Studium

Studieren mit psychischer Beeinträchtigung

Ja, Studieren ist anstrengend, schon für normale und gesunde Studis. Was aber, wenn zu Prüfungsstress und Präsentationswahnsinn eine Erkrankung hinzukommt?
| Julia Faulhammer |

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

lukasbieri | Pixabay

Ich kann mich noch recht gut an meine erste Vorlesung erinnern. Es war die Einführungsveranstaltung für Kognitive Psychologie und mein Professor sagte zur Begrüßung: „Studieren ist wie Fahrradfahren. Bergauf. Und das Fahrrad steht in Flammen. Und alles andere steht auch in Flammen, weil du in der Hölle bist. Ich wünsche euch viel Erfolg!“ Wir haben damals gelacht. Ja, Studieren ist schwer und anstrengend, schon für normale und gesunde Studis. Was aber, wenn zu Prüfungsstress und Präsentationswahnsinn eine Erkrankung hinzukommt?

Seit meiner Abiturzeit leide ich unter einer chronischen Posttraumatischen Belastungsstörung, die je nach Laune von Angststörungen und Depressionen begleitet wird. Ich bin also schon vorbelastet ins Studium gestartet. Anfangs noch vollauf begeistert, musste ich schnell feststellen, dass ich eben nicht so kann wie andere Studierende. Ich fühlte mich alleine. Ich fühlte mich ausgeschlossen. Ja, ich fühlte mich so, als sei ich die einzige Studierende mit psychischen Problemen. Nach zehn Semestern kann ich sagen: Nope. Ich kenne einige, die ähnliche Erkrankungen haben – und die sich alle genauso einsam gefühlt haben wie ich mich.

Wenn man eine Einschränkung hat, egal in welcher Form, dann lernt man mehr oder weniger freiwillig, damit umzugehen. Trotz ist unser Antrieb („Ich werde doch mein Studium nicht wegen so was wegschmeißen!“), Kreativität unser Mittel. Dabei macht es einem die Uni nicht unbedingt einfacher. Klar, es gibt Nachteilsausgleiche und Behindertenbeauftragte, aber zum einen wird das eigentlich kaum kommuniziert und zum anderen kämpft man als Studi gegen Windmühlen. Das zehrt an den Kräften – vor allem dann, wenn man eh schon keine hat. Hier muss sich definitiv noch Einiges an den Hochschulen tun.

Was aber kann man als Studierende*r tun, wenn man merkt, dass das Unileben wohl doch nicht so einfach ist wie bei anderen? Wenn man wegen einer Agoraphobie keine Vorlesungen besuchen oder wegen einer depressiven Episode keine Prüfungen schreiben kann? Erst einmal möchte ich Folgendes loswerden: Es ist möglich, mit Einschränkung zu studieren. Es ist nicht einfach, aber man kann es schaffen.

Vorlesungen

„Vorlesung“ bedeutet bei uns meistens, dass der Prof uns seine Folien vorliest und dabei hat er uns am liebsten ganz nah bei sich. Also muss man in die Uni. Dass das nicht immer möglich ist, muss ich wohl nicht noch einmal betonen. Was aber tun? Das kommt ganz auf die Vorlesung und den Professor an. Manche gestalten ihre online verfügbaren Folien und Skripte so schön, dass man sich den Rest selbst von zu Hause aus erarbeiten kann. In einem Saal mit mehreren hundert Studenten fällt es auch nicht auf, wenn man mal fehlt. Außerdem können Kommilitonen Mitschriften anfertigen und einem nach Hause liefern. Das ist der Idealfall. An manchen Unis gibt es Anwesenheitspflicht (bei uns zum Glück nicht). Wenn man merkt, dass regelmäßige Ausfälle vermutlich vorkommen werden, ist es am besten, mit dem Behindertenbeauftragten der Hochschule und/oder dem Dozenten zu sprechen. Das erfordert sehr viel Mut, denn das Sprechen über die eigene Erkrankung ist nicht immer einfach. Trotzdem lohnt es sich. Seit ich offen über meine Einschränkungen spreche, bekomme ich auch Hilfe – und die steht euch zu.

