Liebesgrüße aus Hanoi
Von Roller-Kamikaze und Büro-Hühnern
Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Ich bin seit gerade mal zehn Tagen in Vietnam und habe schon so viel Wunderliches und Unbekanntes zu berichten… Am anderen Ende der Welt ist es doch schon ein wenig anders. Etwas Hintergrundinfo: Ich bin hier in Hanoi zusammen mit einer Kommilitonin im Rahmen eines 10-wöchigen Praktikums in einer Reiseagentur.
Essen
Meine Freunde der Sonne, das Essen hier! Ein Fest. In den letzten Tagen war ich stets froh über den Anflug eines Hungergefühls, denn das bedeutete, dass ich noch mehr spachteln konnte.
Zum Frühstück ist es üblich, eine kräftige Suppe zu sich zu nehmen. Phở Bò ist Brühe mit Gemüse, Rindfleischscheiben und Reisnudeln.
Am Mittag wurden wir bisher häufig von unserem Chef zum Essen eingeladen. Wenn man mit mehreren Leuten zusammen speist, ist es üblich, viele Gerichte zu bestellen, sodass jeder sich selbst bedienen kann. Ein einziger Gaumenschmaus mit teilweise bekannten, teilweise völlig neuen Speisen: nem rán (Frühlingsrolle), Nem Cuon (Sommerrolle – unfrittierte Frühlingsrolle zum selbst Basteln), frittierter Reis, klebriger Reis, Krabbenpasteten, Fleischbällchen jeglicher Art und noch vieles mehr.
Zu den Speisen werden unterschiedliche Saucen gereicht: Natürlich Sojasauce mit oder ohne Wasabi, Zitronenwasseröl, Maggi, Limettensaft mit Salz und die sehr beliebte Fischsauce mit Chili. Auf dem Tisch steht zumeist noch ein Korb voll frischer Kräuter wie Minze, Koriander oder Basilikum. Diese werden entweder zu den einzelnen Gerichten hinzugefügt oder mit in die Sommerrolle gerollt, die man sich übrigens ganz nach eigenem Geschmack mit einem hauchdünnen Reispapier selbst wickelt.
Da mir drei Mal am Tag eine warme Mahlzeit zu viel ist, bin ich froh über das breite Angebot an exotischen Früchten. Bereits in der ersten Woche habe ich schon mindestens fünf Früchte ausprobiert, die es bei uns entweder überhaupt nicht oder nur aus der Dose gibt. Frische Litschis, die zur Zeit Saison haben, Rambutan – verwandt mit der Litschi, Mangostinen, Jackfrucht und Pluotpflaume. Viele weitere Früchte habe ich bereits auf dem Markt entdeckt und sie warten nur darauf, von mir probiert zu werden.
Klima
Muckelige 37°C bei einer Luftfeuchtigkeit von ca. 70%. Einmal bitte Eukalyptus-Aufguss – Danke!
Ich war nie ein Fan von Klimaanlagen, aber hier zähle ich sie zu den weltbesten Errungenschaften. Die Wohnung und das Büro, sowie alle Läden und Restaurants, sind wohltemperiert und bieten Abkühlung nach der Hitze der Straße, ohne dabei unterkühlt zu sein. Weite Wege werden auf dem Roller oder im Auto bestritten und somit verbringt man nur wenige Schritte von Büro zu Restaurant in der prallen Sonne und feuchten Schwüle. Absolut auszuhalten!
Kleidung
Ironischerweise ist meine ungewollte Blässe hier der Schönheitswunsch vieler Frauen. Was dazu führt, dass die meisten Frauen über Bluse und kurzem Rock eine leichte Jacke mit langen Ärmeln ziehen, um ja keinen Sonnenstrahl an ihre Haut kommen zu lassen. Dazu noch eine Sonnenbrille, einen Helm zum Rollerfahren und einen Mundschutz, der sowohl gegen Sonne, als auch gegen die Autoabgase schützt und et voilá, bleibt die feine Blässe erhalten.
Ansonsten ist der Kleidungsstil sehr westlich geprägt, jedoch sind regionale Einflüsse, wie die klassischen Kegelhüte der Reisbauern, noch vertreten.
Praktikum
Meine Arbeitsstelle ist eine Reiseagentur, die bisher den amerikanischen und australischen Markt mit geführten Reisen durch Indochina versorgt hat und nun auch den deutschen Markt anvisieren möchte. In den ersten zwei Wochen kümmern meine Kommilitonin und ich uns um die Übersetzung der Internetseite von Englisch auf Deutsch und überlegen uns, was deutsche Touristen für Hemmschwellen haben könnten, nach Südostasien zu reisen.
