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Ist das Abitur veraltet?

Ist das Abitur überflüssig? Für viele ist es eine unmögliche Vorstellung, doch ein Leserartikel auf „Zeit online“ regt derzeit zu […]
| Robin Thier |

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Robin Thier

Ist das Abitur überflüssig?
Für viele ist es eine unmögliche Vorstellung, doch ein Leserartikel auf „Zeit online“ regt derzeit zu Diskussionen über die Abschaffung des Abiturs an. Dr. Eberhard Schallhorn, ein ehemaliger Lehrer aus Baden-Württemberg, fordert eine Abschaffung des Abiturs, da es für ihn keinen Sinn mehr mache.

In seinem Kommentar weist Schallhorn darauf hin, dass das Abitur an Stellenwert verloren habe. Während es früher eine „Ausleseprüfung“ gewesen sei, die nur die Besten bestanden hätten, bestanden, laut Angaben des statistischen Landesamtes Baden-Württemberg im Jahre 2011, 98,4% der Schüler ihre Prüfungen. Der Autor kritisiert, dass das Abitur heutzutage für möglichst viele Menschen erreichbar sein solle und, genau wie das Sitzenbleiben in den unteren Klassen, ein Durchfallen unerwünscht sei. Als Gründe dafür gibt er an, dass sie dem Bildungssystem zum einen große Kosten auflegen und zum anderen die Kritik an den Lehrplänen und der Ausbildung der Lehrer aufkomme. Früher sei eine derartige Förderung von Sozial- oder Leistungsschwächeren nicht vorgesehen gewesen.

Schallhorn gibt außerdem an, dass sich die Hochschulen beklagen würden, dass den Studienanfängern wichtige Fähigkeiten und Methoden fehlen und die Abiturnoten längst kein Maßstab mehr über die Qualitäten und Begabungen der Schüler sein würden. Daher gibt es an vielen Universitäten Zugangsprüfungen und Tests, die ermitteln sollen, ob die Schüler den Anforderungen des Studiums gewachsen sein werden.

Doch warum könne man dem Abitur nicht mehr vertrauen? Schallhorn kritisiert, dass die Abiturvorbereitung sich an den Abituraufgaben der vorherigen Jahre orientiere und nach dem Prinzip „Teaching to the test“ ablaufe, also die Schüler gezielt auf bestimmte Inhalte und Fragestellungen vorbereitet würden. Diese Methode sei jedoch, so Schallhorn, pädagogisch genauso überholt wie der Frontalunterricht. Aus diesem Punkten könne man folgern das Abitur abzuschaffen und den Abschluss der Sekundarstufe II als Maßstab für die Leistungsfähigkeit der Schüler zu nehmen. Das Abitur sei heutzutage nichts weiter als das dramatische Happy End der Oberstufe. (Quelle: Zeit online)

Ist das Abitur wirklich veraltet?

Das Thema „Abitur oder nicht“ ist sehr schwierig zu beurteilen, denn das Schulsystem in Deutschland befindet sich im Wandel. Neue pädagogische Methoden, G8 und die Abschaffung der Hauptschule sind erst Anfänge einer Veränderung, die sicher noch einige Jahre anhalten wird. Gerade darum ist das Abitur umso wichtiger. Noch immer ist das Abitur eine gewisse Hürde, die verhindern soll, dass alle Schüler auf die Universitäten strömen und dort eventuell nicht klar kommen. Doch in Zeiten von verkürzter Schulzeit ist es schwierig schon vor dem Abitur fest zu stellen, ob die Schüler am Rande ihrer Fähigkeitsgrenzen angelangt sind, oder nicht. Viele Schüler lassen sich in den Klassen 7 bis 10 hängen und bekommen erst in der elften Klasse die Einsicht, dass es plötzlich ernst wird. Fehlt diese Zeit, sind die Schüler meistens noch zu unreif um erkennen zu können, was sie wirklich zu leisten vermögen.

Auch als intellektuelle Grenze gewinnt das Abitur wieder an Wichtigkeit. Mit der Gründung einer Oberschule als Zusammenschluss von Haupt- und Realschule, von der seitenwaelzer bereits 2011 berichtete, lassen sich Schüler nur noch in zwei statt drei Leistungsklassen einordnen. Das Niveau auf den Schulen befindet sich im Sinken, da viele Kinder von ihren Eltern auf die höhere Schulform geschickt werden. Diese Empfehlungen werden inzwischen fast inflationär gebraucht und als Schüler kommt da schon ab und zu die Frage auf, wie manche Klassenkameraden es auf die Schule geschafft haben. Auch die Lehrer haben immer öfter mit schlechten Schülern und schlechten Noten zu tun. Meistens kommen dann zwei Dinge in Frage: Zum einen werden die Arbeiten und Klausuren einfacher gemacht, damit sich der Notendurchschnitt nicht zu schlecht abhebt, zum anderen werden komplizierte Förderprogramme durchgeführt, die Zeit, Personal und Geld kosten und nur die wenigstens Schüler zu einer Einsicht verleiten. Bei diesem sinkenden Bildungsniveau ist ein Absteigen der Gesellschaft in allen Bereichen schon vorprogrammiert. Die Schüler, die von den Gymnasien kommen, benötigen diese Einsicht zum Lernen. Sobald sie sie bekommen haben, wird auch nicht, wie beschrieben „für die Prüfung“ gelernt, sondern aus Interesse. Das Auswahlverfahren Abitur ist nötiger denn je.

Ein letzter Faktor bleibt jedoch aus. Schüler, die vielleicht intelligent und gut geeignet wären, können aus verschiedenen Gründen trotzdem durch das Abitur fallen, sei es aus persönlichen Gründen, aus Unterforderung oder weil sie mit dem System des „Nur für die Prüfungen lernen“ nicht klar kommen. Sie würden durch das Abitur fallen, wenn es besagte Förderungen und Vorbereitungen nicht gäbe. Leider schaffen es jedoch viele Schüler durch diese, bereitwillig verfügbare, Lücke im System zu schlüpfen und können mit wenig Mühe und unter staatlicher Förderung ihr Abitur bestehen. Das ist das wahre Problem am System. Man kann die Schüler, welche die Leistungen nicht erfüllen können nicht von denen unterscheiden, die sie aus anderen Gründen nicht erfüllen und bei denen es sinnvoll wäre, sie zu unterstützen.

Wenn kritisiert wird, dass zu viele Schüler ihr Abitur machen, dann sollte man sich ansehen, was diese Schüler im weiteren Leben leisten. Sind sie den Anforderungen einer Universität gewachsten? Selbst wenn nicht: Es soll Chancengleichheit in Deutschland gelten und bei vielen Betrieben und Jobs ist ein Abitur heutzutage Voraussetzung. Es ist nun einmal so, dass wenn alle eine bestimmte Qualifikation erwarten, es nicht daran scheitern darf, dass nur die Allerbesten sie auch erhalten, auch, wenn das natürlich wünschenswert wäre. Der Weg zum Abitur als letzte Hürde der Schulausbildung ist so lang und schwierig, dass davon ausgegangen werden kann, dass die meisten Schüler, die den Anforderungen überhaupt nicht gewachsen sind, vorher durch das Schulsystem ausgesiebt werden.

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Gründer von seitenwaelzer, lebt in Münster und beschäftigt sich in seiner freien Zeit mit Bildbearbeitung, Webseitengestaltung, Filmdrehs oder dem Schreiben von Artikeln. Kurz: Pixelschubser.

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