Abi - und dann? / Bildung und Karriere / Gesellschaft und Lifestyle

Erfahrungen fürs Leben sammeln – nach dem Abi jobben gehen

Fünf unterschiedliche Geschichten
| Robin Thier |

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Erik Scheel | Pexels

Die Prüfungen sind bestanden und plötzlich stehst du da – ein Zeugnis in der Hand und ein paar Monate Zeit, bis die Ausbildung, das Studium, das Au-Pair-Jahr, das FSJ oder die große Reise losgeht. In dieser Zeit bietet es sich geradezu an, ein wenig Geld zu verdienen. Wir haben herumgefragt, was die Leute nach dem Abi gearbeitet haben und ob es eine gute Idee war. 

Amelie hat in einer Fabrik am Fließband gearbeitet.
Robin hat ein 3-monatiges Praktikum als Fotograf in einem Museum gemacht.
Michael war Zeitungen austragen, fünf Mal die Woche von 02.30 – 05.00 Uhr.
Lena hat in der Autoindustrie gearbeitet.
Ronja hat in Bäckereien ausgeholfen.

 Mehr Informationen zu den Möglichkeiten nach dem Abitur gibt es in unserem E-Book „Abi – und dann?„.

Wie bist du an die Stelle gekommen?

Amelie
Es handelte sich um ein Milchkontor mit Eisproduktion und saisonbedingt werden immer ein paar zusätzliche Hände benötigt. Ich habe mich bei der Zeitarbeitsfirma gemeldet, musste ein Formular ausfüllen, ein Gesundheitszeugnis vorweisen und unangenehme Gespräche mit dem schmierigen Sachbearbeiter aushalten, dann hatte ich den Job.

Robin
Um ehrlich zu sein: Ich hatte keinen festen Plan und habe den Kontakt durch ein Familienmitglied bekommen und habe mich dann nach Absprache einfach beworben.

Michael
Meine Mutter hat schon Zeitungen ausgetragen, also habe ich mich einfach bei ihrer Chefin gemeldet. Ich wusste über meine Mutter, dass immer Leute gesucht wurden. Ich wurde direkt genommen.

Lena
Ich hatte mich nur bei dieser Firma für diesen bestimmten Zeitraum beworben. Da mein Vater schon viele Jahre dort arbeitet und mich einige seiner Kollegen schon kannten, war die positive Rückmeldung absehbar.

Ronja
Ich habe bei der Bäckerei-Hauptfiliale angerufen und gefragt, ob es möglich ist, eine Art Ferien/Schüler/Studenten-Job zu machen. Die Chefin meinte sofort, ich solle abends mit meinem Lebenslauf vorbeikommen. So einfach ging das.

Wieso hast du dir diesen Job / das Praktikum gesucht?

Amelie
Ich wollte natürlich Geld verdienen. Aus reiner Bequemlichkeit habe ich mich zuerst bei dieser Firma beworben, weil ich dort mit dem Fahrrad hinfahren konnte. Außerdem hat es mich schon ein bisschen gereizt, mal Fließbandarbeit auszuprobieren. Später werde ich sicherlich keinen Job mehr haben, bei dem ich körperlich so hart arbeiten muss, wie in diesen paar Wochen.

Robin
Ich habe mich immer viel für digitale Bildbearbeitung interessiert aber zu der Zeit nicht wirklich für Fotografie, das kam erst später. Ich wusste nur, dass ich dort die Möglichkeit haben würde, mit der gängigen Software zu arbeiten und als Bonus habe ich auch noch das Fotografieren gelernt.

Michael: Ich wollte Geld fürs Wacken-Festival verdienen.

Lena
Ich habe direkt nach dem Abitur 4 Wochen gearbeitet, da ich das Geld, das ich für meinen Führerschein ausgegeben hatte, zurückverdienen wollte.

Ronja
Weil ich die Zeit zwischen dem Abi und dem Studium sinnvoll nutzen und nicht nur zu Hause auf dem Sofa herumsitzen wollte. Außerdem wollte ich noch ein paar andere Erfahrungen sammeln, bevor ich ab Oktober wieder die Uni-Bänke drücke.

Was war die wichtigste Lektion, die du in der Zeit gelernt hast?

