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„Sind deine Vorlesungen eigentlich alle auf Englisch?“ – Das Anglistik/Amerikanistik-Studium

Was macht man eigentlich beim Anglistik-Studium? Ronja berichtet aus ihrem Bachelor-Studiengang.
| Ronja Thier |

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Ronja Thier

Anglistik ist vielfältig

„Sind deine Vorlesungen eigentlich alle auf Englisch?“ – Diese Frage wird mir am häufigsten gestellt, wenn das Gesprächsthema auf mein Studium fällt. Um die Spannung gleich vorweg aufzulösen: Nein, natürlich auf Italienisch.

Also im Englisch-Studium werden natürlich alle Vorlesungen auf Englisch gehalten. Unabhängig davon, ob man, so wie ich, auf Lehramt studiert, oder mit einem anderen Ziel. Und nicht nur die Vorlesungen, sondern auch die Übungen, Seminare und Tutorien werden auf Englisch abgehalten. Kurzum: Betritt man das Englische Seminar der WWU Münster, betritt man quasi eine kleine englische Insel mitten im Herzen der Stadt, auf der die Dozenten nur Englisch mit den Studierenden sprechen, die Plakate an den Wänden auf Englisch sind und die Studierenden untereinander gerne mal in ein – für Außenstehende etwas verwirrendes – Denglisch verfallen.

Zwar sollte man in der Lage sein, Englisch so weit zu verstehen, dass man einer 90-minütigen Veranstaltung einigermaßen folgen kann, aber dass man unbedingt Englisch-Einser-Schüler/in oder Englisch-Muttersprachler/in sein muss, um die Sprache zu studieren, ist ein Irrtum. Gerade in den ersten Semestern gibt es genügend Kurse, die dabei helfen, Grammatik und Aussprache zu verbessern.

Doch woraus besteht ein Anglistik/Amerikanistik-Studium eigentlich? Vokabellernen? Grammatikpauken? Shakespeare??

Im Bachelor-Studium wird hauptsächlich zwischen drei großen Modulen unterschieden: Literary and Cultural Studies (Literatur- und Kulturwissenschaften), Linguistics (Sprachwissenschaften/Linguistik) und Englisch as a Foreign Language (EFL) / Focus on the Learner (Englisch als Fremdsprache / Fokus auf dem/der Lernenden). Vokabellernen und Grammatikpauken waren in der Schule angesagt, hier geht es allgemein um die Anwendung des Gelernten. Im Studium wird durchaus auch vorausgesetzt, dass man inzwischen genügend Vokabeln beherrscht, um sich Texte einigermaßen erschließen zu können. (Und im Notfall hat man ja ein Handy in der Tasche mit dem man schnell einzelne Wörter nachschauen kann.) Wer sich mit der Grammatik oder der englischen Aussprache noch ein wenig unsicher ist, kann auch beruhigt sein, denn die Übungen zur Auffrischung grammatikalischer Grundlagen und zur Verbesserung der Aussprache sind extra darauf ausgelegt, den Studierenden den Weg ins Englisch-Studium zu vereinfachen und ihnen einen sicheren, einfachen Umgang mit der Sprache zu ermöglichen.

In Literary and Cultural Studies geht es, wie der Name schon vermuten lässt, viel um Literatur und Kultur und die Arbeit mit verschiedenen Textformen. Aber auch Film-, Comic- und Gender-Studien sind eng mit den Literary and Cultural Studies verbunden. So lernt man beispielsweise viel über verschiedene Lese- und Analyse-Arten von Texten und Filmen, wie zum Beispiel feministische, postkolonialistische oder dekonstruktivistische Ansätze. (Klingt erstmal sehr kompliziert, ist es aber eigentlich nicht.) Literary and Cultural Studies ist ein sehr breit gefächertes Modul, das Kurse über Shakespeare und Dickens bis hin zu Zombie-Literatur beinhalten kann. (Das meine ich ernst: ich hatte Kurse zu Gender in Horrorfilmen, Comicbuch-Studien und Zombie-Erzählungen.) Man sollte sich aber auf gar keinen Fall von der Aussicht auf Shakespeare (oder Dickens) abschrecken lassen, denn natürlich bekommt man nicht einfach die Texte an den Kopf geworfen und muss dann schauen wie man damit zurechtkommt. Die Texte und Themen werden ausführlich erklärt und besprochen, sodass man am Ende auch Hamlets seitenlange Monologe gut verstehen kann. Dabei entstehen in den Kursen auch gerne mal interessante und lebhafte Diskussionen. Und wer weiß, vielleicht entdeckt der ein oder andere so ja auch ein gewisses neues Interesse? Ich zum Beispiel habe mich vor meinem Studium wenig mit Shakespeare, Horrorfilmen, dem Zombie-Genre oder Comics (und vor allem der Analyse dieser) auseinandergesetzt, inzwischen aber eine Leidenschaft dafür entwickelt. (Meine Eltern waren doch ein wenig verwundert, dass ich mir zum letzten Weihnachten ein Shakespeare-Werk gewünscht habe…) Wer sich also für englische Literatur und Medien interessiert, wird hier auf jeden Fall etwas passendes für sich finden.

