Kultur und Medien / Rezension

Tatsächlich gelesen: Das Boot (Lothar-Günther Buchheim)

„Das Boot“, ein Roman von Lothar-Günther Buchheim über seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg, erschien 1973. Michael hat es tatsächlich gelesen.
| Michael Cremann |

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Hülle der DVD des Fernsehfilms "Das Boot" und Buch "Das Boot"Michael Cremann | seitenwaelzer.de

Der junge Mann rührt die beiden Flüssigkeiten in seinem Glas mit einer Gabel zusammen. Es bilden sich feste, weiße Flocken. Er nimmt einen Schluck, grinst seine Tischgenossen breit und genießerisch an und sagt dann mit Martin Semmelrogges einzigartiger Diktion:

„U-Boot Spezial-Cocktail, neidisch?“ – Einleitung

Spätestens in diesem Moment hatte mich die einzigartige Mischung aus Alltäglichkeit, Fatalismus, langsamster Spannung und Ekel, die Wolfgang Petersen Verfilmung von „Das Boot“ bietet, vollends in ihren Bann gezogen. Kurz nachdem ich sie, weil sie gerade bei Netflix verfügbar war, erneut gesehen hatte, sah ich die Taschenbuch-Ausgabe des Romans von 1985 in einem öffentlichen Bücherregal. Da musste ich zugreifen.

„Das Boot“ ist ein Roman, in dem Lothar-Günter Buchheim seine Erlebnisse als Kriegsberichterstatter auf U-Booten im Zweiten Weltkrieg zusammenfassend erzählt. Erschienen ist er erstmals 1973. Von der Kritik wurde es als eines der besten Antikriegsbücher gelobt, für seine schonungslose Sprache aber auch kritisiert. Als dann zehn Jahre später die Verfilmung von Wolfgang Petersen in die Kinos und ins Fernsehen kam, wurde der Roman noch einmal um einiges bekannter. Die mir vorliegende Fassung ist die unveränderte 10. Auflage von 1985 im Taschenbuchformat mit 630 Seiten. Noch heute erscheint es bei Pieper.

„Das muß das Boot abkönnen“ – Inhalt

Liest man die Titel der Kapitel, glaubt man nicht, dass in diesem Buch viel passiert:

Das Buch zum Inhalt aufgeschlagen. Text:
Inhalt
Bar Royal 9
Auslaufen 39
Gammel 1 104
Gammel 2 150
Erster Angriff 212
Sturm 252
Fühlung 327
Zweiter Angriff 353
Versorgung 426
Gibraltar 477
Rückmarsch 567
Glossar 631
Michael Cremann

„Bar Royale“, „Auslaufen“ – Na gut, die ersten 100 Seiten, Kennenlernen und sowas, da komme ich durch. Dachte ich.

Natürlich lernt man am Anfang des Buches alle wichtigen Personen kennen: den Ich-Erzähler, der als Berichterstatter an Bord geht, den Kommandanten, meist nur der Alte genannt, den LI, leitenden Ingenieur, den 1 WO Komma 2 WO – Namen werden das ganze Buch über nur die Mannschaftsdienstgrade bekommen – und Personen von anderen Booten. Darüber hinaus lernt man auch viel über den riesigen Unterschied des Lebens der Seeleute an Land und auf See. Wo an Land ausgelassen gefeiert wird, muss auf dem kleinen U-Boot Disziplin gehalten werden. Und doch schwingt immer, an Land und auf See, die Angst mit, die die immer schlechtere Kriegslage und damit die Gefahr für die U-Boot-Leute mit sich bringt.

„Ich beobachte einen der Torpedomixer beim Nasepopeln.“

„Gammel 1“, „Gammel 2“ – Oha! Aber gut, der Film ist ja auch langsam erzählt.

Hier lässt sich der Autor Zeit und beschreibt detailliert, wie die Monotonie des Bordalltags die Männer immer mehr frustriert. Wie sie sich immer stärker gegenseitig nerven. Hier ist es auch, wo der Ekel seinen Platz findet. Überall Feuchtigkeit, schwere Arbeit, keine Dusche an Bord, nur ein Klo für über 40 Mann Besatzung. Gleichzeitig sehnt die Besatzung einen Ausbruch aus der Monotonie herbei, hat aber auch lähmende Angst vor dem Untergang. Um sich abzulenken und an die „bessere Zeit an Land“ zu denken, tauschen sich die Männer über ihre sexuellen Erfahrungen aus – ein derber Bruch mit der sonst poetischen (Beschreibung von Himmel, See und Wetter, seitenlang) oder technischen (Wie funktioniert ein U-Boot im Zweiten Weltkrieg?) Sprache.

„Rohr eins bis vier klar zum Überwasserschuß!“

„Erster Angriff“, „Sturm“, „Fühlung“, „Zweiter Angriff“ – Wenn man das so liest, denkt man, hier geht es ab.