Amelie
Kommunikation ist alles! Auch bei einem Fließbandjob mit den immer gleichen Handgriffen. Irgendwie musst du ja mit deinen Kolleg*innen gemeinsam eine Aufgabe lösen oder zumindest acht Stunden lang miteinander auskommen. Der Schlüsselmoment, in dem mir das bewusst wurde, war eine total banale Situation: Eine der älteren Damen deutscher Herkunft schimpfte über die Gastarbeiter*innen aus Rumänien, weil diese immer ihre Plastikbecher neben dem Wasserspender abstellten, anstatt sie in den Müll zu werfen. Das rassistische Gemurre der Alten nervte mich total und irgendwann verstand ich die Situation. Ich ging zu einem der Gastarbeiter, nahm einen der benutzten Becher und schmiss ihn in den unscheinbaren Mülleimer, der vermutlich mal ein Farbeimer gewesen war. „Ahhh“, sagte er und seine weit geöffneten Augen zeigten einen Ausdruck des Verstehens. An dem Tag lernte ich, dass man auch miteinander kommunizieren kann, ohne die gleiche Sprache zu sprechen.

Robin
Die wichtigste Lektion ist wohl die des Vertrauens. Das fing schon an, als ich am ersten Tag eine Kamera in die Hand gedrückt bekam, ohne jemals so ein Gerät bedient zu haben – aber ein paar Tage später konnte ich damit umgehen. Dann war ich wenig später einen Tag lang allein für ein großes Fotoprojekt zuständig, aber auch das hat geklappt. All diese Dinge haben mich erkennen lassen, dass man viel mehr kann, als man sich zunächst zutraut. Aber hätte man mir in diesen Dingen nicht vertraut, dann hätte ich diese Erkenntnis nie gemacht.

Michael
Vor einem Job, der nachts stattfindet, zu schlafen ist nicht hilfreich – geschlafen wird danach.

Lena
Die wichtigste Lektion, die ich in dieser Zeit gelernt habe, war einerseits, dass Wechselschichten enorm anstrengend sind, aber andererseits, dass auch die eintönigste Tätigkeit mit netten Kolleg*innen Spaß machen kann.

Ronja
Ich habe gelernt, dass es sehr stressig in einem Bäckereibetrieb zugehen kann und es manchmal wirklich schwierig ist, höflich zu bleiben. Deshalb habe ich inzwischen sehr viel Respekt vor Verkäufern/Verkäuferinnen im Allgemeinen (nicht nur in Bäckereien).

Wie hast du die langweiligen / anstrengenden Situationen überstanden?

Amelie
Acht Stunden am Fließband stehen war echt hart langweilig für mich. Teilweise konnte ich mir die Zeit durch Gespräche mit anderen vertreiben und in der Nachtschicht durften wir auch Musik hören, aber das hat irgendwann nicht mehr ausgereicht, die Zeit herumzukriegen. Als mir einmal die Minuten wie Stunden vorkamen, habe ich angefangen, mich an Märchen aus der Kindheit zu erinnern und sie mir möglichst detailgetreu selbst zu erzählen.

Robin
So wirklich langweilige oder anstrengende Situationen gab es nicht. Es war immer spannend, ich wurde super betreut und durfte sofort überall an laufenden Projekten mitarbeiten. Die einzige langwierige Aufgabe, an die ich mich erinnere: Wir mussten ca. 1000 Briefe mit Flyern befüllen, aber auch diese Aufgabe ging dank netter Kolleg*innen und guten Gesprächen sehr schnell vorbei.

Michael
Nachts auf dem Fahrrad das Nachtprogramm von Deutschlandfunk und WDR5 und später Hörbücher hören.

Ronja
Langweilig wird es selten, aber wenn doch, überlege ich, was ich später noch machen könnte (nicht Zukunftspläne, sondern eher Pläne für die nächsten paar Tage). Oder ich unterhalte mich mit Kolleginnen. Bei stressigen Situationen war ich anfangs ziemlich überfordert, inzwischen nehme ich mir trotzdem ausreichend Zeit für die Kunden, auch, damit ich beim Bezahlvorgang keine Fehler mache.

Wie viel hast du verdient?

