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Die Hölle der Kosmetikindustrie
Kaufen Sie unser neues Duschgel! Es riecht nach Vanille, Kokos, Bratapfel, Heidelbeeren und dem Mittagessen von gestern... aber was ist eigentlich drin?
Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Kaufen Sie unser neues Duschgel! Es riecht nach Vanille, Kokos, Bratapfel, Heidelbeeren und dem Mittagessen von gestern – gleichzeitig! Mit extra Vitamin X1-12, Honig und perfekt streichzart für traumhafte Haut (Achtung, Absicht)! Dazu diese 10 zugesetzten Stoffe, die niemand aussprechen kann, die sind gut für dich! – eh, was?
Dieser Artikel soll offenlegen, welche Stoffe in unserer Kosmetik sind, die dort gar nicht reingehören, warum sie da drin sind und was sie in und an dem menschlichen Körper anrichten.
Die Kosmetikindustrie boomt im Moment mehr als je zuvor: Shampoo gibt es für jeden Haartyp, jede Haarfarbe, jede Anwendung in zig verschiedenen Düften. Duschgel zeigt einem Hauttypen, die man vorher gar nicht kannte und macht das ganze Leben besser – zumindest könnte man das den Aufdrucken entnehmen.
Aber was steckt dahinter? Wieso ist das Duschgel extra für trockene Haut? Warum riecht es nach Mango? Die wird da ja wohl kaum drin sein. Wieso sind in alltäglichen Artikel so viele Inhaltsstoffe?
Alles fing mit einer kleinen Reaktion meiner Haut an.
Nachdem ich mich eines Tages wie immer eingecremt hatte, waren meine Beine kurz danach nur so mit roten, kleinen Punkten übersät. Komisch, die Creme benutze ich seit Jahren, wie kann das sein?
Letztendlich landete sie im Müll und ich machte mich auf den Weg in den Drogeriemarkt meines Vertrauens.
Meine Mutter empfahl mir die App „CodeCheck“, welche mir mittlerweile ein treuer Begleiter ist. Sie riet mir, genauer darauf zu achten, was in meiner Creme ist, und sogar auf Naturprodukte zurückzugreifen. Ich tat den Gedanken ab, weil Naturprodukte ja nur was für Ökos, Hippies und all die ganzen Leute sind, die man damit (leider) automatisch in Verbindung bringt. Jaja, Mama.
So stehe ich also im Laden, völlig verloren und überfordert mit den Angeboten. Ich greife die erstbeste Creme, die bezahlbar ist und nach Pfirsich riecht. Empfindliche Haut. Jo. Duschgel steht auch auf meiner Liste, ein entspannendes mit Öl ist im Angebot. Spar ich mir Eincremen ab und zu, denke ich. An der Kasse schaue ich mir meine Auslese nochmal an. Die Worte meiner Mutter hallen mir durch den Kopf. Ich gehe zurück zu den Regalen, zücke mein Handy und scanne mit der empfohlenen App das Duschgel. Name, Preisvergleich, Inhaltsstoffe.
Und dann kommt der Schock:
5 – sehr bedenkliche Inhaltsstoffe
1 – bedenklich
2 – leicht bedenklich
17 – unbedenklich
– kann Palmöl enthalten
Ich klicke auf „sehr bedenklich“ und die Ansicht wechselt in eine Auflistung von Stoffen, bei denen Aussprechen schon eine Herausforderung ist. BHT, Butylphenyl Methylpropional, CI 17200 und 19140, Hydantion. Was ist das und was macht es in meinem Duschgel? Durch einen weiteren Klick wurden mir verschiedene Funktionen, Problematiken und dementsprechende Datenquellen aufgelistet.
BHT: Antioxidant: Hemmt Reaktionen, die durch Sauerstoff gefördert werden, und verhindert so Oxidation und Ranzigwerden. Maskierend: Verringert oder hemmt den Grundgeruch oder -geschmack des Produkts. Achso. Problematik: Krebsfördernd. Starker Verdacht auf hormonelle Wirkung.
Die anderen sehr bedenklichen Inhaltstsoffe sind potente Allergene, beeinträchtigen die Fortpflanzungsfähigkeit (in Tierversuchen), sind krebserzeugend, haben ein mittleres bis hohes Gesundheitsrisiko, sind hautreizend, allergieauslösend und schwächen die Zellmembran.
Dass ich die Packung nicht fallen lasse, ist auch alles. Sie wandert ganz schnell wieder ins Regal. Die Dame neben mir greift zu und geht zur Kasse. Wow.
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Ich scanne meine Creme und stoße auf ähnliche Ergebnisse. Wild renne ich durch den Laden und scanne alles, was ich zu Hause stehen habe oder hatte. Ähnliche Ergebnisse: Krebserregend. Krebsfördernd. Hormone. Toxisch. Selbst bei der von mir so geliebte Eigenmarke des Ladens piept und blinkt der Scanner rot. Den Abschuss liefert das Duschgel des Freundes: 2x hormonell wirksam, 1x Mikroplastik, 7x sehr bedenklich, 6x bedenklich, 2x leicht bedenklich. Dabei ist das Produkt von einer sehr einflussreichen und viel verkauften Marke!
