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Makrobiotik – mehr als nur eine Ernährungsweise

Imke Lamberts (52) führt seit 24 Jahren einen Makrobiotik-Naturkostladen in Hamburg. Zusätzlich bietet sie dort einen täglich wechselnden Mittagstisch und […]
| Stefanie Wollweber |

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Fröhlicher Reisball

Ein Interview mit Imke Lamberts
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Ein Interview mit Imke Lamberts

Imke Lamberts (52) führt seit 24 Jahren einen Makrobiotik-Naturkostladen in Hamburg. Zusätzlich bietet sie dort einen täglich wechselnden Mittagstisch und Kochschulungen an. Sie ist Mutter von 5 Kindern und lebt mit ihrer Familie seit 27 Jahren nach der makrobiotischen Ernährungsweise. Im folgenden Interview erzählt sie von der Makrobiotik.

Was ist Makrobiotik im weiteren Sinne?

Das Wort Makrobiotik kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Großes Leben“. Damit wir ein freies, erfülltes und lebendiges Leben führen können, beschäftigt sich die Makrobiotik mit Nahrung auf allen Ebenen des Lebens. Auf körperlich-materieller Ebene beschäftigt sie sich z.B. mit Essen, Kleidung und Wohnen. Auf sozialer-emotionaler Ebene thematisiert die Makrobiotik Dinge wie Familie, Beziehungen und wie das friedliche menschliche Zusammenleben erreicht werden kann. Und auf der geistigen Ebene beschäftigt sie sich mit Forschung, Lehre, Bildung und energetischen Einflüssen, wie z.B. kosmischer oder radioaktiver Strahlung.

Wie sind Sie zu der Makrobiotik gekommen?

Vor 27 Jahren war meine Mutter an Krebs erkrankt und ist sehr schnell gestorben. Der Mann einer Freundin hatte sich mithilfe der Makrobiotik von einer Krebserkrankung geheilt. Diese Frau schenkte meiner Mutter Bücher zur Makrobiotik, die ich dann an ihrem Krankenbett las. Ich fand dies so spannend– nicht nur für Kranke, dass ich die Makrobiotik ausprobierte und sofort begeistert war.

 

Mittagstisch mit Möhrenkanten
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Mittagstisch mit Möhrenkanten

 

Ist Makrobiotik individuell angepasst oder eher strikt wie z.B. der Veganismus/Vegetarismus?

Es gibt in der Makrobiotik generelle Empfehlungen, die aber individuell variiert werden. Die persönliche Anpassung ist vom Wohnort, dem Alter, Geschlecht, Beruf aber auch den eigenen Interessen und Zielen abhängig.

Strikte Verbote oder eine übermäßige Selbstkontrolle sollten dabei vermieden werden. Im Alltag bedeutetet dies, dass wir uns mit allem versorgen, was uns gut nährt und uns gleichzeitig möglichst wenig belastet. Dadurch gibt es allgemein weniger Gelüste auf extreme Nahrungsmittel wie Eis oder Fleisch. Bei Einladungen genießen wir alles, was wir möchten und das Zusammensein, weil wir auch am sozialen Leben teilnehmen wollen.

Die generellen Empfehlungen sehen folgendermaßen aus: Etwa die Hälfte der Nahrung besteht aus Vollkorngetreide, gekochtem Naturreis und den in Deutschland angebauten Getreidesorten Hirse, Hafer, Buchweizen etc. sowie Vollkornbrot. Dazu kommt eine größere Menge gekochtes Gemüse, Suppen (z.B. Misosuppe) und eine kleinere Menge Meeresgemüse/Algen. Der Eiweißbedarf wird, wie in weiten Teilen der Welt üblich, vor allem durch Hülsenfrüchte (Tofu, Seitan, etc.) gedeckt. Je nach Jahreszeit und Persönlichkeit kommen dazu etwas Rohkost, Nüsse und Obst. Die in Deutschland jahrhundertelang gepflegte Tradition Gemüse selbst milchsauer einzulegen praktizieren wir nicht nur mit Gewürzgurken, sondern verschiedenen „Pickles“. Süßigkeiten, Nachtische und Kuchen werden mit Getreidemalz oder Obst gesüßt und mit Sojamilch, Nussmusen o.a. verfeinert, so dass man Milchreis, Grießbrei, rote Grütze und vieles mehr mild gesüßt und vegan genießen kann.

Gibt es Lebensmittel, die in der Makrobiotik nicht verwendet werden? Beispiele?

