportrait erleben möchte und eine verwobene Story, in der alles klar zu sein scheint und in der sich doch immer wieder Wendungen auftun, dem sei sie ans Herz gelegt.
Schuldig oder nicht?
Die Darsteller sind allesamt genial gewählt. Riz Ahmed, der schon im Film Nightcrawler und zuletzt in Star Wars: Roque One brillierte, nimmt man sowohl den unschuldigen College-Studenten ab, wie auch den zunehmend vielschichtigen Charakter, der im Gefängnis vor harte Entscheidungen gestellt wird und dem man einen Mord mit der Zeit immer mehr zutraut. Gerade diese Wandlungen der Charaktere machen das Ganze sehenswert. Eine zweite Figur, die ebenso interessant ist, stellt der Anwalt dar. John Turturro spielt unglaublich gut und man fragt sich: Ist dieser Mann, der unter einer schlimmen Hautkrankheit leidet, nur auf das Geld aus, das ihm der Prozess bringt, oder möchte er wirklich helfen? Steckt doch mehr in ihm?
Wortkarge Figuren und starke Bilder
Dreckig, realistisch und schonungslos. So präsentiert sich die Serie und der ganze Look greift das auf. Selten sind helle Bilder dabei, stattdessen erblicken wir karge Gefängniswände, Neonröhren-Atmosphäre und dunkle Gassen. Optisch erinnert „The Night of“ an eine Mischung aus „House of Cards“ und einem beliebigen Film von David Fincher. Besonders gelungen ist mal wieder das Intro, aber das wundert mich nicht, waren auch schon der Vorspann von Game of Thrones oder True Detective der Wahnsinn.
„Die Wahrheit ist mir egal, denn sie hilft nicht.“ Der Ratschlag des Anwalts fasst zusammen, was die Serie aussagen möchte: Ist man einmal Spielball des Systems, kommt man nicht mehr allein heraus. Kameraaufzeichnungen, Spuren am Tatort, die Mordwaffe, alle Beweise sprechen für Nasir, aber hat er den Mord begangen? War er es?
Nach all dem Lob bleibt ein fader Beigeschmack: So steril und seelenlos die Aufnahmen auch sind, so verhalten sich viele der Figuren. Selten kommt es zu Gefühlsausbrüchen, stattdessen lässt sich niemand so recht in die Karten blicken. Das führt jedoch dazu, dass meiner Meinung nach die Figuren alle zu wenig Emotionen zeigen und man etwa den Eltern des Angeklagten ihre Reaktionen nicht immer abnimmt. Auch Nasir reagiert vor allem zu Beginn sehr ruhig auf alles, was um ihn herum passiert. Von Aufregung keine Spur. Das passt natürlich zur Bildsprache und sorgt nur noch mehr dafür, dass man sich unwohl fühlt und gleichzeitig auf ein frühes Ende hofft, jedoch auch immer mehr über die Personen erfahren will. Ein innerer Konflikt, der gewissermaßen die Geschehnisse der Serie widerspiegelt.
Fazit
Man muss sich auf die Serie einlassen. Hätte ich einen Actionthriller erwartet, wäre ich sicher enttäuscht gewesen. Erwartet man aber ein verworrenes Charakterportrait, das über lange Strecken von tollen Schauspielern durch eine finstere Story getragen wird, dann wird man durchaus Gefallen an der Serie finden.
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Robin Thier
Gründer von seitenwaelzer, lebt in Münster und beschäftigt sich in seiner freien Zeit mit Bildbearbeitung, Webseitengestaltung, Filmdrehs oder dem Schreiben von Artikeln. Kurz: Pixelschubser.
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