Die drei Meerjungfrauen / Wissenschaft und Technik

Queerness im Meer

Es ist Juni und überall werden die Pride Flags gehisst. Um Queerness zu verstehen, schauen Wissenschaftler:innen schon lange auch in […]
| Anna Fiesinger |

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Eine Reihe von schmalen leichtenden Neonröhren auf einer Betonwand ergeben ein Herz in Regenbogenfarben.Jiroe Matia Rengel | Unsplash

Es ist Juni und überall werden die Pride Flags gehisst. Um Queerness zu verstehen, schauen Wissenschaftler:innen schon lange auch in die Tierwelt. Heute möchte ich einen Blick unter Wasser werfen, denn auch im Meer gibt es mehr Queerness als ein Regenbogen Farben hat!

Im Juni, dem Pride Month, zelebrieren queere Menschen ihre Vielfalt. Die Ursprünge des Pride Month gehen auf den Stonewall-Aufstand im Juni 1969 zurück, als sich queere Menschen im Stonewall Inn, einer Bar in New York City, gegen polizeiliche Diskriminierung und Gewalt zur Wehr setzten. Der Aufstand gilt als Meilenstein in der LGBTQIA+-Bewegung und markiert den Beginn einer breiteren Sichtbarkeit um den Kampf für Gleichberechtigung und Akzeptanz queerer Menschen. Seitdem hat sich der Pride Month zu einer internationalen Feier entwickelt, um auf die bestehende Diskriminierung der LGBTQIA+ Community aufmerksam zu machen. Nicht überall ist der Pride Month – oder gar LGBTQIA+-Repräsentation – so sichtbar. In insgesamt 64 Ländern ist Homosexualität weiterhin ein Verbrechen. In nur 34 Staaten weltweit gibt es die Ehe für Alle. Selbst in Deutschland gibt es sie erst seit 2017; im Jahre 1994 wurde der Paragraph 175 im Strafgesetzbuch, welcher mehr als 100 Jahre lang Homosexualität kriminalisierte, abgeschafft. Und auch bei der Abschaffung des sogenannten „Transsexuellengesetzes“, welches in Deutschland seit 1981 über die „Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen“ entscheidet, ist das Warten auf Gleichbehandlung lang. Das Gesetz steht seit langer Zeit in Kritik, denn es verletzt die Menschenwürde von trans* Personen; sie müssen ein teures, langwieriges, aufwendiges und diskriminierendes Verfahren durchlaufen, um vor Gericht ihre Transgeschlechtlichkeit zu belegen, unter anderem mit medizinischen Gutachten. Dieser Prozess pathologisiert Transgeschlechtlichkeit nicht nur, er erschwert auch die gesellschaftliche Akzeptanz für Transgeschlechtlichkeit und Genderqueerness und entzieht trans* Menschen die Möglichkeit zur Selbstbestimmung.

Queerness is natural

Homophobie und Queerfeindlichkeit sind in unserer Gesellschaft noch fest verankert. Das hat unterschiedliche Gründe. Viele nennen die Kirche als einen Faktor. Andere wiederum die Biologie. Es gibt viele Aktivist:innen, die bereits tolle Aufklärungsarbeit leisten, was Homosexualität und die (christliche) Kirche betrifft. Denn, dass ersteres ein Verbrechen sein soll, steht so gar nicht in der Bibel. Matt Bernstein, auf Instagram besser bekannt als mattxiv, ein queerer Influencer aus den USA, klärt in einem Instagrampost auf, dass ganze Passagen aus der Bibel, die das altgriechische Wort für „Knabenschader“ enthielten, was so viel heißt wie ein pädophiler Mensch, umgeschrieben wurden und das Wort stattdessen mit „Homosexueller“ übersetzt wurde. Auch gibt es bereits zahlreiche Gegenargumente, dass die Natur rein heterosexuell geprägt sein soll. Das ist sie nämlich ganz und gar nicht. Denn nur mit der Fortpflanzungskeule zu schwingen, ist zu einfach gedacht. Mehr als 1500 Tierarten sind mittlerweile bekannt, die nicht-heterosexuelles Verhalten an den Tag legen. Der kanadische Biologe Bruce Bagemihl wollte mit seinem 1999 erschienenen Buch Biological Exuberance: Animal Homosexuality and Natural Diversity als einer der Ersten aufräumen mit dem allgegenwärtigen „Fakt”, dass Homosexualität sich nicht in der Natur finden würde und somit auch beim Menschen etwas „abnormales” sei. In ihrem Buch Bi: The hidden culture, history and science of bisexuality fasst Julia Shaw das Werk von Bruce Bagemihl sehr treffend zusammen und setzt es in den Kontext mit anderen Arbeiten zu dem Thema, wobei sie herausarbeitet, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der default in der Natur Heterosexualität sei. Beispielsweise hat Julia Monk mit Kolleg:innen in einer 2019 erschienenen Publikation festgestellt, dass es viel wahrscheinlicher ist, dass der Ausgangszustand natürlicher Sextriebe Bisexualität sei, von wo aus sich unterschiedliche Arten in verschiedenster Weise entwickelt hätten. Erwähnenswert ist hier, wenn ich von homo-, hetero- oder bisexuellen Verhaltensweisen spreche, meine ich genau das: die Verhaltensweisen, nicht jedoch die sexuelle Orientierung der Tiere. Anders als beim Menschen kann man die Tiere schließlich nicht nach ihrer Orientierung befragen und so lediglich Präferenzen beobachten. D.h. wenn ein Weibchen die Möglichkeit hätte, sich mit einem anderen Weibchen zusammenzuschließen oder mit einem Männchen zu paaren und zieht dabei das Weibchen vor, dann kann man von einer Präferenz sprechen. Wenn man jedoch keine Präferenz beobachten kann, sondern lediglich ein Verhalten betrachtet, dann ist es ganz klar von der menschlichen sexuellen Orientierung und Identität abzugrenzen.

