Gesellschaft und Lifestyle / Kultur und Medien / Meinung

Meine Freundin, die Kneipe

Warum ich etwas gegen "Feiern gehen", Discos und Partys habe und viel lieber wie ein alter Mann in der Kneipe sitze.
| Michael Cremann |

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

andrew welch | Unsplash

“Wir müssen unbedingt mal wieder Feiern gehen!”

Dieser Spruch schallt regelmäßig durch die Flure der Uni oder erscheint ungefragt in der einen oder anderen Chatgruppe. Feiern gehen – laute “Musik”, viel Alkohol und Tanzen – alles Dinge, die ich einzeln sehr schätze, in der Gemeinschaft, in der sie beim sogenannten “Feiern” auftreten, sind sie aber für mich unmöglich auszuhalten. Die Haltung, die in der Disko an den Tag gelegt wird, ist einfach nichts für mich.

Was für mich gute Musik ist, lest ihr hier.

Das fängt schon beim “Vorsaufen” an – Vorsaufen, wenn ich das schon höre. Sich zu betrinken, UM eine bestimmte Veranstaltung auszuhalten, ist ein Konzept, das ich zwar schon oft praktiziert habe, das mir aber prinzipiell gegen den Strich geht. Wenn eine Veranstaltung so uninteressant ist, dass ich mich an den Rand der Besinnungslosigkeit bringen muss, um dort keine schlechte Laune zu bekommen, sollte ich nicht dort sein.
Das Vortrinken ist ja meist noch eine recht nette Runde, es wird gequatscht und gespielt, nur dass dann, wenn der Abend wirklich gemütlich werden könnte, wenn die Zeit kommt, in der auf WG-Sofas die wirklich denkwürdigen Dinge passieren, zum Aufbruch geblasen wird. Man erhebt sich mühsam aus seiner Sofakuhle, wirft die Jacke über und nimmt sich noch ein Fußpils. So weit so ok – draußen trinken und quatschen kann auch gut sein.

Dann wird aber angestanden – je “besser” der Laden, desto länger – bis einem der Gorilla, den der angepeilte Schuppen als Türsteher beschäftigt, zu verstehen gibt, dass man hier in den Klamotten nicht hinein kommt. Super. Also zum nächsten Laden und wieder anstehen. Das Fußpils ist schon lange leer.
Wenn man dann, nüchtern vom Anstehen, endlich in einer Disco steht, darf man sich viel zu teuer realkoholisieren, um wieder den Zustand der Toleranz gegenüber der Veranstaltung zu erreichen.
Dabei schallen einem die “geilen Tunes” eines DJ’s in die Ohren, die neben ihrer Verhinderung jeglichen Gespräches nur noch die Qualität besitzen, mich durch Vergewaltigung von Liedern aus den 80ern und 90ern zur Weißglut zu treiben! Ich meine mal ernsthaft: ACDC – Thunderstruck als “Hardstyle Remix” ist so ziemlich das sicherste Mittel, um mich auf diverse Palmen gleichzeitig zu treiben…

Natürlich wird dann “getanzt”, also gewackelt – der Terminus “Abzappeln”, den schon meine Eltern (Jahrgang 1952) für “cool” und “hip” halten, beschreibt diesen Vorgang wohl am besten. Auf einer Fläche, die sich unter den Füßen anfühlt wie getauter Schnee mit Rollsplitt, die aber in Wahrheit mit Scherben und Cocktails imprägniert wird, versucht man krampfhaft auszusehen, als ob man Spaß hat, obwohl man sich einzig und allein darauf konzentriert, diesen “Kreis” aufrecht zu erhalten, den man mit seinen Freunden bildet. Nur um nicht mit dem guten Kumpel oder der Kommilitonin Nase an Nase “tanzen” zu müssen, reibt man sein Gesäß an anderen, oft verschwitzten Gesäßen, während man die Ellbogen in den Rippen und die Füße auf den Füßen gar nicht mehr spürt.
Am Ende des Abends, wenn einen die Einsicht, die Müdigkeit oder das Personal des Etablissements zum Gehen anregen, darf man dann gleich wieder anstehen. Die Jacke muss mit: vorzugsweise die eigene, wenigstens eine, die passt. Jetzt ist man auf dem Weg nach Hause, verschwitzt – längst nicht nur mit der eigenen Feuchte -, halb betrunken – gerade so viel, dass man noch schwankt und einem morgen sicher schlecht ist, aber schon so wenig, dass man die nachdenkliche oder melancholische Phase erreicht hat – und im Zweifel noch mit der Kaline oder dem Segers im Arm, die oder den man am Anfang des Abends noch zu Recht hatte abblitzen lassen. Der nächste Morgen wird toll!