Seminare

In einem Raum mit zwanzig Teilnehmern fällt es schon eher auf, wenn man oft abwesend ist. Dozenten beziehen das dann recht schnell auf sich und denken, dass der/die Studierende keine Lust hat. Auch ist hier die Anwesenheitspflicht meistens etwas strenger. Was tun? Ein Wort: Kommunikation. Niemand reißt euch für eure Erkrankung den Kopf ab. Das dürfen die gar nicht. Es gibt nämlich ein Inklusionsrecht für alle Studierenden, auch für solche mit psychischen Einschränkungen. Bei mir klappt es am besten, gleich vor Semesterbeginn dem jeweiligen Dozenten eine kurze Mail zu schreiben: „Sehr geehrter Herr/Frau xyz, ich habe eine PTBS / psychische / chronische Erkrankung und kann gegebenenfalls nicht an allen Sitzungen teilnehmen.“ Was immer gut ankommt, ist das Angebot von Ausgleichsarbeiten. So kann eine verpasste Sitzung zu Hause in Form von Hausaufgaben nachgearbeitet werden. Der/die Dozent*in merkt, dass ihr engagiert seid und euch selbst nehmt ihr sehr viel Druck heraus.

Prüfungen

Wer studiert, der lasse sich prüfen. Klar, irgendwie muss man ja feststellen, ob ihr überhaupt etwas vom Gelernten behalten habt. Prüfungen mit psychischer Erkrankung sind so ein Ding für sich, denn Prüfungsphasen bedeuten Stress und Stress bedeutet im schlimmsten Fall eine akute Krise. Deshalb ist es wichtig, von Anfang an realistische Vorstellungen zu verfolgen. Statt sechs Prüfungen meldet man halt nur drei an. Wenn ich merke, dass ich das auch nicht schaffe, dann melde ich Klausuren auch knallhart wieder ab. Das geht bei den meisten Hochschulen absolut problemlos bis (bei uns) eine Woche vor der Prüfung. Danach müsste man einen Grund angeben, psychische Erkrankungen kann man sich aber auch vom Hausarzt attestieren lassen. Was toll ist: Es gibt Nachteilsausgleiche. Das bedeutet, dass ein/eine Studierende*r eine Prüfung umwandeln kann, wenn sie in Originalform aufgrund einer Einschränkung nicht zu bewältigen ist. So kann zum Beispiel ein sehbehinderter Student beantragen, eine schriftliche in eine mündliche Klausur umzuwandeln. Für psychisch kranke Studis gilt dasselbe. Eine Freundin von mir leidet unter einer Sozialphobie, weshalb sie statt 30 Minuten nur 20 Minuten lang ihre Präsentationen halten muss. Ich dürfte wegen meiner PTBS die Klausur in einem separaten Raum schreiben. Informiert euch einfach, was bei euch an der Hochschule möglich ist. Ansprechpartner ist hier wie immer der/die Behindertenbeauftragte*r, die Entscheidung fällt der Prüfungsausschuss. Was in Prüfungsphasen aber immer am wichtigsten ist: Achtet auf euch selbst. Es bringt nichts, die Klausuren irgendwie durchzubringen, um danach einen vollkommenen mentalen Breakdown zu haben. Ich hab’s probiert. Klappt nicht. Fühlt sich mies an. Lasst es.

