Gesellschaft und Lifestyle / Kultur und Medien / Musik
Indie-Rock: Die musikalische Revolution der 80er
Heutzutage haben wir die Möglichkeit, uns kreativ im Internet auszuleben. Dabei sind uns selbst alle künstlerischen Freiheiten überlassen. Es braucht […]
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten
Heutzutage haben wir die Möglichkeit, uns kreativ im Internet auszuleben. Dabei sind uns selbst alle künstlerischen Freiheiten überlassen. Es braucht nicht einmal professionelles Equipment, um sein musikalisches Talent mit der Welt zu teilen. Dass wir heute unsere eigenen Manager*innen sein können, war natürlich nicht immer die Norm. Es gab eine Zeit, in der man nicht mal eben so durch ein paar Klicks bekannt werden konnte. Die man mit buntem Make-up, verträumten Synthesizern und poppigen Discosongs verbindet. Als MTV in den 80ern noch vorgegeben hat, was der Mainstream ist. Da entstanden gleichzeitig in den Kellern und Garagen Englands und der USA die ersten Gegenbewegungen: die ersten Indie-Rockbands. Bereit, dem bestehenden Mainstream den Kampf anzusagen.
Die Faszination für den Indie-Rock der 80er Jahre hat auch mich gepackt, auch wenn ich diese aufregende Zeit der Rebellion und des Widerstands selbst gar nicht miterlebt habe. Durch meinen Vater habe ich jedoch bereits als Teenager einen Blick in die Welt des Indie-Rocks werfen können. Er zeigte mir oft Musik aus dieser Zeit, wenn ich wieder auf der Suche nach neuen Songs war. Nun hat mich auch die Bandbiographie des Bitch Magnet-Bandmitglieds Jon Fine in diese Zeit eintauchen lassen. In Your Band Sucks nimmt er die Leser*innen mit in das Leben in dreckigen Tour-Vans und verschwitzten Punk-Rock-Clubs mit ohrenbetäubenden Gitarren.
Musik für Außenseiter*innen
Für junge Menschen, die sich nirgendwo zugehörig fühlten, war der Indie-Rock ein Auffangnetz. Häufig waren es die Außenseiter*innen an den Schulen und Colleges. Menschen, die anders waren und deshalb ausgegrenzt wurden oder sich selbst abgrenzen wollten. Fine erzählt: „All the town weirdos were suddenly in bands.“ (Your Band Sucks). Durch das gemeinsame Musik machen entwickelte sich ein Gefühl der Zugehörigkeit und man fühlte sich als Teil von etwas Größerem, einer echten musikalischen Revolution. Es entstand genau die Musik, die gegen die poppig fröhliche Musik der 80er angehen wollte. So war die Stimmung in den Songs auch eher eine düstere – jeder, der schon mal einen Song der Post-Punk Band Joy Division gehört hat, weiß, was ich meine. Wie könnte man besser seine starken Emotionen und dem Gefühl, nicht in diese Welt zu passen, Raum geben als beim Herumexperimentieren mit stark verzerrten Instrumenten? Fine erklärt: „It [Indie-Rock] clearly expressed the emotional extremes all outsiders know.“ (YBS).
Anti Alles: Die Haltung
Das Allerwichtigste: Indie war in den 80er-Jahren viel mehr ein Lifestyle als eine Musikrichtung, denn auch wenn sich der Indie-Rock der 80er-Jahre durch verzerrte Gitarren, düstere Texte und experimentelle Songstrukturen auszeichnet, geht es noch viel mehr um die Einstellung. Man wollte sich von der massentauglichen Musik abgrenzen, gegen den Strom schwimmen. Um es auf den Punkt zu bringen: Man wollte den kommerziellen Plattenlabels den Mittelfinger zeigen. Die Sänger*innen fühlten sich wie die musikalischen Revolutionär*innen ihrer Zeit. Warum sich einem Plattenlabel verschreiben, wenn man es selber besser, lauter, kreativer machen kann? Das Wichtigste war hier, sich von den poppigen, in Synthesizern getränkten Beats der 80er abzuheben. Bloß nicht so klingen wie die melodischen und poppigen Songs, die jeden Tag auf MTV oder im Radio gespielt wurden. Dies bedeutete: Keine. Regeln. Nur ein Haufen guter Freunde, die wichtiger waren als alles andere. Die Terminologie variiert hier übrigens unglaublich. Indie-Rock umfasst auch den Post-Punk genauso wie den Alternative Rock oder Underground Music.
Nicht mal ein Instrument musste man perfekt oder gar überhaupt beherrschen können, denn das Ganze war äußerst experimentell. Fine gibt zu: „[…] none of us had any idea what we werde doing.“(YBS). So entstanden dann in den Garagen oder Kellern der Eltern Songs, die alle bisher akzeptierten Regeln der Rockmusik sprengten. Auf die klassische Struktur von Rocksongs wurde verzichtet, das Leadinstrument konnte frei gewählt werden, der Takt sollte bloß nicht das für Popsongs typische Kopfwippen hervorrufen. Die Gitarre durfte ordentlich verzerrt werden und das Wichtigste: Ganz laut aufdrehen! Was heute nichts Besonderes mehr ist, war damals ein echtes Wagnis, denn niemand wusste, ob man mit dieser Musik irgendwo ankommen würde, doch das war eigentlich auch egal. Hauptsache, man konnte sich von den populären Musikgruppen abgrenzen. Die Bandnamen wurden oft mit einer großen Portion Ironie ausgewählt, so erzählt Jon Fine, dass der Name Bitch Magnet eigentlich aus einem Insiderwitz entstanden ist, denn die Mitglieder waren sich über ihre Unbeliebtheit bei Frauen durchaus bewusst.
