Bildung und Karriere / Gesellschaft und Lifestyle

Das Paradoxon Frauenquote

Eigentlich wollte ich zum Weltfrauentag einen Artikel über die Frauenquote schreiben. In meinen Kopf erstellten sich schon Pro- und Kontralisten. Aber so einfach ist das Thema dann leider nicht.
| Gina Gilsing |

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

unbekannt

Eigentlich wollte ich zum Weltfrauentag einen Artikel über die Frauenquote schreiben. In meinen Kopf erstellten sich schon Pro- und Kontralisten sowie Mindmaps von ganz alleine. Zack, wäre ein Artikel zum Tag der Frauen fertig. Aber so einfach ist es dann doch nicht gewesen. Nach einem Chat mit Isabel, ebenfalls Autorin bei seitenwaelzer, wurde mir klar, dass das Thema Frauenquote nicht so einfach abgehandelt werden kann. An dieser Stelle: Danke dir Isabel, dass du meine Blickrichtung von einfachen Vor- und Nachteilen zu mehr Weitblick gelenkt hast. Und nun folgt meine verspätete, jedoch weitsichtigere Sicht auf die Frauenquote.

Frauen sind ausdrücklich erwünscht!

„Bewerbungen von Frauen sind ausdrücklich erwünscht. Frauen werden bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt berücksichtigt, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen.“ Das steht unter den Stellenausschreibungen der WWU Münster. Dicht gefolgt von dem Hinweis, dass Menschen mit Behinderung bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt werden. Beim ersten Lesen habe ich gedacht: „Mensch, das finde ich aber klasse!“ Beim zweiten Lesen, oder als mir bei gefühlt jeder zweiten Stellenausschreibung dieser Zusatz in die Augen sprang, stieß mir das schon übel auf. Aber bevor ich anfange, diese Aussagen bis ins kleinste Detail zu analysieren und in der Luft zu zerfetzen, müssen wir uns die Entstehung und den Sinn der Frauenquote einmal genauer ansehen…

Es war einmal…

Eine Geschlechterquote ist eine Vorgabe, die festlegt, dass Frauen beziehungsweise Männer zu einem bestimmten Mindestanteil in Gremien wie Vorstand oder Aufsichtsrat von an die Quote gebundenen Unternehmen vertreten sein müssen.

https://www.diw.de/de/diw_01.c.412682.de/frauenquote.html#:~:text=Frauenquote%20(Geschlechterquote)&text=In%20Deutschland%20gilt%20seit%202016,in%20H%C3%B6he%20von%2030%20Prozent.

Aha. Geschlechterquote. Ich weiß ja nicht wie es euch geht, aber mir war dieser Begriff recht neu. Ich glaube, dass der Begriff Frauenquote in der Gesellschaft geläufiger ist. Geschlechterquote finde ich schon passender, weil diese Männer und Frauen gleichermaßen anspricht. Aber was ist mit Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen können oder wollen? Recherchieren wir weiter.

In Deutschland gilt seit 2016 für die Aufsichtsräte von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite haben gleich viele Sitze im Aufsichtsrat) Unternehmen eine verbindliche Geschlechterquote in Höhe von 30 Prozent. Sie betrifft gut 100 Unternehmen und muss im Zuge der Neubesetzung von Aufsichtsratsposten umgesetzt werden. Hat ein an die Geschlechterquote gebundenes Unternehmen weniger als 30 Prozent Frauen in seinem Kontrollgremium, muss es frei werdende Posten so lange an Frauen vergeben, bis die 30-Prozent-Marke erreicht ist. Andernfalls bliebe der Platz im Aufsichtsrat unbesetzt („leerer Stuhl“).

https://www.diw.de/de/diw_01.c.412682.de/frauenquote.html#:~:text=Frauenquote%20(Geschlechterquote)&text=In%20Deutschland%20gilt%20seit%202016,in%20H%C3%B6he%20von%2030%20Prozent.