Ansprechpartner

Niemand ist mit seiner Erkrankung alleine. Ihr habt Rechte. Das musste ich auch sehr langsam lernen. Wo aber könnt ihr euch hinwenden? Ansprechpartner Nummer Eins ist vermutlich immer der/die Behindertenbeauftragte*r eurer Hochschule. Sowas hat inzwischen eigentlich fast jede Uni. Außerdem gibt es oft eine*n Schwerbehindertenbeauftragte*n, der sich gerne für euch einsetzt. Auch der Studierendenrat (StuRa) mischt gerne bei Streitigkeiten mit und berät über Nachteilsausgleiche, Prüfungsangelegenheiten und individuelle Studiengestaltungen. Außerdem haben viele Unis sogenannte Psychosoziale Beratungsstellen. Hier könnt ihr euch mal so richtig ausheulen und beraten lassen. Vorsicht: Die machen keine Therapie, können euch aber gegebenenfalls an ambulante Therapeuten weitervermitteln. An manchen Hochschulen gibt es studentische Initiativen, die sich um chronisch kranke und behinderte Studierende kümmern. Gibt es keine, könnt ihr ja eine gründen. Was natürlich immer dabei sein sollte, sind Psychotherapeuten, Psychiater und Hausärzte. Denn wenn ihr unter psychischen Problemen leidet, sollte einer von denen immer der erste Ansprechpartner sein. Auch der Sozialpsychiatrische Dienst eurer Stadt kann akut Hilfe anbieten und euch bei Anträgen unterstützen.

Was sagt mir das jetzt?

Studieren ist anstrengend. Studieren mit Einschränkung ist anstrengender. Aber es ist möglich. Klar muss man kreativ werden und vermutlich benötigt man auch ein paar Semester mehr, aber das ist okay. Es gibt Unterstützung an den Hochschulen, Leute, die ihr Geld dafür bekommen, euch zu helfen. Das Einzige, was ihr tun müsst, ist: Sprecht es an. Bleibt nicht alleine mit euren Problemen. So eine psychische Erkrankung ist viel zu groß für eine Person. Ihr müsst das nicht alleine durchstehen. Stark sein bedeutet nicht, alles mit sich selbst auszuhandeln. Manchmal ist das Stärkste, was man tun kann, sich Hilfe zu suchen. Eine psychische Erkrankung ist nichts, wofür man sich schämen oder selbst kleinmachen muss. Es gibt nichts Mutigeres, als jeden Morgen aufzustehen und trotz Einschränkung sein Leben zu meistern.

Ein Gastbeitrag von Julia. Sie schreibt den Blog “Blütenstille”, der sich der Aufklärung zum Thema psychischer Krankheit im Studium widmet.

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Julia Faulhammer

Julia schreibt als „Blütenstille“ auf ihrem eigenen Blog gegen die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten an. Informationen und Aufklärung über die Erkrankungen sind ihr genauso wichtig wie das Aufdecken von alltäglichen Fallstricken, die psychisch Kranken vor die Füße geworfen werden. Ihre wichtigsten Ressourcen sind dabei ihr Mann, ihre Freunde und ihr Psychologiestudium.

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2 Antworten zu “Studieren mit psychischer Beeinträchtigung”

  1. Liebe Julia, vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel. Ich leider selbst auch an einer chronischen PTBS. Leider weiß ich dies erst seit kurzen. Ich habe aufgrund der Einschränkungen bereits zwei Studiengänge abgebrochen. Das weite, weil mir das Bafäg-Amt die Leistungen gestrichen hat.

    Quasi zeitgleich mit der Diagnose habe ich mich für ein Fernstudium der Psychologie entschieden. Mir hilft das Wissen aus dem Studium und insgesamt werde ich nur 5 Klausuren schreiben müssen. Für mich eine super Alternative, die ich auch mit den Klinikaufenthalten gemanaget bekomme.

    Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg und schaue gerne mal auf deinen Blog vorbei. :-)

  2. Vielen Dank für deinen Text. Ich hoffe, ich schaff es, entgegen meiner Angst, durchzusetzen, mein Recht auf Bildung und Hilfe durchsetzen. Ich würde gerne näher darauf eingehen, aber ich hab gerade mit meinen Gefühlen zu kämpfen. Du hast mir echt Hoffnung gemacht, dass studieren mit seelischer Beeinträchtigung möglich ist. Danke dafür.

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