Ganz zuckersüß finde ich an dieser Firma, wie wir von den MitarbeiterInnen, aber auch von unserem Chef behandelt werden. Wir wurden gleich von zwei Leuten durch die Stadt geführt, mir wurde beigebracht, wie man Roller fährt, am Nachmittag werden wir immer zur gemeinschaftlichen Obstrunde geholt und der Chef hat uns am Wochenende zu seiner Familienfeier ans Meer mitgenommen. Wir sind total eingebunden in das Geschehen und jeder ist bemüht, uns bei all unseren Anliegen zu helfen.
Dafuq?!
9:30Uhr am Samstagmorgen: Wir sitzen auch heute im Büro und eine unserer Kolleginnen kommt herein. Vor sich trägt Sie einen Teller, gefüllt mit jeder Menge Litschies und einem gerupften, noch vollständigen Huhn. Einem HUHN? Sie zeigt es ihrem Chef, er bedankt sich und zieht sich einen Hocker vor die Wand. Er tritt auf den Hocker, lässt sich den Teller mitsamt Huhn reichen und stellt es auf einem, knapp unter der Decke angebrachten, Sideboard ab. Darauf befinden sich bereits Kunstblumen und Kerzen. Meine Kommilitonin und ich schauen uns entgeistert an. Dann schauen wir wieder das Huhn an. Natürlich fragen wir nach, wofür denn nun das Huhn auf dem Regal gut sein soll. „Das ist eine Tradition, damit das Geschäft immer gut laufen soll und viel Geld bringt.“ „Achso… Ja, dann… Ist das ja gut… Und was passiert mit dem Huhn?“ „Das essen wir später.“ Kurz blitzt eine Gedankenverbindung von rohem Hühnerfleisch und Salmonellen im Kopf auf. „Ist das Huhn bereits gekocht?“ „Ja.“ Ich bin beruhigt und wende mich wieder, immer noch leicht konsterniert, meiner Arbeit zu.
Persönliche Erfolge
Zu meiner eigenen Überraschung habe ich mir innerhalb kürzester Zeit zwei neue Fähigkeiten angeeignet. Mit Stäbchen Essen und Roller fahren.
Da man jedes Gericht hier mit Stäbchen isst und ich nicht vorhatte aus Ungeschick zu verhungern, habe ich mir genau angeschaut, wie meine vietnamesischen Kollegen ihre Esswerkzeuge meistern und kann nun selbst recht gut damit umgehen. Selbst die glitschigen Nudeln in der Suppe oder dünne Gemüsescheiben finden den Weg zu meinem Schälchen bzw. in meinen Mund. Manchmal schummle ich aber auch und führe das Schälchen näher zum Mund – völlig legitim und nicht unhöflich – oder ich nehme einen Löffel zur Hilfe.
Wie bereits erwähnt, herrschen hier gerne Temperaturen wie in einer Sauna. Aber das war nur ein Grund, warum ich bei meiner ersten Rollerfahrt geschwitzt habe. Angstschweiß spielte die weit größere Rolle.
Auf einer „wenig befahrenen“ Straße (nur ca. alle 10 Sekunden ein neues Fahrzeug), habe ich eine Einweisung bekommen und durfte zwei Mal im Kreis fahren, bevor ich mich durch die Rushhour manövriert habe, immer hinter meiner vietnamesischen Kollegin hinterher. Aber schon nach dem dritten Tag bin ich mutiger geworden, – ja, habe sogar Spaß an der Fahrt – und weiß nun jede Lücke auszunutzen. In Deutschland hätte ich vermutlich bereits 42 verschiedene Gesetze gebrochen, aber hier folge ich nur immer den anderen Rollerfahrern und die Verkehrspolizei winkt fröhlich mit ihren Stöckchen und Schildern. Der Verkehr in Hanoi ist das, was man das „Organisierte Chaos“ nennt.
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Liebe Frau Haupt! Das haben Sie wunderbar geschrieben bzw. gemacht! Bin ganz begeistert und stimme Ihren Eindrücken in allen Punkten zu. So viel Schmunzeln und Lachen beim Lesen Ihres Blogs musste ich selten. 100 Punkte!
Viele herzliche Grüße aus Hanoi – ihr „akademischer“ Betreuer, Martin Fontanari
Lieber Herr Fontanari,
Ganz vielen Dank für das große Lob! Freut mich, dass ich Sie zum schmunzeln bringen konnte.
Es ist aber auch einfach ein verrücktes Land, in dem wir uns befinden ;)
Liebe Grüße,
Amelie