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Twerken – Provozierendes Pogewackel oder ein Zeichen von Empowerment?

Ich betrete einen Raum, der schon mit lauter Musik gefüllt ist. Links und rechts von mir stehen zwei Pole Dance […]
| Laura Klöppinger |

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Jale Carina Stasiewski

Ich betrete einen Raum, der schon mit lauter Musik gefüllt ist. Links und rechts von mir stehen zwei Pole Dance Stangen – ganz vorne ein großer Spiegel. Ich befinde mich im Tanzstudio VI-Dance in Münster. Hier wird neben Pole Dance und Luftakrobatik auch Twerking angeboten, seit meine beste Freundin Jale im Oktober 2019 als Trainerin eingestellt wurde. Heute ist meine erste Probestunde. Ich lasse meinen Blick durch den Raum gleiten und sehe, wie sie mir gut gelaunt in einem knappen Tanzoutfit mit Cap zuwinkt. Ich stelle mich nach vorne in die erste Reihe und bin gespannt, was mich in den nächsten 50 Minuten erwartet. Ob ich gleich das Twerken direkt beherrsche oder mir hilflos dabei zusehen werde, wie ich versuche, mit meinem Hintern zu wackeln?

Wenn die Neugierde geweckt wird

Als ich das erste Mal Nicki Minaj oder Miley Cyrus auf YouTube twerken gesehen habe, dachte ich mir ehrlich gesagt nur: „Gott ist das ein nerviges Pogewackel –  Was wollen die denn damit erreichen?!“ Für mich war Twerking zunächst, wie für manch andere*n vielleicht auch, exzessives Hinterngewackel, das dazu dient, zu reizen und zu provozieren. Einen tieferen Sinn dahinter habe ich nicht gesehen. Dass ich selbst einmal bei einem Twerking Kurs voll guter Laune mittanzen würde, hätte ich mir damals noch nicht ausmalen können.

Das Ganze fing damit an, als meine beste Freundin sich dazu entschied, Twerk Trainerin zu werden – und damit eine der ersten wenigen in Münster. Ich wusste schon immer, dass sie eine Leidenschaft für das Tanzen hatte – besonders Hip-Hop und Bauchtanz. Der Entschluss kam dann doch etwas überraschend und erstmal konnte ich mir gar nicht so genau vorstellen, wie man so etwas überhaupt unterrichten soll. Wackelt man einfach eine knappe Stunde lang mit seinem Hintern? Als ich ihr immer mal dabei zusah, wie sie bei sich zu Hause twerkte oder sich für ihre Kurse vorbereitete, wurde ich allerdings neugierig und wollte nun doch auch einmal diesen  – mir noch befremdlichen Sport – ausprobieren und ihre Leidenschaft dafür nachvollziehen. Denn jedes Mal sagte sie mir nach ihrem Workout, wie gut es ihr danach ergehe und wie wohl sie sich in ihrem eigenen Körper fühle. Irgendwas muss ja dran sein an diesem Trend, über den man sagt, dass er das Selbstbewusstsein vieler Frauen stärke.

Die Ursprünge: Was ist Twerking?

„Was kann man sich unter Twerking überhaupt vorstellen?“, wird sich jetzt manch eine*r fragen. Beim Twerking wird in der Grundhaltung des Squads durch das Anspannen der Pomuskulatur die Hüfte schnell vor- und zurück bewegt, fast wie ein Zucken. Die Beine bleiben dabei starr – nur die Oberschenkel bewegen sich leicht mit. In einer Stunde kann man dabei (als Anfänger) schonmal um die 350 bis 480 Kilokalorien verbrennen. Trainiert wird dabei natürlich besonders die Gesäß- und Oberschenkelmuskulatur, aber auch der Core-Bereich (energy.de). Was viele nicht wissen: Der Sport hat seine Wurzeln in der westafrikanischen Kultur und hat erst im Laufe der 1990er seinen Weg in die amerikanische Hip-Hop Kultur gefunden.

