Allgemein / Gesellschaft und Lifestyle

Die bessere Yoga-Lehrerin – in den eigenen vier Wänden

Fitnesscenter, Turnhallen und Yogastudios sind aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen und Online-Sportkurse boomen. Doch ich liege lieber auf dem Sofa, statt […]
| Barbara Bong |

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Alexy Almond | Pexels

Fitnesscenter, Turnhallen und Yogastudios sind aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen und Online-Sportkurse boomen. Doch ich liege lieber auf dem Sofa, statt davor zu schwitzen. Dennoch hat mir die Yoga-Praxis im Wohnzimmer mehr beigebracht als meine Yoga‑Lehrerin in zwei Jahren. Sogar meine Einstellung zu dem Sport hat sich gewandelt.

Zerkratzter Holzboden, gedämpftes Licht. Ein Spiegel erstreckt sich über die Längsseite des Raumes. Auf dem Boden liegen 15 hellblaue Matten. Eine befindet sich vor den anderen, parallel zum Spiegel. Hierauf sitzt die Lehrerin im Schneidersitz. Gerader Rücken, ein entspannter Gesichtsausdruck. Die anderen Matten sind von den Yogaschülern besetzt – hier zeigen sich krumme Rücken und angespannte Gesichter. So sah mein Mittwochabend monatelang aus. Dann kam Corona. Und das Sportcenter wurde geschlossen.

Yoga ist eine indische philosophische Lehre, bestehend aus Meditation, Askese und körperlichen Übungen. Neben dieser Definition nennt der Duden noch eine zweite Bedeutung:  Übungen, von der Lehre gelöst, um Körperbeherrschung und Entspannung zu trainieren. Viele westliche Kulturen konzentrieren sich auf diese körperliche Praxis. Diese soll die Muskeln stärken oder durch Atemübungen und Dehnungen entspannen. Und dafür sorgen die verschiedensten Arten von Yoga. Es gibt dynamische Stile, wie Vinyasa-Flow. Im Hatha-Yoga stehen Meditation und Atmung im Vordergrund und beim Aerial-Yoga werden die Übungen mit einem Akrobatiktuch ausgeführt, das von der Decke hängt. Yoga ist ein Trend – es geht um Sport und Lifestyle. Daher gehören Yogakurse wie selbstverständlich in den Stundenplan von Sportcentern.

Der aktuelle Lockdown bringt Ängste zum Vorschein und stellt unseren Alltag auf den Kopf. Freie Zeit und Langeweile, Binge-Watching und Videokonferenzen, Homeoffice und Geldsorgen. Geschlossene Fitnessstudios und ausgefallene Sportkurse mögen vergleichsweise irrelevant erscheinen. Doch viele Menschen suchen kreative Alternativen. Fitnesslehrer zeigen Übungen für Zuhause oder streamen ihr Workout live. Auch die Trainer meines Hochschulsportcenters laden Videos hoch.

Ausreichend Möglichkeiten, um im Wohnzimmer zu trainieren. Doch – sind wir mal ehrlich – auch vor Corona war uns klar, dass wir in der eigenen Wohnung Sport treiben können. Sit‑Ups auf dem Teppich oder Trizeps‑Dips an der Couch. Seit Jahren verstauben zwei Hanteln in meinem Schrank. Wenn mir selbst keine Übungen einfallen, bringen mich Möchtegern‑Fitness-Influencer in meinen vier Wänden zum Schwitzen. Doch an meinem ersten Mittwoch ohne Yogakurs krame ich nicht nach den Hanteln und suche mir kein Yoga-Tutorial. Nein, ich bin froh, dass ich mich nach dem Tag am Schreibtisch nicht mehr zum Sport schleppen muss. Ohne schlechtes Gewissen lasse ich mich auf mein Sofa sinken und starte den Serienabend.

Meine Yogalehrerin ist toll. Eine beruhigende Stimme, trotzdem fühle ich mich nicht wie in einem Esoterikseminar. Für jede Pose, das Asana, zeigt sie Varianten – so wird es weder zu anspruchsvoll noch langweilig. Und das trotz 15 unterschiedlichen Yogaschülern, vom Sportmuffel über den Marathonläufer bis hin zur Yogaqueen. Trotzdem hat mich im Sportcenter nie der Yoga-Hype gepackt.

Auf der Matte vor mir, eine perfekt durchtrainierte Kommilitonin in knallenger Sportleggins. Der Student rechts von mir scheint eine gute Yoga‑Praxis mit wahnsinnig lautem Ausatmen zu verwechseln. Zu Beginn des Sonnengrußes beugen wir uns vor. Ich starre auf meine nackten Zehen, die nur wenige Zentimeter von meinen Augen entfernt. Warum ist mir vorher nicht aufgefallen, dass der Nagellack längst abblättert? Ob meinem Matten-Nachbarn auffällt, wie schlecht meine Pediküre ist? Chaturanga, wir sollen den Körper aus einer Brettstellung heraus langsam auf der Matte ablegen. Mir fehlt die Kraft in den Armen. Die junge Frau links neben mir grinst mich an, auch sie hat sich mit wenig Eleganz auf den Bauch fallen lassen. Beim herabschauenden Hund formt der Körper ein umgedrehtes V. Diese Haltung führt dazu, dass ich jedes Detail der gestreiften Unterhose vor mir erkenne. Hoffentlich ist meine Sportleggins blickdichter! Tief einatmen. Und langsam ausatmen. Schließlich ist Yoga entspannend.