Abgeraten wird grundsätzlich von künstlichen Süßstoffen und stark verarbeiteten oder denaturierten Lebensmitteln, wie z.B. Fertiggerichten (auch veganen). Selten verzehrt werden sollten Fleisch- und Wurstwaren; Milch und Eier sollten abhängig vom Gesundheitszustand nur gelegentlich verzehrt werden. Diese Ratschläge sind inzwischen auch wissenschaftlich begründet. Bei einer 10jährigen äußerst umfangreichen Studie („China Study“) wurden eindeutige Zusammenhänge zwischen dem Konsum von Fleisch und Milchprodukten und dem Auftreten von Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Herz- Kreislauferkrankungen, Osteoporose usw. nachgewiesen.

Darüber hinaus verwenden wir selten starke Gewürze und Südfrüchte, da sie den Körper stark abkühlen. Auch aus ökologischen und ökonomischen Gründen vermeiden wir so weit wie möglich Produkte, die gekühlt oder mit hohem Energieeinsatz transportiert werden müssen.

Was spielen Yin und Yang für Rollen bei der Makrobiotik?

„Yin“ und „Yang“ helfen uns, wie universelle Gesetze, zu erkennen, wie Dinge funktionieren und wie nicht. Zum Beispiel bei hohem Konsum von Brot und Fleisch aber auch bei hohem Stresspegel – dies sind „Yang“ betonte Faktoren – versuchen Menschen sich durch Konsum von „Yin“ wie Alkohol oder Süßigkeiten zu regulieren. In der Makrobiotik versucht man, weniger „Yang“ betont zu leben, also z.B. Bohnen statt Fleisch zu sich zu nehmen und den Stress zu reduzieren. Dadurch wird der Drang zu extremen „Yin“ Elementen wie Schokolade oder Alkohol geringer und man kann mit milderen Süßspeisen auskommen. Daraus folgt der Vorteil, dass die Stoffwechselprozesse und das Leben insgesamt weniger anstrengend werden.

„Yang“ steht für die Kraft, die alles zusammenzieht. Alles was trockener, fester, kleiner oder nach unten gerichtet ist, bezeichnen wir als mehr „Yang“. „Yin“ ist die Kraft die sich ausdehnt. Alles was weicher, größer, wässriger oder nach oben gerichtet ist, bezeichnen wir als mehr „Yin“

Dabei ist immer die Beziehung zueinander ausschlaggebend. Zum Beispiel ist ein Apfel mehr „Yin“ als gekochtes Getreide. Im Vergleich zur Banane ist der Apfel aber „Yang“. Das klingt zwar kompliziert, aber jeder Mensch findet schon durch seinen Appetit zu einer Regulierung. Zu einem Steak („Yang“) verlangt es nach viel säurehaltigem Gemüse, Alkohol, Kaffee o.a. „Yin“. Wenn wir durch die Makrobiotik lernen, diese Prozesse besser zu verstehen, können wir das Verlangen und aufwendige Suchen nach dem, was uns fehlt, reduzieren und dadurch viel freier leben.

 

Sushi aus Soba
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Sushi aus Soba

 

Wie verbreitet ist Makrobiotik? (auch z.B. in der Gastronomie?)

Relativ wenig. Nicht so ausgeprägt wie der Veganismus. Weltweit gibt es aber in größeren Städten Makrobiotikzentren und Restaurants. Es verbreitet sich nur sehr langsam, da kein finanzielles Interesse von großen Firmen besteht. Meistens wird Makrobiotik durch Gespräche und Empfehlungen von dem einem zum anderen weitergegeben.

Inwiefern beeinflusst Makrobiotik die Lebensweise?

Makrobiotik verändert Menschen sowohl physisch als auch psychisch. Der Umfang hängt dabei von den Zielen und Lebensumständen der praktizierenden Person ab. Man muss Zeit ins Kochen investieren, gewinnt aber auch Zeit, da erfahrungsgemäß viele belastende Dinge wegfallen oder seltener werden, z.B. Getränkekisten schleppen, Arztbesuche, Konsumdruck.

Wie hat sich die makrobiotische Ernährungsweise entwickelt?

Zuerst wurde Makrobiotik von Hippokrates im alten Griechenland genannt, der umfangreiche Forschungen über die Zusammenhänge zwischen Wohnort, Klima, Ernährung auf der einen Seite und Physiognomie und Erkrankungen auf der anderen Seite protokollierte. Christoph Wilhelm Hufeland, Arzt und Humanist, setzt sich unter dem Begriff Makrobiotik im 18. Jahrhundert u.a. für Hygiene und das Stillen von Babys ein. Im letzten Jahrhundert wurde Makrobiotik dann -ausgehend von George Ohsawa in Japan- umfangreich erforscht, beschrieben und nach und nach weltweit verbreitet. In Zentren und von einzelnen Lehrern wird Makrobiotik heute ständig weiter entwickelt und unterrichtet, damit das Wissen und die Erkenntnis immer größer wird.