Seit Beginn der 2000er wurde Twerking immer populärer, was man an unzähligen YouTube Videos von Miley und Co verfolgen konnte. Über den genauen Ursprung des Wortes ist man sich bis heute nicht einig. Eine Deutung ist, dass das Wort eine Mischung aus den Begriffen „to twist“ (drehen) oder „to twitch“ (zucken) mit dem Wort „jerk“ (ruckweise bewegen) ist. Dabei könnte die Bezeichnung „to work“ (arbeiten) womöglich Einfluss gehabt haben (lexico.com). Aufgrund des exzessiven Einsetzens des Gesäßes, wird Twerking häufig als sexualisierend und provokativ angesehen. Doch tut man der Sportart damit vielleicht unrecht?

Ein hartes Training

Wir beginnen mit einem Warm-Up, das an klassische Cardio-Warm Ups erinnert – dabei wird natürlich der Fokus auf die Pomuskulatur gesetzt. Als wir dann in das Twerk Training einsteigen, lernen wir zunächst die Grundhaltung. Wir gehen in einen Squad, bei dem man einen geraden Rücken macht und den gesamten Körper – besonders den Oberkörper – anspannt, der Bauch ist eingezogen. Schon jetzt merke ich, wie meine Beine langsam anfangen zu zittern. Nun sollen wir die Hüfte langsam vor- und zurückbewegen und dabei immer schneller werden, sodass sie irgendwann vor- und zurück schnellt. Nur die Oberschenkel bewegen sich dabei leicht mit.

Während wir im Raum die Übung immer wieder wiederholen, geht Jale rum und korrigiert unsere Haltung. Zwischendurch muss ich mich wieder normal hinstellen, da mein Körper die Grundhaltung nicht lange aushalten kann. Jale sagte mir vorab bereits, dass dies bei Anfängern völlig normal sei, da der Körper sich erst einmal an diese Haltung gewöhnen müsse.

Bei der nächsten Übung gehen wir wieder leicht in die Hocke und sollen unsere Knie abwechselnd vor- und zurück bewegen und dabei in der Grundhaltung bleiben. Schließlich sollen wir die Hüfte nach links und rechts fallen lassen – auch hier ist das Stichwort wieder „Technik“ und „Koordination“. Ich wiederhole die einzelnen Schritte in meinem Kopf: Grundhaltung, leicht in die Knie, die Knie abwechselnd nach vorne schieben – aber nicht zu stark – dann die Hüfte nach links und rechts bewegen. Mein Kopf denkt die ganze Zeit angestrengt mit. Auch hier komme ich wieder schnell ins Schwitzen und muss mich immer wieder aufrichten, um meine Beine kurz zu entspannen.

Die letzte Übung gefällt mir besonders und ich merke immer mehr, wie viel Spaß mir das Ganze macht. Wir sollen uns vorstellen, dass wir uns auf einen Barhocker setzen, indem wir unser Bein anheben. Man bleibt dann in der Position mit hochgezogenem Bein und zieht nur noch die Hüften nach oben und das immer und immer wieder. Auch diese Bewegung ist für mich erst einmal unnatürlich, aber das Bild mit dem Barhocker im Kopf hilft enorm dabei. Jeder ist auf sich konzentriert und durch die Musik und Jales motivierenden Zurufen entsteht eine unglaublich positiv aufgeladene Energie, die den ganzen Raum erfüllt. Ich merke schon nach der gesamten Zeit, dass mein Körper sich unglaublich gut anfühlt.

Dann sind die 50 Minuten auch schon vorbei und ich fühle mich verschwitzt, energiegeladen, aber unglaublich wohl in meinem Körper und habe sofort das Bedürfnis, mich auszutauschen. Verwundert war ich auch, wie schnell die 50 Minuten vergangen waren. Die meiste Zeit der Stunde bestand daraus, Techniken zu lernen, wobei man merkt: Einfach nur in die Knie gehen und mit dem Hintern wackeln funktioniert nicht. Was mir auffällt, ist, dass man am Anfang noch sehr technisch denkt und jeden einzelnen Schritt in seinem Kopf genau durchgeht. Man muss erst einmal lernen, welche Muskeln man nutzt und wie man sie bewegt und einsetzt. Erst dann kann man mit dem Vor- und Zurückschnellen der Hüfte beginnen. Ich hatte das Gefühl, dass ich meinem Körper und meinen Muskeln unglaublich viel Aufmerksamkeit geschenkt und ein besseres Körpergefühl bekommen habe.

