Kultur und Medien

Ein Kulturschock in der Heimat

Ich habe dieses Jahr gerade einmal vier Wochen insgesamt, nicht am Stück, in Deutschland verbracht. Den Rest des Jahres habe […]
| Amelie Haupt |

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Amelie Haupt

Ich habe dieses Jahr gerade einmal vier Wochen insgesamt, nicht am Stück, in Deutschland verbracht. Den Rest des Jahres habe ich mich in der der Türkei, Vietnam und Myanmar rumgetrieben. Wenn man dann wieder in den eigenen Kulturkreis zurückkehrt ist alles wieder ganz anders, aber auch nicht so wie früher – oder doch und mein Blickwinkel hat sich nur verändert? Ich lasse euch teilhaben an meinem umgekehrten Kulturschock (reversed culture shock) der letzten Wochen:

Die Sprache

Seriously? Warum? Fiiiiineeeeee. Tamam, machen wir so. Bien. Solche Wortbrocken tauchen in meinem Kopf auf und dann brauche ich ein wenig Ladezeit, bis die entsprechenden deutschen Worte auf meiner Zunge liegen oder ich lass einfach das Kauderwelsch raus. Besonders die guten Damen und Herren der Krankenkassenhotline, mit denen ich in den letzten Tagen telefoniert hab, denken vermutlich ich hätte einen Schlaganfall erlitten, bei den krummen Sätzen, die ich von mir gebe.

Sagt man das im Deutschen so? Wenn ich dann endlich einen Satz von mir gegeben habe, klingt der manchmal irgendwie falsch.
Hier ein paar meiner sprachlichen Perlen. Direkt aus dem Englischen übersetzt klingen diese Ausdrücke irgendwie nicht mehr so gut..
„Wenn wir nicht zusammen stecken bleiben, ist das ja nicht so schlimm.“ – „Well, we don’t have to stick together all the time.“
„Da frage ich mich ja auch manchmal wer da die Fäden zieht.“ – „I’m wondering, who pulls the strings.“
„Ich sehe.“ – „I see“

Ich verstehe euch alle. Also zumindest eure Sprache. Und ich muss sagen: Die meisten Gespräche in Cafés, Warteschlangen oder Bussen sind sterbenslangweilig und total sinnbefreit. In fremden Ländern kann ich meine Ohren einfach auf Durchzug stellen und das fremde Kauderwelsche in den Hintergrund rücken lassen.

Ich verstehe euch alle! Ich verstehe nun wieder die ganzen Freundlichkeiten im Alltag. „Schönen Tag noch.“ „Guten Appetit! Auf Wiedersehen“. Und ich verstehe auch schwierige Gespräche über Unfallschutz oder Wegbeschreibungen Wort für Wort! Kein verständnisloses Raten mehr oder die Sorge etwas falsch aufgefasst zu haben. Egal wo ich später mal lebe: Ich möchte die Landessprache wenigstens mittelmäßig fließend beherrschen. Es macht das Leben um einiges leichter.

Das liebe Geld
In Vietnam habe ich mich zwischenzeitlich wie eine Königin gefühlt. Wenn man für eine 90 Minütige Massage gerade einmal 20 Euro zahlt und danach für weniger als 5 Euro eine vollständige, leckere Mahlzeit erhält, dann kann man schon mal die Rich-bitch spielen und sich alles gönnen. Back in good old Germany war das Prinzessin-Sein mit einem Schlag vorbei.
“Ein Taxi kostet WIE VIEL???? Und Es gibt KEIN UBER???” war meine Reaktion als ich eines Nachts quer durch Münster laufen musste um zur Sputnikhalle zu kommen.
Überhaupt: Geld. Krass wie teuer hier alles ist! Ich meine: 2,60 € für Tee? So viel Geld für einen Teebeutel und heißes Wasser? Als absolute Teeliebhaberin habe ich es total gefeiert, dass ich in der Türkei mit schwarzem und in Vietnam mit grünen Tee rund um die Uhr versorgt wurde. Stets für weniger als 1 €! Einziger Kostenvorteil in Deutschland: Statt Wasser zu kaufen und zu schleppen, kann ich mich endlich wieder am Leitungswasser bedienen und zahle nur wenige Cents für literweise trinkbares Wasser. Ein Luxus!