Doch auch diese Kapitel sind langsam und präzise erzählt. Sie verdeutlichen, aus wie viel Warten und Aushalten eine solche U-Boot-Fahrt besteht. Beim Lesen wird die Taktik der deutschen U-Boote des Zweiten Weltkriegs genauso gewahr, wie die technischen Unzulänglichkeiten eben dieser, die immer noch eher zur Überwasserfahrt mit Tauchmöglichkeit konzipiert waren. Besonders aber habe ich hier die Unmenschlichkeit gefühlt, die der Krieg, speziell aber diese Art zu kämpfen mit sich bringt. Seeleute der Überwasserschiffe werden wie Schießbudenziele „erwischt“, ohne zu wissen, was sie da getroffen hat. Gleichzeitig sind die Männer im U-Boot dem Terror von Wasserbomben ausgesetzt und spielen Katz und Maus mit den Bewachern der Frachtschiffe. Dabei müssen sie sich auf die Ohren des „Horchers“ und die Instinkte des „Alten“ verlassen, ohne selbst irgendetwas tun zu können. Wie menschenverachtend die Befehle der Nazi-Kommandantur sind, wird im ersten Kapitel in der Bar Royale diskutiert. In diesen Kapiteln wird es aber erst so richtig klar, als Schiffbrüchige nicht gerettet werden dürfen, sondern der Kommandant befiehlt sich langsam von ihnen zurückzuziehen. Dagegen ist der plastisch beschriebene, tagelange Sturm voller Übelkeit, Seewasserduschen und zerbrechendem Geschirr geradezu eine Wohltat. Besonders hier wartet Buchheim mit großartigen Naturbeobachtungen des Himmels und der See im Sturm auf.

„Klappte ja ganz gut – aber Weiber hättense man ooch noch organisieren können!“

„Versorgung“ – Wirkt wie ein notwendiges Zwischenkapitel.

Doch der Autor nutzt es, um die Verhältnisse, unter denen die U-Boot-Männer leben, noch einmal klar hervorzuheben. Im Kontrast mit den Offizieren des versorgenden Schiffes wird auch die innere Verfasstheit eindeutig klar: wo die einen Helden verehren, leiden die anderen unter Angst, Frust und Unberechenbarkeit. Sie sind es, die die Befehle ausbaden müssen.

„E-Maschinen-Bilge macht stark Wasser…“

„Gibraltar“ – Höhepunkt.

Der spannendste Teil des Buches, auch wenn eigentlich nicht viel passiert. Unterbrochen von sexuellen Fieberträumen und Beschreibungen von Speichel an Sauerstoffgeräten – Ekel – wird hier die Reparatur des auf Grund gelaufenen Bootes aus Sicht von jemandem beschrieben, der zum Nichtstun verdammt ist. Eine eindrucksvolle Parabel aus Angst, Hoffnung und Verdrängungsgedanken.

„Ein Mann auf Brücke?“

„Rückmarsch“ – Ein Abschlusskapitel? Happy End?

Ein Mäandern zwischen Hoffnung für die Besatzung, Angst vor den Unbilden der See und des Krieges und Taten und Aussagen, die einen nach dem menschlichen, nahen und fast anrührenden „Gibraltar“ daran erinnern, dass es sich immer noch um einen Nazi-U-Boot im Zweiten Weltkrieg handelt, dessen Besatzung es als seine Pflicht ansieht, die Befehle der Obrigkeit durchzuziehen und dabei ganz klar bereit ist zu morden. Das Ende kommt überraschend und abrupt, ganz anders als alles andere in diesem Buch und doch passend.

Lust auf mehr U-Boote? – Die Ecke Hansaring hat sich mit gleich zwei von ihnen beschäftigt.
ECKE HANSARING #111 – Das Azorian-Projekt
ECKE HANSARING #113 – Der Untergang von K-219

„Eine kurze Spanne Zeit ward uns zugemessen…“ – Fazit

Oft ist eine Verfilmung nicht das, was man beim Lesen des Buches erwartet. Mir, der zuerst den Film sah und dann, mit den hier gezeigten Gesichtern im Kopf, das Buch las, hat beides gefallen ist kein gutes Wort. Mir half es, schon Bilder zu den Menschen zu haben, die hier oft nur karg beschrieben werden. Ich konnte eintauchen in die Handlung und mich von der Spannung und der Langsamkeit so sehr mitreißen lassen, dass die Sinnlosigkeit und Pein des ganzen Unterfangens „Feindfahrt“ erfahrbar wurden.

Obwohl ich zwischendurch immer wieder lachen musste, ob der Absurditäten, des Fatalismus, der Alltäglichkeiten, macht das Buch keinen Spaß. Es ist spannend, es nimmt mich trotz der langsamen Erzählweise mit, es ist bildgewaltig. Es ekelt, es entsetzt, es hinterlässt mich mit einem bedrückenden Gefühl für die Sinnlosigkeit des Krieges. Ein wirklich gutes Buch.

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