Worauf sollte man beim Einkauf für die makrobiotische Ernährungsweise achten?

Die Qualität von makrobiotischen Produkten ist durchgängig sehr hoch. Erhältlich sind die Produkte im Naturkostladen oder aber auch im Onlineversand. Bei den frischen Produkten sollte man auf kontrolliert biologischen Anbau achten.

Benötigt man bei der Makrobiotik zusätzliche Nährstoffe und wenn ja welche und wie kann man sich diese beschaffen?

Grundsätzlich benötigt man keine Nahrungsergänzungsmittel; es ist sogar so, dass wir die Nahrungsergänzungsmittel eher kritisch sehen, da u.a. in der Dosierung Fehler gemacht werden können. In der normalen Ernährung sollten wir alles geliefert bekommen, was wir brauchen. Hilfreich für den Einstieg in die Makrobiotik sind Beratungen oder Kochkurse, um die nötigen Kenntnisse zu erwerben. Meine 5 Kinder sind von Geburt an mit Makrobiotik aufgewachsen, lebendig und gesund – ohne Nahrungsergänzungsmittel.

 

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Was für Vorurteile gibt es gegen die makrobiotische Ernährung?

Zum Beispiel das Vorurteil, dass in der Makrobiotik empfohlen wird, wenig zu trinken. Das stimmt so nicht. Tatsache ist, dass es in der Makrobiotik bereits einen hohen Flüssigkeitsgehalt in den Speisen gibt, z.B. Suppen, und das Essen sparsam gesalzen ist. Daher trinkt man zwar weniger, man sollte sich aber vor allem an dem eigenen Durstgefühl orientieren.

Heutzutage gehen übrigens die offiziellen Empfehlungen der „Deutschen Gesellschaft für Ernährung“ immer mehr in Richtung der makrobiotischen Ernährungsweise; z.B. weniger Fleisch, weniger Fett, weniger Zucker, da die Nachteile der genannten Lebensmittel durch neuere Forschung immer mehr bestätigt werden.

Was für Potential besitzt die Makrobiotik in Krankheitsfällen?

Viele unserer Kunden und Freunde verbesserten ihr Wohlbefinden und ihren Gesundheitszustand durch Makrobiotik. Dennoch würden wir niemals ein Heilungsversprechen abgeben. Wir sehen Krankheit als eine Botschaft des Körpers, etwas zu verändern, das in unserem Leben in Unordnung ist oder uns blockiert. Dabei ist das Umfeld in dem wir leben auch wichtig für unsere Gesundheit. 100 prozentige Gesundheit kann es nicht geben, da Leben nicht statisch ist.

Wie praktikabel ist diese Ernährungsweise? (Kochzeit, Kosten)

Der große Nachteil an der Makrobiotik ist, dass man für das Kochen Zeit braucht. Deswegen funktioniert es schwer für einen einzelnen Menschen, sondern es ist eher etwas für eine Gruppe oder Familie. Dabei muss die Familie natürlich nicht genetisch zusammengesetzt sein, sondern kann auch aus einer Gemeinschaft bestehen, die sich unterstützt.

Man gewinnt unter Umständen Lebenszeit und fühlt sich wohler.

Die Kosten sind erstaunlicherweise geringer als bei einer „normalen“ Ernährung. Möglicherweise kommen zu der normalen Ernährung Nahrungsergänzungsmittel, Medikamente, oft Lebensmittel wie Chips oder Eis hinzu, welche die Gesamtausgaben anheben.

Als Studentin habe ich beispielsweise sehr einfach und kostengünstig von Getreide und Hülsenfrüchten gelebt und das Gemüse auf dem Markt geholt. Wir machen auch leckere Gerichte aus „Abfällen“ wie Möhrengrün und verwenden fast alles von den Pflanzen.

Makrobiotik heißt, aus dem, was man bekommen kann, das Beste zu machen.

Vielen Dank für das Interview.

 

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Stefanie Wollweber

Moin, Moin, ich bin Steffi und komme aus dem schönen Norden. Ich studiere seit Oktober 2015 Soziologie und Spanisch an der Uni Münster und erfreue mich jetzt meines Studentenlebens. In meiner Freizeit reise, koche, schreibe ich gerne und halte viel davon mit meiner Kamera fest.

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4 Antworten zu “Makrobiotik – mehr als nur eine Ernährungsweise”

  1. Liebe Steffi, das ist ein sehr interessanter Artikel. Ich habe ihn aufmerksam gelesen. Und die tollen Fotos haben richtig Appetit gemacht auf makrobiotische Speisen. Vielleicht sollte man doch ab und zu auch einmal andere Ernährungsweisen ausprobieren.
    Ich freue mich schon auf deinen nächsten Artikel.
    Viele Grüße aus dem schönen Norden,
    Bettina

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