Okay. Wieder was gelernt. Die Geschlechterquote gilt für börsennotierte und paritätisch bestimmte Unternehmen. Parität bezieht sich auf die gleichmäßige Verteilung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nicht auf die gleichmäßige Verteilung der Geschlechter in diesen Räten. Wieso also keine 50 prozentige Quote? Fragen über Fragen.

Das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen (FüPoG) verpflichtet in Deutschland außerdem etwa 3.500 börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen, sich Zielgrößen zur Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und obersten Managementebenen zu setzen. Für den Fall der Nichterfüllung sind allerdings keine Sanktionen vorgesehen, zudem ist die Zielgröße Null zulässig.

https://www.diw.de/de/diw_01.c.412682.de/frauenquote.html#:~:text=Frauenquote%20(Geschlechterquote)&text=In%20Deutschland%20gilt%20seit%202016,in%20H%C3%B6he%20von%2030%20Prozent.

Neben der Quote für Aufsichtsräte gibt es also noch eine für die Führungspositionen. An sich ein guter Gedanke. Aber was bringt diese Quote, wenn es bei Nichterfüllung keine Sanktionen gibt oder sogar Null eine Zielgröße sein kann? Ab einer gewissen Größe müssen Unternehmen 5 % ihrer Arbeitsplätze mit Menschen, die eine Behinderung haben, besetzen. Tun die Unternehmen das nicht, müssen sie eine Strafe zahlen. Wieso gibt es also keine Strafe für das nicht Erreichen der Geschlechterquote?

I´m a Boss, Bitch.

unbekannt https://colossalmedia.com/work/freeform

Vor kurzem habe ich das Buch UNTENRUM FREI von Margarete Stokowski gelesen. Ein super Buch, welches mir viele Ah- und Oh-Momente bescherte – und absolut empfehlenswert ist. Margaretes Sicht auf die Geschlechterquote (ich finde wir sollten diesen Begriff, auch wenn er nicht perfekt ist, bevorzugt nutzen) möchte ich euch nicht vorenthalten:

Frauen bekommen durch eine Frauenquote nicht einfach Stellen „wegen ihres Geschlechts“. Erst recht nicht, wenn es ein entsprechendes Gesetz gibt, das beinhaltet, dass Unternehmen ihre Quote selbst festlegen. […] Am Ende werden sie, falls sich da doch eine Frau einfindet, sagen können, sie hätten sich selbst übertroffen.
Die Quote wird oft abgelehnt mit der Begründung, es sei asozial und unmodern, wenn Menschen nur nach ihrem Geschlecht beurteilt werden und nicht nach ihrer Qualifikation. Aber genau das ist ein Argument für Quotenregelungen, denn sie alle beinhalten, dass bei gleicher Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber die Stelle solange mit Frauen besetzt werden, bis die Quote erreicht ist. Die Quote sorgt nicht dafür, das wehrlose Hausfrauen von bewaffneten Quotenkommandos vom Herd weg direkt in die Führungsetagen gezerrt werden, […] – sondern sie besagt, dass Männer kein Vorrecht mehr auf Jobs haben, die Frauen auch machen können.

UNTENRUM FREI, 2020, Margarete Stokowski

Rattenschwanz oder der Weg ist das Ziel?

Erinnert ihr euch an mein Beispiel vom Anfang? Nach diesem kleinen Exkurs fällt auf, dass die Frauenquote bzw. Geschlechterquote sich nicht auf Fachkräfte bezieht, sondern lediglich auf Aufsichtsräte und Führungspositionen. Auf Basis dessen stellt sich mir die Frage, was der Grund dafür ist, dass Unternehmen diesen Zusatz unter Stellenausschreibungen packen. Wollen sie Frauen Mut machen, sich zu bewerben oder wollen sie sich durch diesen Zusatz absichern? Wer kontrolliert, ob Frauen oder Menschen mit Behinderung bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt werden? Oder ist dieser Zusatz ein Zeichen und Ausdruck von „Hey, wir wollen euch! Meldet euch! Traut euch!“.
Die Antwort:

Frauenfördernde Hinweise in Stellenausschreibungen bleiben als positive Maßnahmen möglich, wenn in der maßgeblichen Vergleichsgruppe, in der die Stelle ausgeschrieben ist, Frauen zahlenmäßig unterrepräsentiert sind. Ferner ist zu beachten, dass die Formulierung selbst keine „starre“ Quote zum Ausdruck bringt. Unzulässig wäre daher Frauen einen absoluten Vorrang bei der Stellenvergabe einzuräumen.

https://www.dasgleichstellungswissen.de/stellenausschreibungen-und-das-allgemeine-gleichbehandlungsgesetz-(agg)-eine-checkliste-anhand-aktueller-rechtsprechung.html?src=7#:~:text=In%20Stellenausschreibungen%20des%20%C3%B6ffentlichen%20Dienstes,des%20Mitbewerbers%20liegende%20Gr%C3%BCnde%20%C3%BCberwiegen%22.

Was ist das Ziel dieser Quote? Wo soll sie uns hinführen? Fakt ist, sie ist der Beginn einer langen Reise. Alles muss irgendwann und irgendwo seinen Anfang finden und die Geschlechterquote ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Ja, sie ist noch nicht perfekt und ganz bestimmt auch mangelhaft, aber sie ebnet den Weg für alles, was kommt. Vielleicht sind wir in ein paar Jahren so weit, dass die Quote auf 50 % hochgesetzt wird, dass es einen Begriff gibt, mit dem sich auch nonbinäre-Menschen identifizieren können und ja, vielleicht ist irgendwann der Zeitpunkt gekommen, an dem wir alle gleichgestellt sind und keine Quote mehr benötigt wird. Aber bis es soweit ist, müssen wir weiter dran bleiben, an uns arbeiten und kämpfen. Die Geschlechterquote ist der erste Schritt zu einer besseren Welt und bis dahin ist jeder noch so kleine Schritt in diese Richtung ein Erfolg.

Unterstützen

Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.



Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:

Gina Gilsing

"Mischief managed" - Neben den üblichen Flugstunden und dem Brauen von Zaubertränken verbringe ich super gerne Zeit mit Freunden und liebe spontane Unternehmungen. Zaubersprüche lernte ich an der WWU Münster im Fach Kommunikationswissenschaft und schwang kurze Zeit danach den Zauberstab in der Eventbranche. Seit April 2021 arbeite ich beim Ministerium für Zauberei als Online Marketing Managerin. Ich freue mich, die Autor:innen bei ihren Artikeln unterstützen zu dürfen und die Sozialen Medien zu füttern, sodass wir viele Hauspunkte sammeln! ;)

Bild zeigt Luca auf der BühneDavid Hinkel

„Wenn ich’s jetzt nicht probiere, dann nie“ – Stand-Up-Comedian Luca Jonjic im Interview

Inga Nelges | seitenwaelzer.de

Vom männlichen und weiblichen Blick – Ein Gang durch die „Nudes“-Ausstellung des LWL-Museums in Münster

Vadim Kaipov | Unsplash

„Entmenschlicht. Warum wir Prostitution abschaffen müssen“ von Huschke Mau – Eine Buchrezension

Das Bild zeigt eine Straße auf der mit Kreide "'Mach mir ein Baby, Süße!' #stopptBelästigung @CatcallsOfBielefeld" geschrieben stehtCatcalls of Bielefeld

„Catcalls of Bielefeld“ setzt ein Zeichen gegen Catcalling – Ein Interview

Tags:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir benutzen Cookies, mit der Nutzung unserer Webseite erklärst du dich damit einverstanden. Hier gibt's weitere Infos.