Amelie
Mein Stundenlohn war 8.19 €, das war also noch vor dem Mindestlohn, aber trotzdem eine Menge Geld für mich. Ich arbeitete knapp einen Monat und mit Nachtschichten habe ich gute 900 € kassiert. Das war für mich der ideale Puffer für mein Au-Pair Jahr in Madrid. Klar, der war Monat hinüber, weil die Arbeit so anstrengend war, dass ich nichts anderes gemacht habe, als zu arbeiten und zu schlafen. Aber eigentlich hatte ich auch nichts anderes zu tun in der Zeit.

Robin
Es wurde eine Aufwandsentschädigung gezahlt. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, meine aber das waren 150-180€ im Monat.

Michael
Da man Zeitungen im Akkord verteilt, bin ich auf 14,50 € pro Stunde gekommen. Wer langsamer ist, verdient weniger, wer schneller ist, verdient mehr. Allerdings kann man jede Nacht nur 2-3 Stunden arbeiten.

Lena
Ich bekam etwas über 14€/Stunde.

Ronja
Ich bekomme den Mindestlohn, weil ich als Aushilfe nur geringfügig beschäftigt bin.

Würdest du es noch mal genauso machen?

Amelie
Ich finde, es ist eine wertvolle Erfahrung, mal so einen Knochenjob gemacht zu haben. Außerdem habe ich mich ja dann mit sehr schönen Reisen durch Spanien belohnt.

Robin
Ja, definitiv. Die Zeit hat mich in dem geprägt, was ich danach getan habe und auch darin, was ich aktuell mache. Sie gab mir die Möglichkeit, zu erkennen, dass es fernab von Schule unglaublich viel zu lernen und zu entdecken gibt, und hat mich darin bestätigt, dass ich mich in dem ganzen Medien-Kram sehr wohlfühle.

Michael
Nicht ganz genau so. Es gibt Unternehmen, die nachts bessere Jobs bieten: Nachtkurier oder Brötchenfahrer oder so was. Daher würde ich, wenn es um Nachtschichten geht, etwas anderes machen.

Lena
Nach dem Studium möchte ich möglichst innerhalb meines Faches arbeiten. Aber während des Studiums (in den Semesterferien) kann ich mir durchaus vorstellen, zu jobben. Ich habe in den nachfolgenden beiden Jahren bereits noch zweimal gejobbt, würde es aber wieder tun, sollte ich noch einmal mindestens vier Wochen Zeit haben.

Ronja
Ja, weil ich gelernt habe (und auch immer noch erfahre), wie es so im Arbeitsalltag zugeht, wie man sich Kunden gegenüber verhalten sollte und wie man in stressigen Situationen einen halbwegs klaren Kopf behält. Außerdem habe ich die Zeit zwischen Abi und Studium nicht sinnlos verschwendet, sondern habe Erfahrungen sammeln und auch gleichzeitig ein bisschen Geld verdienen können, was für ein Studium bestimmt auch praktisch sein kann.

Fazit

Klar, das waren alles keine berauschenden Jobs. Aber wie haben wertvolle Erfahrungen gemacht und unseren Horizont erweitert Und nicht zu vergessen: Es gab Kohle!

Unterstützen

Wenn dir der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über eine kleine Spende freuen.



Noch mehr Stories? Folge seitenwaelzer:

Robin Thier

Gründer von seitenwaelzer, lebt in Münster und beschäftigt sich in seiner freien Zeit mit Bildbearbeitung, Webseitengestaltung, Filmdrehs oder dem Schreiben von Artikeln. Kurz: Pixelschubser.

Bild zeigt Luca auf der BühneDavid Hinkel

„Wenn ich’s jetzt nicht probiere, dann nie“ – Stand-Up-Comedian Luca Jonjic im Interview

Inga Nelges | seitenwaelzer.de

Vom männlichen und weiblichen Blick – Ein Gang durch die „Nudes“-Ausstellung des LWL-Museums in Münster

Vadim Kaipov | Unsplash

„Entmenschlicht. Warum wir Prostitution abschaffen müssen“ von Huschke Mau – Eine Buchrezension

Das Bild zeigt eine Straße auf der mit Kreide "'Mach mir ein Baby, Süße!' #stopptBelästigung @CatcallsOfBielefeld" geschrieben stehtCatcalls of Bielefeld

„Catcalls of Bielefeld“ setzt ein Zeichen gegen Catcalling – Ein Interview

Tags:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir benutzen Cookies, mit der Nutzung unserer Webseite erklärst du dich damit einverstanden. Hier gibt's weitere Infos.