Kultur und Medien / Meinung / Reportage
Willkommenskultur in Istanbul – Was wir Deutschen noch lernen können
Von den Städten, die eine Partner-Uni hatten, erschien Istanbul als exotischste Wahl, eine Metropole, die sich sowohl in Europa als auch in Asien befindet.
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Nach einem Studienjahr der Wirtschaftspsychologie in Köln stand mein Auslandssemester auf dem Plan. Wohin sollte ich gehen? Von allen Städten in Europa, die eine Partner-Universität für mich bereithielten, erschien mir Istanbul die exotischste Wahl.
Eine ~20 Millionen Metropole, die sich über den Bosporus hinweg sowohl in Europa als auch in Asien befindet. Das klang für mich nach Abenteuer!
Sprachlich versiert wie ich bin, konnte ich bisher genau 2 türkische Ausdrücke: Yalla yalla und gülle gülle. Traurig, wenn man bedenkt, dass wir 3 Millionen türkisch-stämmige Menschen unsere Mitbürger in Deutschland nennen.
Nun bin ich also in dieser gigantischen Stadt und lebe nun wieder den Zustand, den ich in den letzten Wochen so schmerzlichst vermisst habe: Jede alltägliche Handlung ist eine Herausforderung. Ob ich mit dem Bus fahren will oder Frühstück bestellen möchte. Ich kann mich (noch) nicht in der einheimischen Sprache verständigen und kenne die typischen Abläufe nicht. Ganz gleich was ich mache, ich bin ständig auf Hilfe angewiesen, weil ich ansonsten auf den Straßen herum irren oder nie die leckersten Gerichte auf der Speisekarte finden würde.
Ich hätte mir keine bessere Stadt aussuchen können, um völlig aufgeschmissen durch die Gegend zu stolpern! Denn ich kann gar nicht in Worte fassen wie hilfsbereit die Menschen in Istanbul sind. Auf keiner meiner Reisen wurde ich so herzlich und fürsorglich unterstützt. Zum Zeitpunkt zu dem ich diesen Text verfasse bin ich gerade mal 36 Stunden hier und ich wurde bereits von meinem Buddy empfangen, zum Kartenspielen sowie zum Chai Latte eingeladen, habe von einem fremden Mädchen eine Busfahrt geschenkt bekommen und ausnahmslos alle Menschen, die auch nur ein kleines bisschen Englisch konnten, haben mir geduldig den Weg erklärt. Meine Wohnungssuche ist ebenfalls schon im Gange, da hier anscheinend jeder irgendwen kennt, der gerade ein Zimmer frei hat. Es ist einfach so ein schönes Gefühl, dass jeder Mensch mit dem ich in Kontakt trete Wert darauf legt mein jeweiliges Problem zu lösen.
Als ich zum Beispiel den Shuttle meiner Universität nutzen wollte, konnte ich die Haltestelle nicht finden. Wie auch, es gibt dafür keine Beschilderung oder gar einen Fahrplanaushang. Man stellt sich einfach an die passende Stelle und wartet. Nur blöd, wenn man nicht weiß, wo man warten muss … Ich fragte also einen Mann Mitte 30 mit ordentlich gestutztem Vollbart, der eine dieser neumodischen Frisuren trug, in dem er die Haare zu einem kleinen Zopf gebunden hat, der ganz winzig ist, weil die Haare gerade lang genug sind, um überhaupt einen Zopf ergeben zu können. Er selbst wusste zwar nicht, wo der Shuttle hält, aber er fragte andere Passanten auf Türkisch, ob sie mehr Informationen wüssten. Als wir die Stelle gefunden hatten, ließ er es sich nicht nehmen bei der Agentur anzurufen und zu fragen, ob der Shuttle nach 19 Uhr noch fährt und wann der nächste kommen würde. Ich stand völlig überwältigt daneben und war sprachlos, weil ich doch nur wissen wollte, wo die Haltestelle ist.
Ich bin ganz gerührt von dieser Herzlichkeit, die mir entgegengebracht wird und finde, dass wir Deutschen uns echt eine Scheibe davon abschneiden könnten. Anfangen könnten wir zum Beispiel indem wir die Flüchtlinge aus den Grenzgebieten der Städte und Dörfer holen und sie mitten unter uns leben lassen. So wie ich nun auch mitten in Istanbul lebe und umgeben bin von Türken, die mich in ihrer Mitte willkommen heißen.
Das nenne ich eine Willkommenskultur!
Titelbild: https://www.flickr.com/photos/15853267@N00/15023085198
Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.
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