Die drei Meerjungfrauen / Meinung / Wissenschaft und Technik

Korallen, Klimawandel und Klimaangst

Laut neuesten Daten haben wir die 1,5-Grad Marke bereits überschritten. Korallen haben wenig Chancen aufs Überleben über dieses Jahrhundert hinaus.
| Anna Fiesinger |

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Daniel Öberg | Unsplash

Laut neuesten Daten des europäischen Klimadienstes Copernicus haben wir die 1,5-Grad Marke erstmals in einem Zeitraum von einem Jahr überschritten. Das Pariser Klimaabkommen scheint passé, die Nachrichten zu Klimakatastrophen häufen sich. Inmitten dieser Krise arbeite ich, an einem Ökosystem, das schon heute wenig Chancen aufs Überleben über dieses Jahrhundert hinaus hat. Selbstverständlich habe ich also Angst um meine Zukunft, um die Zukunft des Planeten und der Korallenriffe, die ich studiere. Doch Aufgeben ist ja irgendwie auch nicht drin – in diesem Text versuche ich Mut zu machen, auch wenn mir selbst oft der Mut fehlt.

Ich hatte schon immer eine ausgeprägte Faszination für das Meer und seine Bewohner. Lange Zeit stellte ich mir vor, wie schön es sein müsste, als Delfin durch die Ozeane zu gleiten. Wenn man mein Kinderzimmer betrat, kam man nicht drumherum zu sehen, wie sehr ich Delfine liebte: Delfinskulpturen, Delfinposter an der Wand und Delfinbücher, wohin das Auge reichte. Zur Einschulung bekam ich sogar einen Delfinranzen – was für ein Traum! Diese Faszination konzentrierte sich irgendwann auf Korallen, je mehr ich erfuhr über die farbenfrohen Korallenriffe, die sie formen. Korallen, das sind skelettformende Tiere, die durch das Zusammenleben (sogenannte Symbiose) mit einzelligen Algen in den verschiedensten Farben leuchten. Schon damals – wenn ich durch meine GEOlino-Hefte blätterte – war mir bewusst, dass der Klimawandel ein großes Problem für Korallenriffe darstellte und noch darstellen würde. Naiv wie ich war, dachte ich noch, ich würde die nächste Sylvia Earle werden und eigenhändig alle Korallenriffe der Welt retten. Je älter ich wurde, musste ich mir jedoch eingestehen, dass niemanden so richtig interessierte, was mit den Ökosystemen unserer Welt geschah, angefangen beim Regenwald bis hin zu den Tiefen unserer Ozeane. In einem weiteren Anfall von Naivität beschloss ich also, Meeresbiologin zu werden, um meinen Teil im Kampf gegen den Klimawandel beizutragen. 

Der Klimawandel ist längst vor unserer Haustür

Heute, fast fünfzig Jahre nach dem ersten Weltklimagipfel und dem langjährigen Wissen um den Treibhausgaseffekt, ist die Korallenriffcommunity in großer Aufruhr. Die Bilder von bleichenden Korallen in der Karibik im letzten Jahr häuften sich. Normalerweise ist die Korallenbleiche ein schrittweiser Prozess. Korallen leben in einer wechselseitigen Beziehung mit einzelligen Algen: Die Algen wohnen im Gewebe des Korallentiers, geschützt vor äußeren Umwelteinflüssen, und geben im Umkehrschluss der Koralle Energie ab, die sie durch Photosynthese erhalten. Beide profitieren also von dieser Symbiose. Wenn das Korallentier jedoch gestresst wird, sei es zum Beispiel durch steigende Wassertemperaturen, kann es sein, dass sie die Algen abstoßen. Da die Algen der Koralle ihre Farbe verleihen, bleibt am Ende nur das weiße Kalkskelett und das darüberliegende durchsichtige Gewebe der Koralle, weshalb Korallenbleiche eine ziemlich gute Beschreibung des Geschehens ist. Das heißt aber nicht, dass die Korallen sterben müssen. Korallen können für einen bestimmten Zeitraum ihren Energiebedarf anderweitig decken, zum Beispiel indem sie Plankton aus dem Wasser aufnehmen und somit, statt Photosynthese zu betreiben, „feste“ Nahrung zu sich nehmen. Wenn der Stress vorüber ist, können sie erneut Algen aus dem umliegenden Wasser aufnehmen. Hält der Stress jedoch sehr lange an, sterben die Korallen meist ab. Die massive Korallenbleiche, die wir im letzten Jahr erlebt haben, scheint für einige Regionen eine der schlimmsten zu sein. Die Karibik ist schon Jahrzehnte lang geplagt von anthropogenen Einflüssen. Etwa 80 Prozent der Korallendiversität ist in den letzten Jahrzehnten bereits verloren gegangen. Und hier wurden nun Korallen gesichtet, die gar nicht erst den Umweg über die Korallenbleiche genommen haben, sondern sich in den hohen Temperaturen einfach aufgelöst haben. Es ist wirklich furchteinflößend, denn diese ökologische Katastrophe geschieht nicht in einem Vakuum. Es gab zahlreiche Vorwarnungen. Immer und immer wieder haben Wissenschaftler:innen vor diesem Moment gewarnt. Seit Jahrzehnten ist klar, dass der Klimawandel nicht nur existiert, sondern mit schnellem Schritt voranschreitet und unser Leben in jeglicher Art und Weise beeinflusst und noch beeinflussen wird. Heute schauen wir mit Entsetzen in die Karibik und fragen uns, wie viele Korallen diese Temperaturen wohl überleben werden und ob dies der Anfang einer globalen Korallenbleiche war. Diese ist gegeben, wenn flächendeckende Korallenbleichen sowohl im Atlantik, im Pazifik als auch im Indischen Ozean stattfinden. In der Vergangenheit gab es – neben zahlreichen lokalen und regionalen Korallenbleichen – drei dieser globalen bleaching events: 1998, 2010 und das größte und längste zwischen 2014 und 2017, in dem bis zu 50 Prozent der Korallendiversität des Großen Barriereriffs vor Australien verloren wurde. Die Korallenbleiche des letzten Jahres macht Angst: Denn in weiten Teilen der Welt – auf dem australischen Kontinent zum Beispiel – fängt der Sommer gerade an. The apocolypse is now, wir verschließen nur gern unsere Augen davor. 