Das muss ich erstmal verdauen. Ich würde am liebsten nach Hause rennen und alles, was ich an Kosmetikprodukten habe, wegwerfen. Mich nurnoch mit Wasser und Kernseife waschen, alles verbannen. Aber das kann doch nicht die Lösung sein! Mein Blick schweift über die Naturprodukte. Vielleicht doch nicht nur was für Ökos? Ich scanne den Code eines Shampoos und bin überrascht. Grüner Kreis. 2x leicht bedenklich. Grund: Für Allergiker wegen zwei Duftstoffen nicht empfehlenswert, man solle diese als Asthmatiker generell meiden. Der Rest der Inhaltsstoffe ist unbedenklich. Ich klicke mich ein bisschen durch die Beschreibung und muss dem zustimmen.
Nach einem weiteren Scan-Marathon der Naturprodukte liegt je eine Packung Shampoo, Duschgel und Deo in meinem Einkaufskorb. Alles Naturprodukte. Alles eine Marke. Die andere bekannte Naturmarke gefällt mir nicht, weil sehr viel Palmöl enthalten ist, und dafür bekanntlich Regenwälder abgeholzt werden. Große Beute nach 1 1/2 Stunden im Laden.
Wieder zu Hause werfe ich tatsächlich alles an Kosmetikprodukten weg – selbst verschenken möchte ich die Sachen nicht. Erschöpft sitze ich vor meinem fast leeren Badezimmerschrank und denke über die neu gewonnenen Informationen nach.
Wieso sind diese Stoffe in Produkten, die der Mensch täglich benutzt? Wieso kann man nicht andere Inhaltsstoffe verwenden, damit die Haut weich wird? Wieso werden die Konsumenten nicht aufgeklärt? Und viel schlimmer: Wieso wird so etwas geduldet? Wie kann man Tag für Tag unzählbare Liter von etwas herstellen und verkaufen, was zum Teil hochgradig gesundheitsschädlich ist?
„Macht, Baby. Macht und Geld.“
Ich verbringe mehrere Wochen mit der Recherche und suche Antworten auf meine Fragen.
Das Ergebnis ernüchtert.
Eine wirkliche Antwort auf die Frage „Warum“ gibt es nicht. Zumindest nicht für den allgemeinen Verbraucher.
Viele der benutzten Stoffe sind zu wenig erforscht und untersucht, dass man 100%ig sicher sein kann, dass sie zum Beispiel krebserregend sind. Sie bringen das scheinbare Ergebnis, welches das Produkt benötigt und sind die einfachere und günstigere Variante, ein Duschgel zu „verfeinern“. Ob es „natürlich“ möglich ist, die Schweißporen zu verstopfen und damit dann keinen Schaden anzurichten, sei dahingestellt. Der Konsument möchte Ergebnisse. Wie die Kosmetikindustrie dahin kommt, ist erstmal egal.
Mein Appell daher an euch: Denkt ein bisschen mehr selbstständig nach. Braucht man wirklich Produkt xy von der Super-Marke abc? Was gibt es für Alternativen? Je mehr Gedanken man dem Thema widmet, desto eher sollte man sich mit dem Etikett auseinandersetzen. Achtet mehr darauf, was in euren Duschgels, Deos und Co enthalten ist und nutzt gegebenenfalls sogar Apps wie oben beschrieben.
Es geht nicht darum, zum „Öko“ zu werden, sich nur noch mit Kernseife zu waschen oder sein eigenes Shampoo herzustellen, sondern darum, den Körper wieder mehr und mehr selbst in die Hand zu nehmen.
Edit: Ein paar Monate später bin ich tatsächlich des Plastik-Wahns wegen auf die gute alte Blockseife zurückgestiegen. Mehr dazu im Anti-Plastik-Artikel – coming soon.
Moralapostel over and out.
Weiterführende Links:
http://www.gesundheitstabelle.de/index.php/schadstoffe-gifte/gifte-kosmetika
Listet sehr viele gesundheitskritische Stoffe auf, erklärt wo sie drin sind und was für eine Wirkung sie haben. Ranking, wie schlimm ein Stoff ist und wo er herkommt.
https://play.google.com/store/apps/details?id=ch.ethz.im.codecheck&hl=de
Android-Link zur App „CodeCheck“
https://itunes.apple.com/de/app/codecheck-ern%C3%A4hrung-kosmetik/id359351047?mt=8
iOs-Link zur App „CodeCheck“
Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.
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Tamara Ossege-Fischer
man findet mich entweder auf matschigen Festivals, irgendwo beim Sport oder drinnen am Spieltisch. In meiner geliebten Wahlheimat Bielefeld studiere ich Dual Fitnessökonomie.
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