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Grenzenloses Engagement – Freiwilligendienst in Uganda

Für einen Freiwilligendienst im Ausland geht Christin für ein halbes Jahr nach Uganda. In einem Interview spricht sie mit mir darüber.
| Isabella Vormund |

Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Christin und zwei einheimische Frauen lächeln in traditioneller Kleidung in die KameraChristin Gädker

Christin (rechts) und zwei einheimische Frauen in traditionell ugandischer Kleidung

Nach ihrem Abitur 2020 trifft Christin G. eine mutige Entscheidung: für einen Freiwilligendienst im Ausland (FDA) geht die damals 19-Jährige für ein halbes Jahr nach Uganda, eines der ärmsten Länder weltweit. Im folgenden Interview spricht Christin mit mir über ihr Abenteuer im Osten Afrikas.

Christin ist mittlerweile 20 Jahre alt und studiert in Münster Medizin. Ihre Freunde würden sie wohl als sehr hilfsbereit, lebensfroh und zielstrebig beschreiben. Ihr FDA im afrikanischen Uganda begann vor gut einem Jahr im Februar 2021. 

Wie und warum kamst du zu dem Entschluss, einen Freiwilligendienst im Ausland anzutreten?

Die Idee dazu kam Christin bereits im Jahr 2018, als eine ihrer Freundinnen diese Erfahrung schon gemacht hatte und ihr davon erzählte. Davon begeistert fing die damalige Schülerin an, sich ebenfalls für ein FDA zu interessieren. „Sie hat mich dann an das Bistum Osnabrück verwiesen und mir gesagt, dass ich dort über das Programm Weltwärts ein FDA absolvieren könnte.“ Seitdem beschäftigte sich Christin mit dem Gedanken, bis ihr gut zwei Jahre später dann die tatsächliche Reise bevorstand.

Als Christin mir den Grund für ihren Freiwilligendienst im Ausland verrät, war ich zugegebenermaßen überrascht. Anders als erwartet war ihre primäre Intention nicht das Helfen, sondern ihre eigene Neugier und Lernbereitschaft. „Manche denken, dass ich dahingehe, um als weiße Deutsche, die alles kann, die Welt verändern zu wollen. Das ist ganz und gar nicht so! Klar habe ich vor Ort auch den Menschen geholfen, aber im Endeffekt habe ich durch die ganzen Erfahrungen mehr von ihnen profitiert als sie von mir. Ich bin da nicht nur hingefahren, um zu helfen, sondern um zu lernen und um die Kultur kennenzulernen.“

Warum ausgerechnet Afrika?

In welchem Land die Freiwilligen eingesetzt werden, hat in Christins Fall die Organisation entschieden. Neben Uganda wären beispielsweise auch Russland, Peru oder Indien denkbar gewesen. Wünsche konnten zwar von den Teilnehmer*innen geäußert, aber nicht zwangsläufig umgesetzt werden. Christin hatte jedoch Glück, denn tatsächlich konnte man ihr mit Uganda den Wunsch erfüllen, in ein afrikanisches Land reisen zu dürfen. 

Hast du dich auf die Reise vorbereiten können und wenn ja, wie?

„Bereits ein Jahr vor der Ausreise beginnt die Vorbereitung auf den Freiwilligendienst im Ausland.“ Diese Vorbereitungszeit beschreibt Christin als sehr intensiv. Diverse Auswahlverfahren und mehrtägige Seminare sollen die Freiwilligen für alle Eventualitäten sensibilisieren, welche sie während ihrer FDAs im jeweiligen Land antreffen könnten. Dabei wird der Schwerpunkt nicht nur auf das Sprachliche gelegt, sondern auch auf die Kultur. „Man lernt viel über Rassismus und kulturelle Kommunikation, individuell für sein Land. Eine russische Kultur ist schließlich ganz anders als eine ostafrikanische.“ Was Christin in den Vorbereitungsseminaren gelernt hat, bleibt noch heute in ihr verankert. Rassismus beziehungsweise unabsichtlich rassistische oder stereotypische Aussagen fallen der Studentin jetzt viel eher auf. „Wenn man erstmal hinter gewisse Formulierungen schaut, fällt einem erst auf, wie oft darin Kolonialstrukturen unterstrichen oder rassistische Aspekte aufgegriffen werden.“ Dieses Problem ist laut Christin so tief im Sprachgebrauch verankert, dass auch sie selbst sich oft dabei erwischt, in solche Fettnäpfchen zu treten. 

Was hast du konkret in Uganda gemacht? Was waren deine Aufgaben?

