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Jeder Mensch ein Puzzle – Kinoreview Red Sparrow

Jeder Mensch ist ein Puzzle aus Bedürfnissen. Werde zu dem fehlenden Teil und sie sagen dir alles.
| Daniel Rublack |

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

 Zugegeben. Ich bin doch etwas erleichtert, als der Abspann zu rollen beginnt. Diese 139 Minuten Laufzeit haben sich wesentlich, wesentlich länger angefühlt. Eigentlich bleibe ich sonst noch bis zum Ende der Credits sitzen oder zu mindestens bis zum Erscheinen des Second Second Assistant Director. Doch dies ist eine andere Geschichte. Nach diesem Thriller lechzt mein Körper allerdings sofort nach frischer Luft. Draußen in der Kälte fällt mein erstes Fazit: Red Sparrow ist besser als der schlechte Ruf, welcher ihm vorauseilt. Jedoch nicht viel besser.

Geringstes Problem des Films ist sein Cast. Um es vorab zu sagen: Meine Befürchtungen in Bezug auf den permanenten, russischen Akzent sind nicht eingetreten. Nach zehn Minuten blendet der Kopf diese Tatsache einfach aus oder arrangiert sich damit. Nur selten nimmt man während des Films erneut davon Notiz. Über die Notwendigkeit des Akzents lässt sich natürlich dennoch streiten. Aber zurück zum Cast. Jennifer Lawrence als Primaballerina funktioniert. In der Rolle als Agentin überraschenderweise auch. Dies hängt jedoch auch mit der fast vollständigen Abstinenz physischer Elemente zusammen: Ja, nackt ist die Dame und geizt bei ihren Missionen nicht mit körperlichen Reizen. Nein, Kloppereien oder gar Schießerei suchen wir bei ihr – wie auch im Großteil des restlichen Films – vergeblich. Und minimalste Ausnahmen sorgen bei über zwei Stunden nach wie vor für gefühlte 0,0%. Sympathien erhält sie aufgrund ihrer extremen Leidensfähigkeit, denn es gibt wirklich derbe Szenarien zu durchleben. Ob es trotzdem immer der traurige Gesichtsausdruck sein muss, naja. Frau Lawrence war bestimmt schon einmal besser, jedoch müht sie sich nach Kräften und ihre Arbeit ist solide. Gerne würde ich mehr schreiben, aber der Hintergrund ihrer Figur beinhaltet lediglich ihre Mutter und den Traum vom Ballett. Joel Edgerton gefällt als amerikanischer Agent sehr gut. Zwar machen ihn seine Gefühle ein wenig unprofessionell, allerdings auch menschlich. Einfach ein netter Typ, welcher zu seinen Leuten hält, egal auf wessen Seite diese stehen. Matthias Schoenaerts darf als Onkel vom SWR – nicht der Rundfunksender – ran. Als Vize-Chef dieses Geheimdienstes und mit der familiären Bindung zu Lawrence steht er immer etwas im Zwischenraum. Leider ist seine Geschichte arg vorhersehbar, jedoch gefällt die kühle Überlegenheit der Performance und haucht so dem Charakter etwas Individualität ein. Jeremy Irons ist auch mit am Start, darf ein paar dramatische Sätze sagen und ein paar Abzeichen tragen. Mehr Screentime war für ihn nicht drin.

Der Film scheitert an seiner Geschichte. Genauer gesagt an deren Tempo. Sind die ersten 20 Minuten wirklich packend, fällt spätestens nach der viel zu kurz geratenen Ausbildung zur Agentin die Spannung in eine Senke. Die eigentliche Mission zieht sich arg. Gegen Ende kommen die „schockierenden“ Auflösungen dann auch wenig überraschend, immerhin nimmt der Zug aber wieder etwas Fahrt auf. Standardphrasen sind hier ärgerlicherweise treffend: nette Idee, Umsetzung naja. Das angestrebte Verwirrspiel zwischen verschiedenen Überläufern und enthaltene Twists sind stellenweise zu vorhersehbar. Schlimm ist besonders, dass Lawrence Figur schon von Beginn an probemlos ihre Position zugeordnet werden kann. So tippt jeder halbwegs intelligente Zuschauer richtig.