Wandel in den 90ern
Die Indie-Musik der 80er, das waren Bands wie Mission of Burma, Buzzcocks, The Stooges oder Sonic Youth. Bereits in den 90er Jahren kamen dann die ersten Bands dazu, die dem Image des Indie-Rocks zu schaden drohten. Denn es folgte seichter Indie-Pop, den Fine als Twee Pop bezeichnet. Alles, was man zuvor versuchte zu vermeiden – wohlige Gefühle, Leichtigkeit und Harmonie – kam nun wieder zurück. Das Ganze war ein wahrer Dämpfer für die ursprünglichen Indie-Rockbands, bedenkt man, dass viele die Bewegung als revolutionär ansahen. Indie-Rock wurde jetzt softer, verlor seine ursprüngliche Aggressivität und wurde schließlich massentauglich. Man kann sagen, dass alles, was tanzbar wurde, den ursprünglichen Sinn des Indie-Rocks verfehlte. Ein weiterer Grund für die gescheiterte Revolution war die Musikindustrie, die natürlich immer noch das wollte, was sich gut vermarkten ließ. So nahmen viele Plattenlabels den aufstrebenden Bands das Experimentelle aus ihrer Musik und machten sie zu dem, wogegen sie ursprünglich ankämpften.
I liked believing that this culture was going to change music. I liked believing that it would last forever. Because, for a while, that was easy to believe.
Jon Fine, Your Band Sucks
Eine gescheiterte Revolution?
Der Begriff Indie-Rock ist geblieben, die Haltung und der Grundgedanke jedoch nicht mehr derselbe. Heute ist der Musikstil massentauglich geworden. Dennoch gefallen mir viele der Indie-Rockbands, die es heute gibt. Mir ist bewusst, dass ich aus der Perspektive einer Person spreche, die die Zeit selbst nicht miterlebt hat. Es ist nachvollziehbar, dass die Indie-Rocker ihrer Zeit sich so unglaublich mit dem schmuddeligen ‚don’t give a f*ck‚ Lebensstil identifiziert haben, sodass sie sich von den sanften neuen Songs ans Bein gepinkelt fühlten. Sie haben die Zeit schließlich selbst erlebt und wissen, wie es sich anfühlt, nicht dazuzugehören. Für die, die die Geburt des Indie selbst miterlebt haben, ist das vermutlich weniger einfach zu verdauen.
Almost nothing I’d hoped for twenty-five years ago had happened. The weirdos hadn’t taken over. Our bands hadn’t changed the world, or destroyed the big, bad major labels.
Jon Fine, Your Band Sucks
Ob The Wombats, Arctic Monkeys oder Franz Ferdinand: Gute „Indie-Rock“-Bands gibt es meines Erachtens auch heute noch. Umso schöner ist es, wenn diese dann noch die Indie-Rock-Legenden der 80er würdigen, so wie The Wombats in ihrem Song Let’s Dance To Joy Division, der das enthusiastische Tanzen zu düsterer Musik zelebriert. Ich finde Indie-Rock kann und darf heute tanzbar sein. In vielen der heutigen „Indie-Rock“-Songs erkennt man noch Muster von denen der ersten wahren Indie-Rock-Bewegung. Doch lassen sich mittlerweile solche Elemente auch in anderen Songs finden, sodass man sich vielleicht nicht mehr in den ganzen Begrifflichkeiten verlieren sollte. Es ist unmöglich, Indie-Rock aus der heutigen Musiklandschaft heraus zu erklären. Man muss zurück an ihre Ursprünge, an die Quelle des Ganzen: In die Zeit, in der man sich auflehnte und sein eigenes Ding machte. Dann bekommt das Indie im Indie-Rock seine verdiente Bedeutung. Darüber hinaus gibt es auch noch Indie-Rockbands aus den 80ern, die heute eine erfolgreiche zweite Karriere hinlegen und dem damaligen Sound treu bleiben, zum Beispiel die Pixies.
Quellen
Fine, Jon: Your Band Sucks. What I saw at Indie Rock’s Failed Revolution (But Can No Longer Hear). New York: Penguin Books, 2015.
Cohen, Deborah: How Indie Rock Changed the World.The influence of geeks with guitars on culture, from DIY to social media. The Atlantic, 2015.
Music for Misfits: The Story of Indie. The DIY Movement. BBC Four, 2015.
Die Songs von Bitch Magnet auf Spotify
Indie Rock von Heute (Achtung: tanzbar!):
Unterstützen
Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.
Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:
Laura Klöppinger
… liebt die englische Sprache und Kultur, weshalb sie sich auch für das Anglistik (und Germanistik) Studium entschieden hat. Wenn sie nicht gerade liest oder Musik macht, diskutiert sie gerne über Doctor Who oder die neusten Indie-Rock Alben.
Tatsächlich gelesen: Naokos Lächeln (Haruki Murakami)
Bookstock-Festival für alle Buchliebhaberinnen und -liebhaber
Neu in Münster? – Die Hotspots, die man kennen sollte
Tatsächlich gelesen – The Hound of the Baskervilles (Sir Arthur Conan Doyle)
Tags: 80erBiographieDIYGitarreIndieIndie RockMusikPlattenlabelSongUnabhängigkeit