Sex Sex Sex

Nun möchte ich anlässlich des Monats der queeren Repräsentation ein paar Beispiele aus dem Meer bringen, denn die gibt es zuhauf! Da ist zum Beispiel der Tiefseekalmar Octopotheutis deletron, der absolut unbeirrt alles, was an ihm vorbeischwimmt, mit Spermien versorgt, unabhängig vom Geschlecht des Gegenübers. Verständlicherweise. Denn sie leben in tiefster Dunkelheit, die Tiefsee ist nicht gerade dafür bekannt, viel bevölkert zu sein und auch sonst ist das Leben dort unten relativ anstrengend und einsam. Nur gelegentlich zieht mal ein anderer Kalmar vorbei. Also scheint es absolut logisch, das vorbeiziehende Gegenüber zu befruchten. Anders als ihr es aus unserem Podcast, Die drei Meerjungfrauen, schon von anderen Kalmaren und Tintenfischen kennt, wo der Arm des Männchens mit einer Schaufel Spermien in eine Tasche des Weibchens einführt, schießt Octopotheutis deletron ein Paket aus Millionen von Spermien, die von einer Membran geschützt sind, auf das Ziel (also den anderen Kalmar). Dort stülpt sich das Paket nach außen und die Spermien betten sich in das Gewebe des Gegenübers ein. Wenn dies ein Weibchen ist, muss dieses noch solange warten, bis es selbst Eier produzieren kann. Solange verweilen die Spermien in ihrem Gewebe. War es ein Männchen – dann leider Chance verpasst. 

Bush et al. (2009) | The Biological Bulletin Tiefseekalmar Octopotheutis deletron

Ein weiterer Blick ins Tierreich der Meere bringt uns zu den Seesternen, die wirklich alle queeren Verhaltensweisen an den Tag legen, die man als Stachelhäuter so ausüben kann. Julia Shaw nennt sie daher sogar die „mascots for queerness”. Viele Seesternarten sind hermaphrodit*: Sie haben sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie sich selbst befruchten können. Dazu braucht es weiterhin eine:n Partner:in. Daher verwundert es nicht, dass bei Seesternen überwiegend „bisexuelles” Verhalten beobachtet werden kann, da sie einfach ihren Arm zur Paarung ausstrecken, unabhängig wer ihr Gegenüber ist. Andere Seesterne wiederum ändern im Laufe ihres Lebenszyklus ihr Geschlecht oder sind sogar in der Lage, sich asexuell fortzupflanzen, also ganz ohne ein Gegenüber zum Befruchten.

Linus Nylund | Unsplash Seestern am Meeresboden

It’s not all about sex

Nun möchte ich aber auch noch auf Beispiele aus dem Meer eingehen, die zeigen, dass es nicht allen Tieren nur um ihre Fortpflanzung geht und somit auch die Diskussion um Queerness in der Natur so langsam eine andere Richtung einnehmen kann. Da sind zum Beispiel die Seepferdchen. Seepferdchen sind allgemein ja das Süßeste, was sich der Ozean mal ausgedacht hat. Jede:r, der:die mal ein Seepferdchen gesehen hat, wird das sicherlich bestätigen können. Seepferdchen widersetzen sich total entspannt den von uns auferlegten Geschlechterrollen; die Männchen tragen die Eier aus und bringen die Jungtiere zur Welt. Weiterhin sind fast alle Seepferdchen bisexuell und gehen Beziehungen sowohl mit männlichen als auch mit weiblichen Partner:innen ein. Kein Wunder, dass auch diese Tiere zu Symbolen für queere Menschen – in diesem Fall schwangere trans* männliche Personen – geworden sind.