Doof gemeint könnten mehr Nacktheit oder mehr Action den Film ziemlich auflockern, doch der Streifen versinkt in seinen langatmigen Dialogen. Ehrlich gesagt, wirkliche Action kann ich an einer Hand abzählen. Zwar kategorisiert sich der Film als Thriller, der Trailer verspricht jedoch etwas anderes: Action ist hier eine Form von kurzen, heftigen Gewaltexplosionen. Diese sind schönerweise mit handgemachten Wunden verziert und ziemlich intensitv. Motorrad-Helm-Mann darf hier mehrfach zu Werke gehen und sorgt für zwei der besten Filmszenen. „Rotes Kleid“ und insbesondere die Foltersequenz haben es in sich. Letztere ist unangenehm anzusehen, ohne dabei viel von tatsächlichen Wunden zu zeigen. Geschickt gemacht, FSK 16 geht dafür schon in Ordnung. Hätte sich die Ausbildung daran doch nur ein Beispiel genommen. Psychologische Elemente, welche alle irgendwie mit fleischlicher Lust zu tun haben, gibt es genügend. Schusswaffentraining, Nahkampf und Co. fehlen jedoch. Und allzu detailiert sollte man dann nicht darüber nachdenken: Nach ein paar Wochen wäre ich vermutlich kein Profi-Spion, der alle Tricks kennt und auf hochrangige Ziele angesetzt wird. Lawrence schon.

Mehr von Jennifer Lawrence? Der Film „Passengers“ hat unsere Redaktion gespalten.

Bei der Wahl der Settings hat man sich weder mit Ruhm bekleckert noch schändlich versagt. Eine solide Auswahl, welche jedoch kaum ein Maß an Variation oder Abwechslung zulässt sorgt in grauem Grau für triste Farben. Insgesamt ist die Bildgestaltung von Red Sparrow ziemlich einfach gehalten, wobei ab und an kleine Tupfer wie rote Kleider herausstechen. Dem schließt sich die Kamera konsequent an. Innovation? Fehlanzeige. Allerdings bietet die Kamera einen ausreichenden Überblick vom Geschehen und scheut sich bei Gewaltmomenten nicht draufzuhalten, wobei es auch noch expliziter gehen würde. Nun gut, dass Thema Genre hatten wir schon. Positiv zu erwähnen ist auf jeden Fall der Score. Viel klassische Musik, manchmal bedrohliche Klänge, dazu eine feine Abmischung und passende Platzierung sorgen im Bereich Ton für Punkte. Abschließend sollte man noch kurz auf etwaigen Patriotismus eingehen. Amerikaner sind in diesem Film klar als die Guten und Russen als die Bösen gekennzeichnet. Eine wirkliche Ausdifferenzierung gibt es kaum, sodass dieses simple Schema ein wenig sauer aufstößt. Musste es so plump werden?

Hat mich der Streifen enttäuscht? Schwierige Frage, war meine Erwartungshaltung durch die mäßigen Kritiken ordentlich gesenkt. Eine Standardphrase ist hier erneut am treffenstden: Er hat seine Momente. Der Cast müht sich und die Musik ist wirklich aller Ehren wert, aber die Grundgeschichte hinkt und ihr Tempo ist so unkonstant, dass es stellenweise richtig zäh wird. 139 Minuten mit enormen Längen sind eben 139 Minuten mit enormen Längen. Da lässt sich nicht dran rütteln. In guter Begleitung und in lockerer Atmosphäre geht der Film passabel durch, über die komplette Spielzeit hochkonzentiret am Ball zu bleiben ist aber schon eine schmerzhafte Herausforderung. Eine Empfehlung würde ich eher weniger aussprechen. Dafür, dass Red Sparrow einen auf Major-Blockbuster macht, bietet er einfach zu wenig.

6,5/10

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Daniel Rublack

… schreibt vor allem über Filme. Arbeitet in der „Presse und Kommunikation“ und unterstützt daher mit entsprechendem Know-how.

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