Bildung und Karriere / Studium

Ältere Kommilitonen

Senioren an der Uni - Studium im Alter
| June Fontaine |

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

DariuszSankowski | Pixabay

Als Studentin der Geisteswissenschaften bin ich schon oft mit einer Gruppe von Studenten in Berührung gekommen, die ganz anders sind als meine sonstigen Kommilitonen. Ich rede von älteren Mitstudenten und damit meine ich nicht den ausgelernten Immobilienkaufmann, der sich mit Ende zwanzig entschließt, doch etwas anderes machen zu wollen oder die junge Mutter, die mit Anfang dreißig eine Ausbildung beginnen möchte, um für die Zukunft abgesichert zu sein. Gemeint sind hier Menschen, die ihre Ausbildung schon seit Langem absolviert haben und sogar schon aus dem Berufsleben ausgestiegen sind.

Besonders oft trifft man diese Kommilitonen in Veranstaltungen, die thematisch den Volkshochschulen ähnlich sind. In der Vorlesung über Maria Magdalena lassen sie sich über die biedere Religionstrennung im Sauerland aus, nicht weil es thematisch dazu passt, sondern weil sie das einfach beitragen möchten. Dienstags ist ein ganz besonderer Tag für die Senioren, weil da so viele Geschichtsvorlesungen stattfinden und dann auch noch so viele Gute gleichzeitig. Da müssen sie Prioritäten setzen, wie Dreizehnjährige an der Kinokasse. Sie machen es sich in der Vorlesung über Alexander den Großen mit Sitzkissen gemütlich. In der Vorlesung über den Nationalsozialismus brummen sie mürrisch auf, wenn etwas falsch wiedergegeben wird. Sie waren ja schließlich selbst dabei, fast.

Für die älteren Kommilitonen ist die Uni eine tolle Abwechslung vom Alltag und auch noch lehrreich. Außerdem können sie in den Kursen ihr gesammeltes Halb- und Viertelwissen einbringen, ganz egal, ob das grade gefragt ist, oder nicht. Die Jugend ist für sie sowieso nur faul, unmotiviert und unpolitisch. Natürlich darf man nicht alle Menschen an denjenigen messen, die sich am meisten in den Vordergrund drängen und die Idee, auch noch im Alter Neues lernen zu wollen, ist grundsätzlich toll und begrüßenswert.

Allerdings treffen mit den jungen und den alten Kommilitonen zwei Gruppen aufeinander, die sehr unterschiedlich, wenn nicht sogar komplett gegensätzlich sind. Wir jüngeren Kommilitonen sitzen zwar auch freiwillig in der Uni, aber wir brauchen diese Ausbildung für unsere Zukunft. Wir sind in erster Linie an der Uni, um etwas zu lernen und später einen Beruf in diesem Bereich zu ergreifen. Die Uni ist für uns existentiell und deshalb auch nicht immer nur schön, sondern oft auch stressig. Wir haben nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung und können nicht in allen Veranstaltungen gleich engagiert sein. Die älteren Studenten haben die Zeit und das Geld, um entspannt was zu lernen und deshalb ist es für sie auch völlig unproblematisch, den Dozenten in Diskussionen zu verwickeln, die vielleicht grade nicht so sehr zum Stoff gehören.

Auf der anderen Seite wäre ich in einigen Jahrzehnten glücklich darüber, meine Freizeit sinnvoll gestalten zu können. Ich würde später auch gerne mehr lernen und anders lernen, wenn ich dann an der Reihe bin, wenn ich genug Zeit und Geld dazu habe, um in aller Ruhe meine Erfahrungen in der Freizeitbetreuung in ein Seminar über Karl den Großen einzubringen. Die Viertelstunde, in der ich heute eventuell mal nichts über Maria Magdalena lerne, sondern über das Sauerland, wird später sicherlich meinen Unterricht nicht entscheidend verschlechtern. Die Uni ist eine große Institution, die sich dem Wissen verschrieben hat und hat doch eigentlich Platz für jeden, der lernen möchte, aus welchen Gründen das auch sein mag. Das nächste Mal, wenn also ein Kommilitone über siebzig mit einem zweiten Stuhlkissen einen Platz für die Frau Rosenstrauch freihalten möchte, die ja sonst bestimmt immer pünktlich ist, aber heute ihre Enkelin vom Kindergarten abholt, dann werde ich mich daran erinnern, dass Wissen kein Privileg für junge Menschen sein sollte.

 

Einige Gedanken über das Studieren im Alter von Frau Ingrid Brakelmann, die viele Jahre während ihres Ruhestands die Uni besuchte.

https://soundcloud.com/seitenwaelzer/ingrid-brakelmann-uber-das-studieren-im-alter

Ein Ausschnitt aus einem Interview des Projekt: MEMORIA. Moderator: Leonard Dietrich.

 


Titelbild: Symbolbild via Visualhunt

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June Fontaine

Ich heiße June, bin 22 Jahre und studiere in Essen Geschichte und Evangelische Religionslehre auf Lehramt. Neben meinem Studium entdecke ich NRW, probiere mich im Backen und schreibe für seitenwaelzer.

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