Der Weg zur Trainerin: Einfach mal was wagen

Wie kommt man denn eigentlich darauf, Twerk Trainerin zu werden? Getanzt hat Jale schon immer gerne, besonders Hip-Hop und Bauchtanz: „Twerken konnte ich schon bevor ich wusste, was das überhaupt ist“, sagt Jale. „Ich habe mir als Teenager auf YouTube Musikvideos angesehen und nachgetanzt, zum Beispiel Anaconda von Nicki Minaj. Als ich später dann die Bezeichnung in Zusammenhang mit den Tänzen zum ersten Mal gehört habe, merkte ich ‚Oh, das mache ich ja schon die ganze Zeit‘.“

Ausschlaggebend für Jales Entscheidung die Sportart zu unterrichten, war der Workshop „Twerxout“ der Tänzerin Rimma Banina, die damit durch ganz Europa tourt: „Am Ende des Workshops kam Rimma auf mich zu und sagte mir, dass ich unglaublich gut twerken könnte und fragte mich, warum ich denn selbst keine Trainerin wäre – das hat mir natürlich noch einen Push gegeben“, erzählt sie. „Ich ließ mir die Sache durch den Kopf gehen und Monate später fragte ich einfach bei Tanzschulen an, ob sie jemanden suchen.” Jale ist froh, ihr Hobby zum Beruf gemacht zu haben: „Es ist ein super Ausgleich für alles – das fängt schon bei der Vorbereitung an.“

Body Positivity

Auch das Körpergefühl hat sich verändert: „Ich habe mich schon lange nicht mehr so fit und wohl in meinem Körper gefühlt“, sagt sie. „Ich war schon immer ein selbstbewusster Mensch. Man muss ja auch schon sagen, dass man selbstbewusst ist, wenn man Twerktrainerin wird und dann noch in einer Stadt wie Münster. Beim Twerken kann ich genau so sein, wie ich will, und es macht Spaß, mit meiner Selbstsicherheit auch Einfluss auf andere zu haben. Ich kann Selbstbewusstsein für Frauen entwickeln und einfach eine Art Body Positivity schaffen. Ich bekomme Feedback von vielen jungen Frauen, dass sie sich, seit sie twerken, selbstbewusster fühlen, vor allem mit ihrem Körper – sowas macht einen natürlich glücklich.“

Auf Kritik stößt man immer

Als Trainerin einer solchen noch nicht ganz gesellschaftlich anerkannten Sportart stößt man natürlich auch mal auf Kritiker: „Die Leute unterschätzen häufig, wie anstrengend Twerken eigentlich ist oder denken, dass nichts dahintersteckt und es keine richtige Sportart sei, sondern nur Pogewackel”, erzählt Jale. „Ich denke, bevor man urteilt, sollte man sich selbst ein Bild machen, bevor man irgendwelche Sprüche klopft.“

Twerken ist ein hartes Training, das Selbstbewusstsein für den eigenen Körper schafft. Viele Frauen (und auch Männer) tanzen es, um sich selbstbewusst und wohl in ihrem Körper zu fühlen. Ich selbst habe gemerkt, dass der beste Weg Vorurteile aus dem Weg zu räumen ist, etwas selbst auszuprobieren. Wer neugierig geworden ist, kann sich für eine Probestunde im Tanzstudio VI-Dance anmelden oder selbst nach Tanzschulen in seiner Stadt gucken.

Folgt Jale bei Instagram, wo sie regelmäßig Videos aus ihrem Kurs postet: https://www.instagram.com/jalecarina/

Tanzstudio VI-Dance: https://vi-dance.de/

Quellen:

https://www.lexico.com/definition/twerk

https://www.energy.de/national/lifestyle/kalorien-verbrennen-mit-dingen-die-spa%C3%9F-machen

https://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/twerking-ganzkoerper-workout-statt-einfach-pogewackel-a-1193530.html

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Laura Klöppinger

… liebt die englische Sprache und Kultur, weshalb sie sich auch für das Anglistik (und Germanistik) Studium entschieden hat. Wenn sie nicht gerade liest oder Musik macht, diskutiert sie gerne über Doctor Who oder die neusten Indie-Rock Alben.

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