Naomi Tamar | Unsplash Seepferdchen

Dann lohnt sich noch ein Blick in die Welt der Delfine: Die Männchen der Delfinart der Großen Tümmler, Delphinus truncatus, paaren sich nämlich sehr gerne mit anderen Männchen. In ihrem Kapitel Establishing trust: socio-sexual behaviour and the development of male-male bonds among the Indian Ocean bottlenose dolphins in dem Sammelband Homosexual Behaviour in Animals herausgegeben von Volker Sommer und Paul L. Vasey arbeitet Janet Mann heraus, dass es den Delfinen in dieser Art von Partnerschaft nicht primär um Sex, sondern um soziale Beziehungen geht. Homosexuelle Paare finden sich meist schon in jungen Jahren und bleiben dann lange in einer engen Beziehung zusammen. Die Männchen werden zu Gefährten, legen gemeinsam weite Strecken im Ozean zurück und verteidigen sich gegenseitig. Beispielsweise wurde beobachtet, dass, wenn ein Partner schläft, der andere wacht und Ausschau nach potentiellen Raubtieren hält. Auch während der Geschlechtsreife und der Fortpflanzung mit weiblichen Delfinen verweilen die Männchen in ihrer homosexuellen Beziehung. Wenn ein Partner stirbt, bleibt der „Witwer“ oft lange Zeit allein. So fördern sie die sozialen Dynamiken innerhalb ganzer Delfingruppen, indem sie Beziehungen innerhalb der Gruppe aufbauen, pflegen und stärken. Sie sind vom Verhalten her alle bisexuell, denn sie gehen sowohl gleich- als auch getrenntgeschlechtliche Partnerschaften ein. Bei den Weibchen ist dieses bisexuelle Verhalten jedoch nicht zu beobachten.

Ádám Berkecz | Unsplash Großer Tümmler

Weibchen-Weibchen Paare gibt es aber bei anderen Tierarten: zum Beispiel dem Laysan Albatross, Phoebastria immutabilis, auf Hawai’i. Dort wurden in einer Studie mehr als 30% weibliche homosexuelle Paare gefunden, die langfristige Beziehungen eingehen. Die Albatrosse, monogam lebende Tiere, bauen in ihren Weibchen-Weibchen-Beziehungen gemeinsam Nester, verteidigen diese und ziehen zusammen ihre jeweiligen Jungen auf. Ebenso wie bei den männlichen Delfinen pflanzen sich die Albatrosse auch in ihren homosexuellen Beziehungen fort, bleiben jedoch immer bei ihrer weiblichen Partnerin. 

http://theworldbirds.org/ Fliegender Laysan Albatross

Nemo und seine Freund:innen

Und last but not least: der Clownfisch! Clownfische – spätestens seit „Findet Nemo” die Stars des Meeres – leben in kleinen Gruppen in ihren Anemonen im Matriarchat. Ein Weibchen, meist der größte Fisch der Gruppe, gibt hier den Ton an. Der Rest der Gruppe ist ebenfalls in Größenordnungen getrennt: neben dem dominanten Weibchen gibt es ein etwas kleineres Männchen und mehrere Jungtiere. Wenn das (Boss-)Weibchen allerdings verschwindet – gefressen, kein Bock mehr, etc. – ergreifen alle untergeordneten Fische die Gelegenheit, in ihrem Rang aufzusteigen. Sie wachsen, das Männchen wird zum dominanten Weibchen und nimmt ihren Platz ein. Das größte der Jungtiere wird zum Männchen und bildet somit mit dem neu gewordenen Weibchen ein Brutpaar, nachdem es jetzt rasch geschlechtsreif wird. Der Vorteil dieses Prozesses ist, dass nun keiner der Fische eine neue Gruppe suchen und sich dadurch in das womöglich gefährliche Riff voller Fressfeinde begeben muss. Dieser sex change wird im Fall der Clownfische durch soziale Veränderungen ausgelöst, die wiederum ermöglichen, dass bestimmte Gene, die den Prozess der transition auslösen, angeschaltet werden. In anderen Knochenfischen werden alle Männchen zu Weibchen, sobald sie ein bestimmtes Alter bzw. eine bestimmte Größe erreicht haben. 

David Clode | Unsplash Clownfish in einer Anemone

Wie man unschwer erkennen kann, ist Queerness allgegenwärtig, ob beim Menschen oder im Tierreich. Meine Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wenn euch das Thema interessiert, dann lohnen sich ein paar Klicks in der Suchmaschine eurer Wahl und ihr findet noch zahlreiche Lebewesen – ob im Meer oder an Land – die sich von Geschlechts- und Sexualitätsnormen abgrenzen. Und wie so vieles im Meer haben wir auch das noch nicht ansatzweise genug erforscht!

*Anmerkung der Autorin: hermaphrodit wird hier als Bezeichnung für das Tierreich verwendet. Dies ist nicht zu verwechseln mit dem negativ konnotierten Begriff, der lange Zeit als Fremdbezeichnung synonym für intersex Menschen verwendet wurde.

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Anna Fiesinger

Anna ist angehende Meeresbiologin. In ihrer Doktorarbeit beschäftigt sie sich mit der Frage, ob bestimmte Gene dafür verantwortlich sind, dass die Korallen im Persischen Golf so hitzebeständig sind, dass sie Temperaturen aushalten können, von denen ihre Geschwisterarten am Great Barrier Reef in Australien nur träumen können. Zu einem guten Leben gehören ihrer Meinung nach viel Kaffee, Gin und Kuchen. Und eine (ziemlich große) Prise Gesellschaftskritik.

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