Klima und das Leid der Deutschen
„Also diese Hitze ist wirklich nicht auszuhalten.“ Kommt mal klar, Leute! Wir haben hier geschmeidige 30 Grad bei 50 % Luftfeuchtigkeit. Take it easy. Der Herbst kommt noch früh genug! In Hanoi war die Durchschnittstemperatur bei 35 Grad und 87 % Luftfeuchtigkeit. Tatsächlich vermisse ich die Wärme ein wenig. Seit dem ich wieder in Deutschland bin, habe ich ständig kalte Füße. Andererseits schwitze ich nicht mehr so viel und möchte nicht 5 mal am Tag duschen. Hat wohl beides seine Vor- und Nachteile und auf den bunt leuchtenden Herbst freue ich mich schon sehr!

Omnomnom – Essen!
Ich hab gerade voll Bock auf Baklava / Klebrigen Reis mit Erdnüssen / frittierte Maden / Cig Köfte / Beliebiges Essen, dass mehr oder weniger exotisch in Deutschland ist, weiß aber nicht, wo ich es kaufen kann. Hinzu kommt noch die Schwierigkeit, dass ich bei einigen asiatischen Gerichten weder den Namen kenne, geschweige denn die Inhaltsstoffe. Nun heißt es wohl: Verzicht, bis ich endlich mal wieder in diese ferne Länder zurück gehe.

Ich habe gerade voll Bock auf Brezeln / Maultaschen / Club Mate / Beliebiges Lebensmittel, dass in Deutschland verfügbar ist und kann es mir einfach so kaufen! Wie geil! Es ist mir tatsächlich erst aufgefallen, als ich wieder in einem deutschen Supermarkt stand und mir bewusst wurde, was für geilen Scheiß man bei uns kaufen kann. Klar, das gute deutsche Brot vermisst man sehr schnell. Aber bei Spekulatius hatte ich völlig vergessen, wie lecker das schmeckt. Mein gewünschtes Willkommensessen war übrigens Brezeln mit selbstgemachtem Obazda.

Köln – Meine vielfältige Stadt
Mein Leben wurde wieder ein bisschen normaler, als ich zurück in meine geliebte Stadt Köln zog. (Ich schrieb damals ein vogonisches Gedicht, über meine liebe zu dieser Stadt und finde es auch heute noch sehr passend.) Ich lebe zurzeit im Stadtteil Köln Kalk, der für einen hohen Anteil türkisch- und arabischstämmiger BürgerInnen bekannt und generell sehr bunt gemischt ist. Ein Traum, Leute. Ich kann zwischen einem marokkanischem und einem türkischem Supermarkt auf meiner Straße auswählen, bei denen ich wie gewohnt mit „Abla“ („Schwester“) angesprochen werde und bekomme allerlei Leckereien von Baklava bis Cig Köfte. Eine Straße weiter habe ich gestern einen polnischen Supermarkt gesehen, wo ich mir fix den Haselnuss-Soplica (Schnaps) geholt habe.
Außerdem verstehe ich die langweiligen Alltagsgespräche auf der Straße nicht, sondern kann mich damit begnügen die Sprache zu erraten. Aber sobald ich ein Gespräch führen möchte oder muss, können natürlich alle Deutsch. Mein Kulturschock hat sich wieder ein bisschen beruhigt. Vermutlich, weil ich nun nicht mehr nur mit einer Kultur, sondern mit einem Potpourri aus Kulturen umgeben bin. Endlich wieder ein Alltag, wie ich ihn bequem finde!

 

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1 Antworten zu “Ein Kulturschock in der Heimat”

  1. Thanks so much for your beautiful captivating stories. I am learning German and I stumbled on your story titled „ein Kulturschock in der Heimat“. Gut geschrieben und einfach zu verstehen. Ich weiß das zu schätzen! Ich habe die Geschichte nicht nur genießen sondern viele Wörte und sätze gelernt. Danke vielmals

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