Während Literary and Cultural Studies sehr viele Interpretationsspielräume lässt, ist das Modul Linguistics deutlich mehr auf wissenschaftliche Aspekte fokussiert. Hier wird gelehrt, woraus die Englische Sprache eigentlich besteht und wie sie funktioniert. So lernt man zum Beispiel die einzelnen Bestandteile der Sprache, vom einzelnen Laut bis hin zur Wort- und Satzbildung kennen. Doch auch Sprachvariationen und Sprachwandel spielen eine große Rolle und man lernt, wie sich Regio- oder Soziolekte bilden und wie die englische Sprache sich im Laufe der Zeit entwickelt und verändert hat (Historical Linguistics).

Das Modul English as a Foreign Language ist für Lehramts-Studierende verpflichtend, denn hier geht es darum, wie Sprachen erlernt werden und Englisch als Fremdsprache zu unterrichten. Dafür werden Lehr- und Lern-Methoden näher betrachtet, verschiedene Unterrichtsmodelle und Bildungstheorien diskutiert und evaluiert, wie erfolgreicher Englisch-Unterricht aussehen kann. Dazu gehören auch das Analysieren und Erstellen von Unterrichtsmaterialien im Zusammenhang mit den Anforderungen, die an den Englisch-Unterricht gestellt werden. In diesem Modul wird man viele Gemeinsamkeiten mit dem für Lehramts-Studierende verpflichtende Studienfach Bildungswissenschaften finden. Das Modul Focus on the Learner (nicht verpflichtend) ist nochmal eine Vertiefung dieses Bereichs, in dem es um praktischere Aspekte der Unterrichtsdidaktik und Methodik des Unterrichtens von Fremdsprachen geht und in dem der Fokus (wie der Name vermuten lässt) auf den Lernenden liegt.

Natürlich muss man sich nicht direkt zu Beginn des Studiums entscheiden, welche der Module man absolviert. Stattdessen muss man jedes der Module einmal durchlaufen und kann dann (nach bestandener Klausur) wählen, welche Module man vertiefen möchte. Nach den verpflichtenden Einführungskursen gibt es innerhalb der Module auch noch verschiedene themenspezifische Seminare, Übungen und Vorlesungen, zwischen denen man frei nach Interesse wählen kann. Für die späteren Semester ist dann noch ein längerer Auslandsaufenthalt vorgesehen. Man kann dafür entweder ein Semester im Ausland studieren, oder ein zwölfwöchiges Auslandspraktikum absolvieren, was einem ermöglicht, direkte Berufserfahrung zu sammeln.

Scheut man sich davor, mal etwas längere Texte oder sogar Dickens oder Shakespeare auf Englisch zu lesen und dann auf Englisch darüber zu diskutieren, ist das Studienfach vielleicht nicht die richtige Wahl.

Wenn man aber ein Händchen für Sprachen und vor allem eine Vorliebe für die englische Sprache und Literatur hat, ist man im Anglistik/Amerikanistik-Studium genau richtig aufgehoben und ich kann nur wärmstens empfehlen, sich einfach mal die ein oder andere Vorlesung anzuschauen.

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Ronja Thier

Hi, ich bin Ronja. Wenn ich nicht gerade wieder viel zu laut Musik höre und nach Konzertkarten suche, studiere ich Englisch und Geschichte an der Universität Münster. Hin und wieder schreibe ich Artikel für seitenwaelzer, bleibe dabei aber meinen Leidenschaften treu, weshalb ihr von mir vor allem Konzertberichte und Band-, Buch-, Film-, oder Serienempfehlungen lesen werdet.

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