Die Schließung der Sportanlagen trifft mich nicht hart. Ich genieße die freie Zeit am Mittwochabend. Doch schon am darauffolgenden Samstag bin ich nicht mehr so froh. Mein Rücken tut weh, meine Schultern sind verspannt. Ich schlafe schlecht. Die Tage verbringe ich vor meinem Laptop. Und die kurzen Ausflüge zum Supermarkt sorgen auch nicht für Bewegung. Ich suche mir eine Fitness-App und starte meine erste Yogapraxis vor dem Sofa. In dieser Nacht schlafe ich wunderbar.

Der Yogakurs im Sportcenter hat mir Spaß gemacht. Ein bisschen Sport, den Rücken dehnen, die Beine kräftigen – das soll gut sein. Aber einmal die Woche ist mehr als genug. Anders bei meiner Yoga-Praxis zuhause: Seit diesem ersten Tag übe ich täglich. Manchmal 10 min kurz vor dem Schlafen, manchmal eine Stunde. Wie lang und intensiv meine Praxis auch ausfällt, sie tut mir jeden Tag gut. Ich mache freiwillig Yoga, weil ich will – nicht, weil es gesund sein soll.

Ein Vorteil meines mobilen Yogastudios: Es ist immer und überall verfügbar. Bei schönem Wetter kann ich meine Matte morgens auf den Balkon legen oder eine kleine Yogastunde in der Mittagspause ist möglich. Aber das ist nicht das Wichtigste. Wenn ich allein übe, gibt es nur mich und meinen Körper. Ich bin konzentriert. Auf einmal macht das Atmen Sinn – im Yogastudio hat mich dieses Gekeuche meiner Mitmenschen verwirrt – und meine Bewegungen werden fließender. Für jede Pose nehme ich mir Zeit. Kein Spiegel und kein Trainer sagen mir, ob ich die Haltung richtig ausführe. Ich muss mich auf mein Körpergefühl verlassen.

Bei meinem individuellen Training kann ich jeden Tag entscheiden, worauf ich gerade Lust habe. Wenn ich lange am Schreibtisch saß, möchte ich meinen Rücken dehnen. Bei Angst vor der Deadline bevorzuge ich eine sanfte Praxis und fokussiere mich auf die Atmung. Ich entspanne mich und lasse Anspannungen los. Fast so, wie es mir die Instagrammer und Profi-Yogis versprochen haben.

„Yoga ist eine Reise. Führe die Übung so aus, wie es sich heute für dich gut anfühlt.“ Diese Sätze habe ich von meiner Lehrerin im Sportcenter tausendmal gehört. Trotzdem, wenn meine Nachbarin perfekt entspannt den Fuß in die Höhe gestreckt aht, während ich mühsam mein Bein ein paar Zentimeter gehoben habe, hat sich das nicht gut angefühlt. Bei manchen Yoga-Stunden habe ich kaum geschwitzt und war eher gelangweilt. Ich fragte mich, ob es nicht doch sinnvoller wäre, in der Zeit joggen zu gehen. Jetzt – nach intensiver Beschäftigung mit den Posen – verstehe ich, wie unterschiedlich jede einzelne Haltung ausgeführt werden kann. Ich beschäftige mich auf einmal mit dem Sinn der einzelnen Übungen, merke, wo ich Muskelgruppen weiter anspannen oder Gelenke entlasten muss. Achte auf meine Atmung und meine Gedanken. Und es fühlt sich wirklich gut an.

Dennoch freue ich mich auf meine „echte“ Yogalehrerin, denn die Beschäftigung mit den verschiedenen Asanas hat auch Fragen aufgeworfen, die mir die digitalen Angebote nicht beantworten. Außerdem kann ein anwesender Mensch meine Schulter zurückziehen oder mein Knie nach rechts schieben, wenn ich selbst nicht merke, wie ich gerade mein Gelenk foltere. Die anderen Yogaschüler werden mich sicher wieder nerven, mit ihren perfekt gestreckten Beinen, bunten Unterhosen, ihrem lauten Atmen. Für die Yogapraxis auf dem eigenen Balkon muss mein Nagellack nicht makellos sein. Aber mit den anderen Schülern kann ich vor der Stunde reden und lachen, wenn wir alle den Fuß nicht hinter den Kopf kriegen. Und auch das fühlt sich gut an. Aber vielleicht musste ich erst meine Yoga‑Einsamkeit genießen, um all das zu verstehen. Namaste!

P. S. Wenn ihr euch für Yoga-Forschung interessiert, schaut doch mal in das Video rein. Hier prüft Dr. Mai Thi Nguyen-Kim auf ihrem Youtube-Kanal maiLab Yoga wissenschaftlich. Mai ist Wissenschaftsjournalistin und Chemikerin. Und Chemiker*Innen sind bekanntlich großartige Menschen ;)

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Barbara Bong

Ich möchte den „Chemie-habe-ich-direkt-abgewählt-Menschen“ meine Liebe zur Chemie näher bringen. Weiterhin liebe ich Kaffee, Schokolade, Musik und natürlich das Schreiben, auch wenn ich im Hochdeutsch oft Wörter vermisse, denn nichts beschreibt einen Pfirsich passender als Plüschprumm („Plüsch-Pflaume“). Außerdem träume ich von einem blauen Hausboot und einem Miniatur-Elefanten als Haus(boot)tier.

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