Eingesetzt wurde die damals 19-Jährige im „Toro Babies Home“, einem Waisenhaus für ugandische Kinder zwischen null und drei Jahren. Hier unterstützte Christin die sogenannten „Mothers“, welche es sich zur Aufgabe gemacht haben, die 50 Waisenkinder rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche zu versorgen. Im Rahmen ihres Freiwilligendienstes gehörte neben dem Wickeln und Füttern der Babys auch die Unterstützung im Haushalt zu ihren Aufgaben. Dabei stieß die junge Frau auf die ein oder andere Herausforderung. „Wäschewaschen hat besonders viel Zeit in Anspruch genommen. Es gab keine Waschmaschine, sodass ich die Wäsche über mehrere Stunden per Hand gewaschen habe. Da es in Uganda sehr warm und staubig ist und die Kinder sich auch oft mal schmutzig machen, fällt dort immer extrem viel Wäsche an, die übrigens wegen weniger Wechselkleidung täglich gewaschen werden muss. Eine Waschmaschine ist deshalb eines der Dinge, welche ich am Anfang meiner Reise ziemlich vermisst habe. Aber daran gewöhnt man sich sehr schnell und zuletzt war das gar kein Problem mehr für mich.“

Christin mit einer Gruppe von ugandischen Kindern
Christin Gädker Christin (mittig) mit einigen Kindern des ugandischen Waisenhauses

Wie lange hast du in Uganda gelebt? Wie hast du dort gewohnt?

„Insgesamt habe ich sieben Monate in Uganda gelebt. Gewohnt habe ich in einer WG, zusammen mit einer einheimischen Mitarbeiterin aus dem Waisenhaus.“ Die Wohnung befand sich auf dem gleichen Gelände wie das Waisenhaus und war gut für Christin zu erreichen. Befangen vom afrikanischen Klischee frage ich Christin nach der Einrichtung und Ausstattung ihrer WG. „So traditionell habe ich dort gar nicht gewohnt. Ich hatte mein eigenes Schlafzimmer, auch wenn die Wohnfläche natürlich deutlich kleiner ist als man es aus Deutschland gewohnt ist. Wir hatten sogar eine richtige Toilette, was in Uganda nicht selbstverständlich ist. Oft geht man hier auf Latrinen, also auf eher einfach gehaltene Trockentoiletten. Die Spanne zwischen Arm und Reich ist vor Ort sehr groß und entscheidet über den jeweiligen Lebensstandard. Ich habe auch Familien in Häusern besucht, in denen fünf Leute in einem kleinen Zimmer geschlafen haben.“ 

Ein Ausblick über das Gelände, auf dem Christin sich aufhielt.
unbekannt Ein Ausblick über das Gelände, auf dem Christin sich aufhielt.

Was waren die schönsten/prägendsten Erfahrungen, die du aus der Zeit mitgenommen hast?

Von der ostfrikanischen Kultur begeistert, kann Christin sich nicht auf einzelne Erfahrungen beschränken, sondern empfindet so vieles als beeindruckend schön. „Besonders nennenswert finde ich die Mentalität und die Offenheit der Menschen. In Uganda waren alle so unglaublich herzlich und freundlich, sodass ich mich dort zwischenzeitlich willkommener gefühlt habe als in Deutschland! Klar, es kann auch daran liegen, dass ich weiß bin, aber sie haben mir ein sehr gutes Gefühl gegeben. Das war einfach richtig schön.“ Christin erzählt mir, dass sie genau diese Offenheit für sich aus Ostafrika mitnehmen und übernehmen möchte.

Dass die junge Frau in die ugandische Kultur eintauchen und ein Teil davon werden durfte, stimmt sie sehr dankbar. „Ich glaube, man kann das gar nicht richtig verstehen, wenn man nicht selbst dort war. Weil ich ganz allein nach Uganda gegangen bin, war ich ja darauf angewiesen, mich vollkommen in die Gesellschaft und Umgebung zu integrieren. Das ist etwas, was du in einer Gruppe mit Freunden zusammen vielleicht nicht so intensiv erleben kannst.“ Viele Menschen aus Uganda, darunter vor allem ihre Mitbewohnerin, sind Christin stark ans Herz gewachsen. Sie waren während ihres gesamten FDAs für sie da und haben ihr das Gefühl von einem zweiten Zuhause gegeben, wie sie mir versichert. 

Wie groß sind die Unterschiede zwischen der deutschen und der nordafrikanischen Lebensweise?

Im Laufe unseres Gesprächs berichtet mir Christin von unzähligen Beispielen, an denen man die Unterschiede erkennt. Wo sie gelebt hatte, gab es beispielsweise keine Duschen, sodass Christin sich ein halbes Jahr nur mit einem Eimer Wasser gewaschen hat. Die Wäsche wird in Uganda per Hand gewaschen, ausreichend Wasser war keine Selbstverständlichkeit. Auch Strom kommt und geht – regelmäßige Stromausfälle beschreibt sie mir als völlig normal. Lebensmittel werden überwiegend frisch direkt auf dem Markt besorgt. Interessant finde ich auch, wie die Menschen in Uganda von A nach B kommen. „Es gibt Buslinien, die stündlich in die nächstgrößeren Städte fahren. Es gibt auch Taxen, aber die fahren erst los, wenn jeder Platz besetzt ist. Du musst dafür also viel Zeit mitbringen, sehr spontan und geduldig sein. Eine dritte Möglichkeit sind die sogenannten Bodas, eine Art Motorrad-Taxi. Man stellt sich einfach an den Straßenrand, winkt den Fahrern freundlich zu und wird dann für sehr günstige Preise mitgenommen.“ Was Christin mir öfter zu verstehen gibt, ist, dass sie sich extrem schnell an all die Umstellungen gewöhnen konnte. Am Ende ihrer Reise waren all diese Dinge normal für sie.

