Catch Me Random: Homo Sapiens Hipster
Vom WG-Leben mit dem liebsten Hassmitbewohner und der Suche nach dem Glück.
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Es ist halb zehn. Eine Uhrzeit, die mir als Vollblutstudent nur aus Mythen und Erzählungen meiner Großeltern bekannt ist. Ich liege wach in meinem Bett und habe noch ein bisschen mit der verklatschten Müdigkeit zu tun, die einem anhaftet wie ein billiger Duschvorgang, wenn man sich die Nacht mit Blättchen, Tabak und etwas Zaubertee um die Ohren geschlagen hat.
Ich setze mich auf, höre meinen sogenannten Mitbewohner Kaffee machen, duschen – was man halt so macht, wenn man ein geisteskranker Motherfucker ist, dessen Tag stets um 7 Uhr beginnt. Ich lasse mich zurück ins Bett fallen und verfluche mich, mich auf diese nur mit Nachteilen stigmatisierte Art des Wohnens eingelassen zu haben. Man wohnt mit Menschen zusammen, die einem völlig fremd sind, man hat sie vor dem Einzug maximal zwei bis dreimal gesehen und soll
dann auf unbestimmte Zeit sämtliche Grenzen der eigenen Komfortzonen mit einem mit Nägeln besetzten Baseballschläger einreißen. Was für die meisten nach einer praktischen Möglichkeit und Gelegenheit klingt, ist für mich die Definition von Wahnsinn. Zu den schiefen Tönen meines Hassbewohners, der zu seiner billigen Scheißmucke singend unter der Dusche steht, schrecke ich aus meinem Tagtraum. Eine Welt, in der ich allein in meiner Einzimmerwohnung in Neukölln bin, Kolumne für Kolumne schreibe und mit meinem Hund eine Hartz IV Version der Carrie Bradshaw abgeben würde.
Seit kurzem bin ich nun auf der Suche nach einer eigenen Wohnung. Weg von Putzplänen, WG-Kassen und den ewigen Flecken von den an den Spiegel geflitschten Pickelinhalten meines Hassbewohners, die mir immer zu mit weicher Stimme ins Ohr säuseln: DU BIST NIE ALLEIN! Egal, welchen Raum ich betrete, alles schreit nach: SIEH HIER! DU BIST NICHT ALLEIN! NIEMALS! Ich rekapituliere, weshalb ich mich überhaupt auf diesen Hippiequatsch vom kommunenartigen Zusammenwohnen und Teilen aller Räume mit schlichtweg Fremden eingelassen habe und stelle schnell fest, dass ich einfach kein Bonzenkind bin, dass sich für 700 € kalt einen 20 qm Schuhkarton leisten kann. Natürlich könnte man sich auch im beschaulichen Spandau oder im weltoffenen Mahrzahn-Hellersdorf eine schnuckelige Wohnung suchen, aber das gehört sich für mich als zugezogener Azubi-Hipster nicht. Ich will da hin, wo alle hinwollen, wo es teuer ist und ich mich bei jeder Wohnungsbesichtigung gegen andere auf Ketamin hängengebliebene „New Age Traveler und Freethinker“ durchsetzen muss.
Diese besonderen Formen der Evolutionsstufe des Homo Sapiens Hipster sind mal mehr und mal weniger weit fortgeschritten und kennzeichnen sich durch ihren inflationären Gebrauch von Anglizismen sowie dem obligatorischen Septum, dass aus der Ferne betrachtet einem nicht richtig weggeschnäuzten Popel gleicht. In Konkurrenzsituationen krempelt der uncoole Hippie die schwarzen Ärmel des „noname“ Shirts hoch und zieht die grade geschnittene, immer unförmig aussehende farblich passende schwarze Hose noch einen Tacken höher, um seinen Artgenossen wie ein stolzer Pavian Einblick in die Intimzone zu gewähren. Der automatisch damit verbundene immer zu sehende Knöchel ist ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des neuen Geschöpfes in der Mitte der Berliner Gesellschaft. Es ist eines der wenigen Lebewesen, das Kälte an Knöchel und Knie nicht spürt. Neben dem Eisbären und dem Pinguin reiht sich der Homo Sapiens Hipster nahtlos in diese Lebensform ein. Hätte der gemeine Hipster einen Patronus…naa, vergesst das, denn alles, was es sein könnte, wäre dem hohen individuell ästhetischen Anspruch seines geschulten Auge nicht gewachsen. So wie auch die meisten der in Berlin inserierten Wohnungen.
Deshalb ist jede Besichtigung ein Schaulaufen der Hippen und Coolen, dessen Motto stets ist: Sei so individuell und ausgefallen wie möglich. Ein selbsterfüllendes Paradoxon, wenn das der Leitspruch einer ganzen Spezies ist und am Ende alle gleich aussehen. Für mich als Azubi-Hipster, der sicherlich noch eine Menge im Business zu lernen hat, gleicht dieses Motto eher dem Versuch, sich so bescheuert und unpassend wie möglich anzuziehen. Aber ich bin ja nicht Caro Daur, die Fashion Polizei. Dafür fehlt mir die Kredibilität und die abgeschlossene Ausbildung. Und so ergibt es sich, dass ich auf einer öffentlichen Wohnungsbesichtigung im angesagten Neuköllner Schillerkiez stehe, umgeben von Vollzeit Hipstern, denen der „special flow“ der Immobilie fehlt, sie nicht „edgy“ genug ist oder diese Wohnung einfach nicht zur eigenen Persönlichkeit passt. Und trotz allem bekomme ich diese Wohnung nicht, weil ich kein angesagter Modeblogger bin, der mit 3000 € netto scheinbar gerade so den Ansprüchen des Vermieters gerecht wird und fahre in meine WG zurück, lege mich zurück ins Bett und lausche weiterhin den ohrenbetäubenden Klängen meines Mitbewohners.
Dieser Text erschien zuerst in der Kolumne CATCH ME RANDOM.
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Janna Meyer
Ich bin Janna, 23, geboren in Ostfriesland, gestrandet in Berlin. Zwischen Mate und Jute spiele ich die rasende Reporterin, die sich mit den Themen der Quarterlifecrisisjägern auseinander setzt. Auf catchmerandom.de und auch für seitenwaelzer.de veröffentliche ich regelmäßig meine Beiträge für die Allgemeinheit. Nebenbei studiere ich Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der FU Berlin.
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