Korallen im Klimawandel

Auch „meine“ Korallen sind akut vom Aussterben bedroht. In meiner Doktorarbeit beschäftige ich mich mit zwei Korallenarten aus dem Persischen Golf, das mittlerweile heißeste Meer der Welt. Zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten im Süden, Saudi Arabien im Westen und dem Iran im Norden gelegen leben hier Korallen nahezu an der Grenze ihrer Hitzetoleranz: die Sommertemperaturen des Wassers überschreiten gerne mal 35 °C. Von richtigen Riffen kann man im Persischen Golf jedoch nicht sprechen, schon gar nicht von gesunden. Eher findet man vereinzelt Ansammlungen einiger Korallenarten neben Haufen von Sand, Steinen und verstorbenen Korallenskeletten. Die wenigen Korallenarten, die es schaffen, hier zu überleben, haben bereits mehrere Korallenbleichen miterlebt. Es wirkt fast so, als klammern sie sich müde an die letzten Reserven, die sie noch aufbringen können, um den hohen Temperaturen standzuhalten. Wie schaffen es diese Korallen dennoch, in solch einer extremen Umgebung zu überleben? Eine Theorie ist die Symbiose mit einer Algenart, der nachgesagt wird, besonders hitzeresistent zu sein. Ich möchte in meiner Doktorarbeit schauen, ob alle Korallen, die wir entlang der Küste der Arabischen Emirate beprobt haben, diese Algenart in ihrem Gewebe tragen. Außerdem möchte ich die Frage beantworten, was uns die Genome der Koralle und dieser Alge über deren Hitzeresistenz sagen können. Später könnten wir dann – rein theoretisch – mit diesem Wissen Korallen identifizieren, die besonders hitzeresistent sind und sie entweder in Riffe bringen, die stark vom Klimawandel beeinträchtigt sind oder unsere Erkenntnisse für genetische Modifikationen nutzen, die betroffenen Korallen helfen können, sich besser an hohe Temperaturen anzupassen. Ob das klappt, ist eine andere Frage, denn bis wir das nötige Wissen haben und es auch umsetzen können, mag es für die meisten Korallen zu spät sein. Weiterhin bleibt offen, ob wir es überhaupt auf so großen Skalen anwenden können, dass wir weite Teile unserer Riffe retten könnten.

Was tun mit der Ohnmacht?

Alles in allem also schlechte Aussichten. Es ist leicht, dabei in eine Ohnmacht zu verfallen. Es gibt Tage, da bin ich mir sicher, dass das alles nichts bringt, dass sich nie etwas ändern wird. Ich trauere um all die Schicksale der Menschen, die aufgrund des Klimawandels fliehen müssen, nur um dann vor den Grenzen Europas zu sterben, weil die Staatsoberhäupter in ihren Elfenbeintürmen darüber beraten, ob und wie viele Menschen aufgenommen werden dürfen. Ich trauere um die Menschen, die heute schon stark vom Klimawandel beeinträchtigt sind, deren Schicksale es nicht in unsere Medien schaffen. Ich trauere um die Menschen im Ahrtal, die 2021 erleben mussten, wie performativ deutsche Parteien mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen umgehen: Politiker:innen, die zu den Schauplätzen der Fluten fahren und sich offen zu radikaleren Klimaschutzmaßnahmen bekennen, nur um in ihre geschützten Penthouse-Wohnungen zurückzukehren und in ihrem tagtäglichen Business all die Bilder wieder zu vergessen. 