Den größten Kontrast sieht Christin in der Entspanntheit der Menschen in Uganda. „In Deutschland wird sich schon aufgeregt, wenn ein Zug wenige Minuten Verspätung hat. Daran sieht man, wie stressig das Leben hier ist beziehungsweise wie viel Druck sich die Deutschen machen. In Uganda vergeht die Zeit einfach ganz anders. Es ist nicht immer alles pünktlich, man ist dort nicht so gehetzt und die Menschen in Uganda haben eine innere Gelassenheit. Man spricht auch von der African Time – hier laufen die Uhren ein wenig anders, einfach entspannter.“ 

Hast du deine Entscheidung je bereut, weil du dich zum Beispiel unwohl oder allein gefühlt hast?

Von Reue kann laut Christin keine Rede sein. „Natürlich hat man Heimweh und man spürt auch gelegentlich Einsamkeit – das ist ganz klar“, versichert sie mir. Neben der Tatsache, dass sie ganz allein nach Ostafrika gereist ist, spielte auch die Corona-Pandemie eine entscheidende Rolle. „Nachdem ich im Februar 2021 in Uganda ankam, ließ auch hier der Lockdown nicht lange auf sich warten. Ab Mai konnte ich nicht reisen, keine Restaurants oder Bars besuchen und war stattdessen einzig und allein auf meine Arbeit im Waisenhaus fixiert. Wenn meine Mitbewohnerin mal nicht da war und die Ablenkung durch Freizeitaktivitäten wegfiel, war ich schon mal einsam.“ Trotzdem war ein Abbruch ihres FDAs zu keiner Zeit eine Option für die junge Frau. „Es gab keinen Moment, in dem ich gedacht habe, dass ich zurück nach Hause fahren möchte. Mir wurde wirklich so viel Offenheit entgegengebracht, dass ich mich extrem willkommen fühlen durfte.“ 

Was haben die Erfahrungen aus deinem FDA an deinem Mindset hier in Deutschland verändert?

Als ich Christin diese Frage gestellt habe, entgegnete sie mir unmittelbar ein Wort, welches ich in all ihren Antworten wiederfand: Dankbarkeit. „Ich lag an manchen Abenden in meinem Bett und realisierte Boah – ich bin gerade in Uganda und darf das hier alles erleben!“

Des Weiteren erzählt mir Christin, dass sie durch ihr Abenteuer in Uganda viele Dinge ganz anders schätzen gelernt hat. „Das Einzige, was ich in Afrika so richtig vermisst habe, waren Umarmungen von den Menschen, die ich liebe – von meiner Familie und Freunden.“ Auch ihr Blick auf den Luxus der westlichen Welt ist nach Christins FDA ein anderer. „Ich wertschätze die Dinge jetzt viel mehr, die ich früher für selbstverständlich hielt. Ich weiß jetzt, wie wenig man eigentlich im Leben braucht. In Uganda habe ich sieben Monate nur mit einem Eimer Wasser geduscht und bin trotzdem sauber geworden!“

„Für alle Erfahrungen bin ich unendlich dankbar, denn nach meinem FDA in Uganda bin ich vielleicht nicht als ein anderer Mensch wiedergekehrt, aber dafür selbstständiger und gefestigt. Ich durfte so viel über mich selbst lernen, konnte in eine ganz neue Kultur eintauchen und sogar ein wenig daran teilhaben. Diese offene Art, die mir die Einheimischen in Uganda entgegengebracht haben, habe ich versucht zu übernehmen. Ich gehe jetzt auch viel offener auf andere zu. Ich bin durch Uganda auch viel entspannter geworden, hab mir also eine gewisse Stressfreiheit mitgenommen und beibehalten.“ 

Was kannst du denjenigen mit auf den Weg geben, die ebenfalls ein FDA antreten wollen, sich aber noch nicht dazu überwinden konnten?

„Du bist nie allein – wenn du dir das klarmachst, ist der Rest gar nicht mehr so schlimm.“ Laut Christin hat das Bistum Osnabrück ihr stetig ein Gefühl von Sicherheit und Unterstützung gegeben. Sie hatte mehrere Ansprechpersonen und Anlaufstellen, bei denen sie zu jeder Zeit um Rat fragen konnte. Obendrein hatte sie sich im Vorfeld gut vorbereitet gefühlt und kann ihre Organisation für alle Interessierten empfehlen. Mehr dazu findest du hier. 

„Ich glaube, man muss sich nur einmal ausführlich informieren und dann entscheiden, ob man sich dieses Abenteuer selbst zutraut.“ Sobald man aber ein wenig offen für ein FDA ist, sollte man es laut Christin versuchen. „Es muss ja nicht Uganda sein, es kann ja auch Polen oder ein anderes Nachbarland sein. Es geht einfach darum, eine andere Kultur kennenzulernen, auf neue Menschen zu treffen und viel über sich selbst dazuzulernen. Ein FDA lohnt sich in jedem Fall!“ 

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