Wie gesagt, einfach nicht mein Konzept. Meine Kaline heißt Kneipe: Sitzen und Reden, dazu ein Bier, oder 14 oder vielleicht auch viel zu viel Schnapps, egal, hauptsache Ruhe ins Boot bringen.
Wie gesagt, Vortrinken ist ein tolles Konzept, man kann sich endlich mal gelockert über die wirklich wichtigen Dinge unterhalten. Wirklich meint hier natürlich peinlich und wichtig meint schmutzig, aber egal, man wird Spaß dabei haben.
Das Ganze dann noch in nettem Ambiente, in einer ranzigen Kellerbar oder diesem einen Hipsterladen, in dem die alten Sofas schon alt waren, als das Wort Hipster noch gar nicht erfunden war, so verbringe ich gerne Zeit mit meinen Freunden. Und wenn es mal wider Erwarten langweilig sein sollte, bitte ich den Wirt um Karten, um Würfel oder auch nur um Papier und Stift und bringe mit „KingsCup“, „Meier“ oder „Wer bin ich?“ Stimmung in die Runde. Glaubt mir, das funktioniert, gerade in Kneipen.

Wie „Wer bin ich?“ funktioniert, bekommt ihr in unserem Podcast beispielhaft vorgespielt!

Klar, am Ende des Abends werden einem auch Müdigkeit oder Personal in Richtung Tür bringen, wenn es schlecht läuft, kann einen sogar der eigene Pegel nach Hause treiben, aber man wird seine Jacke mitnehmen und man wird die Kaline oder den Segers wesentlich besser kennen, weil man sich einen ganzen Abend und über alle Stadien der Alkoholisierung mit ihr oder ihm unterhalten konnte.

Und wenn euch diese ganzen Herzensargumente nicht überzeugen, so tut doch wenigstens was gegen das Kneipensterben und setzt euch mal wieder an die gemütliche Holztheke. Auch wenn es nur zum Vorsaufen ist, probiert es mal aus, vielleicht versackt ihr sogar und erlebt mal das, was ich als guten Abend empfinde.

Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.

Unterstützen

Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.



Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:

Michael Cremann

Ist meist dort zu finden wo die laute Musik für andere klingt wie ein Autounfall. Wirbt Geld für den Guten Zweck ein oder gibt Führungen durch Münsters Ruine Nummer eins. Dazu wird noch getanzt und wenn dann noch Zeit ist, Geschichte und Archäologie studiert.

Fabrizio Chiagano | Unsplash

Tatsächlich gelesen: Naokos Lächeln (Haruki Murakami)

Ein Mann und eine Frau sitzen auf einem gelben Sofa und unterhalten sich.

Bookstock-Festival für alle Buchliebhaberinnen und -liebhaber

Aasee im SommerAna Soraya da Silva Lopes | seitenwaelzer.de

Neu in Münster? – Die Hotspots, die man kennen sollte

unbekannt

Tatsächlich gelesen – The Hound of the Baskervilles (Sir Arthur Conan Doyle)

Tags:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir benutzen Cookies, mit der Nutzung unserer Webseite erklärst du dich damit einverstanden. Hier gibt's weitere Infos.