Aber genauso leicht ist es, sich in der Konsumkritik zu verlieren, sich auf jedes kleines bisschen zu stürzen, das wir in unserem Alltag an CO2 einsparen könnten. Das klingt erstmal logisch, denn im Gewusel der Welt scheint es meist das einzige zu sein, auf das wir einen aktiven Einfluss haben können. Dieser Fokus auf das Individuum und seine Verantwortung, den jahrelanges Vertuschen der Folgen des CO2-Ausstoßes von großen Ölkonzernen hervorgerufen haben, bringt uns jedoch lediglich dazu, uns auf die kleinen Details unseres Alltags zu fokussieren, anstatt das große Ganze zu betrachten. Wo bleibt unsere kollektive Kraft, für eine lebenswertere Zukunft zu kämpfen, wenn wir damit beschäftigt sind, uns mit unseren Mitmenschen darüber zu streiten, welche Bambuszahnbürste die ökologischere ist, während Großkonzerne fröhlich weiter produzieren, ausbeuten und ausstoßen?

Ein etwas weiterer Schritt wäre dann, sich den Forderungen von Gruppierungen wie Fridays for Future oder der Letzten Generation anzuschließen. Was aber bleibt, wenn jene Bewegungen nur Appelle an Politiker:innen richten, die nicht im Interesse der Bevölkerung handeln, sondern lediglich im Interesse des Kapitals? Was bleibt, wenn alles ausweglos erscheint? Ich frage mich oft, ob Klimaaktivist:innen, die System Change Not Climate Change rufen, überhaupt wissen, was damit gemeint ist. Denn genau das brauchen wir: einen Systemwandel. Keine Politik im grünen Anstrich, die die gleichen Hebel ungeachtet lässt wie ihre konservativen Koalitionspartner. Im Kapitalismus kann keine klimagerechte Welt entstehen, da das System auf Ausbeutung aufgebaut ist. Die Klimakrise kann nicht losgelöst von der kapitalistischen und kolonialen Aneignung und Ausbeutung von Land, Natur und Menschen betrachtet werden. Wer das tut, hat ein verkürztes Verständnis von Klimawandel und Politik. 

Wie aber ein ganzes Wirtschaftssystem verändern, das in den meisten Teilen der Welt fest verankert ist? Die einzige Hoffnung, die mir bleibt, ist das kollektive Erwachen. Ich wünsche mir, dass sich unser Verständnis vom Kapitalismus als die einzig wahre Wirtschaftsform verändert. Dass wir beginnen zu hinterfragen, in welcher Welt wir leben wollen und wie wir ein solidarisches, ökologisches und respektvolles Miteinander leben können. Ich wünsche mir, dass wir auch im Westen anfangen, Gebiete zu schaffen, die Klimagerechtigkeit leben und sich in anti-kapitalistischen Strukturen zusammenfinden, wie es vereinzelte Strukturen bereits vormachen (wie beispielsweise die Zapatistas in Mexiko). Ich wünsche mir, dass sich diese Gebiete häufen und größer werden. Dass die Art, in der wir denken, wirtschaften und handeln, sich auf großen Skalen verändert. An dunklen Tagen, an Tagen, an denen ich mich in Trauer und Wut verliere, bleibt mir meist nur daran zu glauben, dass es ein befreites Morgen geben kann. Ein klimagerechtes, solidarisches, ökologisches Morgen. Ein Morgen, in dem meine Korallen nicht mehr vom Aussterben bedroht sind. Und wenngleich ich damit innerhalb meiner Wissenschaftscommunity relativ alleine dastehe, hilft mir, mich in Bewegungen zu organisieren, die für eine kapitalismusbefreite, klimagerechte Zukunft kämpfen. Denn im Kollektiv liegt in meinen Augen eine Kraft, die wir in unserer individualismusfokussierten Kultur verloren zu haben scheinen. Es liegt an uns sie wieder zurückzuholen. 

Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.

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Anna Fiesinger

Anna ist angehende Meeresbiologin. In ihrer Doktorarbeit beschäftigt sie sich mit der Frage, ob bestimmte Gene dafür verantwortlich sind, dass die Korallen im Persischen Golf so hitzebeständig sind, dass sie Temperaturen aushalten können, von denen ihre Geschwisterarten am Great Barrier Reef in Australien nur träumen können. Zu einem guten Leben gehören ihrer Meinung nach viel Kaffee, Gin und Kuchen. Und eine (ziemlich große) Prise Gesellschaftskritik.

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