Gesellschaft und Lifestyle / Meinung
Elternschaft und Rollenklischees – Die Hipsterfamilie
Wer will ich sein, wenn ich groß bin?
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Inzwischen bin ich so deutlich in den Zwanzigern angekommen, dass sich selbst wenn ich Gin kaufe, niemand mehr für meinen Personalausweis interessiert. Meine Falten sehe inzwischen nicht mehr nur ich und ich schäle mir regelmäßig ein Kilo Möhren, um es in einer selbstgekauften Frischhaltedose aufzubewahren, die ich hüte, wie meine Mutter ihre Tupperware.
Auch, wenn ich noch keinen echten Beruf ausübe und noch studiere, es rückt doch alles in greifbare Nähe. Was beruflich aus mir werden soll, weiß ich ziemlich genau und die Zeit, die ich noch an der Uni verbringe, wird vorhersehbar. Und langsam gesellen sich zu meinen beruflichen Zukunftsvorstellungen noch andere Ideen hinzu. In meiner ehemaligen Stufe werden die ersten Kinder geboren und ich überlege mir, wie Kinder in mein Leben passen könnten und welche Art von Mutter ich in ein paar Jahren sein kann.
Vielleicht werde ich später mit meinem Freund eine richtig coole Hipsterfamilie. Wir entdecken unsere Liebe für Vinyl, selbstgebrautes Kraftbier (war das jetzt schon eine Tautologie?) und Cafés mit so winzigen selbstgezimmerten Möbeln, dass gerade meine halbe Pobacke darauf Platz hat. Und unsere Kinder nehmen wir dann mit in die selbstverständlich familienfreundliche Kaffeestube mit hübschem aber unbrauchbarem Holzspielzeug in der Kinderecke. Aber wer sind diese saucoolen Hipstereltern, die durch ihre Elternschaft fast noch lässiger und hipsteriger werden, als vorher schon? Ich habe mich an eine sehr subjektive und unrecherchierte Charakterisierung gewagt.
Coole Hipstereltern leben in der schicken Altbauwohnung, in der sie als Ersties eingezogen sind und so lange ausgeharrt haben, bis auch der Langzeitstudent sein Studium abgeschlossen hat. Maia-Lisabelle wohnt jetzt im Zimmer vom Kiffer und Catherine-Fyelle teilt sich das Zimmer mit ihrem Zwillingsbruder Fiete Mats Lukas. Wahlweise könnten die Kinder auch Zuli-Fiona oder Nora-Elisé heißen. Die Kleidung für die süßen kleinen Rotznasen ist Second Hand oder von liebevoll umsorgten Alpaka-Küken, die jeden Tag ein Gedicht vorgelesen kriegen, während die Näherinnen jetzt fünf anstatt drei Cent pro Tag bezahlt bekommen und manchmal abgetragene Schuhe aus der ersten Welt geschenkt bekommen.
Natürlich dürfen Fiete-Nikolaus und Fyelle-Josephine schon mit scharfen Messern beim Kochen helfen, sie sollen ja schließlich selbstständige und eigensinnige Charaktere werden. Deshalb suchen Mami und Papi auch mit Vorliebe Bücher aus, in denen kindgerecht geflucht wird (Aa-Pups und stinkekäseblöder großer Bruder) und in denen die Kinder wild aufstampfen, wenn ihnen etwas nicht passt. Aber wenn das die eigenen lieben Kleinen in den zwei Stunden zwischen der Kita mit den extralangen Öffnungszeiten und dem Zubettgehen machen, dann schimpft die Mami schon und umarmt das Kind dabei, weil das Kind ja lernen soll, dass man es liebt, auch wenn man grade ganz wutpupsblödsauer ist.
Nach der Reflektion am Abend entschuldigt sich die Mami dann für ihr Schimpfen, in ihrem Blog. Den schreibt sie nachts um elf auf dem Tablet im Kinderbett, weil die sensiblen Seelchen bloß nicht alleine einschlafen sollen und Zubettgehzeiten sind nur was für reaktionäre Spießer, die ihre Kinder mit strengen Regeln krankmachen. Nur beim Aufstehen sechs Stunden später muss man dann hart bleiben und auch mal ein bisschen schimpfen, die Kita öffnet pünktlich und die knalldoofsuperliebe Mami braucht schließlich die Zeit zum Studieren im Unicafé.
Währenddessen sitzt der Papi in einem überklimatisierten Büro und arbeitet irgendwas, was er selbst vergessen hat, nur um zu erzählen, wie sehr er seine Arbeit liebt und um nicht zugeben zu müssen, dass er eigentlich den Master machen wollte, von dem seine heißgeliebte Freundin grade eine Auszeit macht, um sich um die Kinder zu kümmern, die den ganzen Tag in der Kita betreut sind. Mit Ausdauer widmet sie sich neben dem „Studium“ tollen DIY-Projekten extra für moderne Mamis und Papis und zieht seitdem Gemüse in einer Holzkiste auf dem Fensterbrett.
Ich bezweifle, dass ich dieses Coolnesslevel je erreichen werde. Mein grüner Daumen ist vertrocknet, Paletten gehören für mich auf einen LKW und leere Weinflaschen entsorge ich lieber, anstatt sie als Kerzenhalter zu zweckentfremden. Vielleicht werde ich ja eher eine Karrieremum oder eine rückschrittliche Spießermutti – erfahrt es in der nächsten Folge dieser Kolumne.
Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.
Unterstützen
Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.
Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:
Lese-Lust im Sommer – Empfehlungen der Redaktion
„Wenn ich’s jetzt nicht probiere, dann nie“ – Stand-Up-Comedian Luca Jonjic im Interview
Vom männlichen und weiblichen Blick – Ein Gang durch die „Nudes“-Ausstellung des LWL-Museums in Münster
Korallen, Klimawandel und Klimaangst
Tags: ArbeitenCoolElternErziehenHipsterKindKinderKlischeeRolleStudieren