Gesellschaft und Lifestyle / Musik

Dunkle Seitenwaelzer: Der Metaller als Randgruppe

Warum tragen die alle schwarz?
| Michael Cremann |

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Das "First World Metal Problems" Meme mit der Beschriftung: Went to train station / Old lady tried to Exorcise meMeme by imgflip.com/memegenerator

Jeder von euch kennt folgendes Szenario, entweder weil er es selbst erlebt hat, oder, weil er es schon mit ansehen durfte:

Eine Person, ganz in schwarz, mit “gruseligem” Motiv auf dem Shirt, langen Haaren und sehr großen, sehr festen Schuhen steht grimmig schauend mit Stöpseln in den Ohren an der Bushaltestelle und lauscht dem, was seine Außenwelt nur als Rauschen wahrnimmt. Eine Oma oder ein Opa kommt vorbei und schaut die Person an, abschätzig, verachtend. Wenn man Glück hat kommt es sogar zum Gespräch:

“Wissen Sie was Sie da tragen?”

“Ja, das neue Shirt von Arch Enemy, geil oder?”

“Das ist abstoßend”

“Jaha” *grins*

Opa verärgert grummelnd ab

Warum aber freuen sich Metaller so sehr, wenn sie angeschaut, gemustert, angefeindet werden? Warum grenzen sie sich bewusst mit Hilfe von Kleidung und auch Verhalten aus? Man könnte natürlich sagen, dass auch HipHop-Hörende das Merchandise ihrer Künstler tragen und dass der Metal einfach die böseren Shirts und Pullis bereithält, doch das wäre weit von der Motivation entfernt, die viele – offensichtliche – Metaller antreibt. Man könnte jetzt groß und breit auf die Geschichte des Metals eingehen, auf die Rebellion des Rock, auf die man noch einen drauf setzen wollte, auf Judas Priest und die Einführung von Leder und Nieten. Aufs Kirchen-anzünden und immer noch einen Schritt weiter gehen, aber auch auf Kommerzialisierung und Metallica bei H&M.  Doch wichtiger scheint mir hier die innere Einstellung der Leute heute.

Mir persönlich geben diese bösen Klamotten mehrere Dinge. Neben der offensichtlichen Möglichkeit, “seine” Bands zu unterstützen, anderen – meist Metallern – vorzustellen und dabei auch noch gut auszusehen, provozieren die Shirts und Pullis Menschen zu lustigen Reaktionen. Den Dialog von oben habe ich in den letzten acht Jahren bestimmt schon zwanzig mal geführt, Lehrer haben mich nach meiner Gesinnung und geistigen Gesundheit gefragt und kleine Mädchen haben mit offenem Mund meine Shirts angestarrt. Alles Dinge, die mich ungemein belustigen. Mein Äußeres hält viele allzu aufdringliche Menschen davon ab, mich zu nerven. Besonders die Zeugen Jehovas, die in Münster an jeder Ecke herumlungern, tun es meistens dem kleinen Mädchen nach und starren mit offenem Mund. Böses auftreten und fieses Rauschen aus den Kopfhörern verstecken den lieben – meist zu lieben – Kern, der in den meisten Metallern steckt.

Weiterhin befreit mich dieser uniforme Kleidungsstil des Metal – Dunkler Sack, irgend ne Hose, Arschtreterboots – von den Schwankungen der Mode: von hautengen Oberteilen und Longshirts in denen ich, der ich nun mal nicht aussehe wie Alice Cooper in seinen besten Tagen, sondern mehr wie Till Lindemann nach reichlichem Essen, sowieso nur lächerlich wirke. Auch der Damenwelt sind Top und Kutte durchaus anzuempfehlen, wenn sie nicht aussehen möchte, wie alle anderen dort draußen. Wichtig dabei ist allerdings zu hören was man trägt. Nichts ist schlimmer, als auf sein Shirt angesprochen zu werden und dann antworten zu müssen “Slayer? Ist das nicht ’ne Eigenmarke von H&M”. Sowas wird mit Metallisierung nicht unter zehn Konzerten bestraft! Denn mit dem Outfit zeigt man sich einem elitären Kreis von Jüngern der “richtigen” Musik zugehörig. Man bekommt schnell ein Gruppengefühl: wenn man jemand anderen im dunklen Sack sieht, mustert man sich anerkennend, schaut, ob man die Band kennt, für die der andere gerade Werbung macht und kommt manchmal sogar ins Gespräch.

Gerade dieses “Wir-Gefühl” ist es, das die Metaller zu so einer starken Abgrenzung antreibt und sie ihre Ausgrenzung eher begrüßen lässt. Die Einigkeit und Trveness der Metaller wird oft besungen. Der Bezug zur Gruppe macht Festivals und Konzerte zu so unvergleichlichen Erlebnissen. Er sorgt dafür, dass es Metaller jeden Alters, Geschlechts und jeder Herkunft wunderbar miteinander aushalten. Dafür, dass man auch mal nachts nach einem Konzert von wildfremden Leuten nach Hause gebracht wird und dass selbst ein Rollstuhlfahrer Crowdsurfen kann, wenn er will. Jeder, der die Musik hört und sich selbst als Metaller fühlt, wird bei “uns” willkommen sein.

Und an alle anderen: Wenn ihr einen Metaller seht, denkt nicht nur an seine raue Schale, darunter verbirgt sich ein weicher Kern, der einfach nicht gestört werden will.

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Michael Cremann

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