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Bevor mir noch einer irgendwas von Pinseln erzählt – Archäologische Grabung im Feld

Michael hat ein Praktikum auf einer archäologischen Grabung im Münsterland gemacht. Hier sein Guide für Grabungshelfer:innen zusammengestellt:
| Michael Cremann |

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Im Vordergrund Sandboden mit einigen recheckigen Löchern. Im Hintergrund eine 1m hohe Kante aus dunklerem Erdreich, auf der hohe Mieten (= Hügel) von ebenso dunklem Erdreich liegen.Michael Cremann | seitenwaelzer.de

Mitte August, in der heißesten Zeit des Jahres, habe ich im Rahmen meines Studiums der Archäologie ein Praktikum auf einer archäologischen Grabung im Münsterland gemacht. Hier habe ich meine Erfahrungen zu einem Guide für frischgebackene Grabungshelfer:innen zusammengestellt:

Allgemeine Fakten zu Grabungen

Bevor ich mit einer recht chronologischen Liste deiner Tätigkeiten anfange, erstmal ein paar allgemeine Fakten zu Grabungen:

1. Meistens findest du nicht so viel wie du dir wünscht.

2. Scherben sind ernstzunehmende, wissenschaftlich interessante und völlig normale Funde.

3. Spektakuläres Zeug, wie ein Schwert oder gar die Himmelsscheibe von Nebra sind sehr, sehr selten.

4. Die Grabung macht Spaß. Jedenfalls hat meine Spaß gemacht.

5. Jede Grabung ist anders. Dieser Text ist nur ein Beispiel von vielen.

6. Ich hatte weder Peitsche noch Schlapphut, einen Hut hätte ich aber gut gebrauchen können.

Was machst du auf einer Grabung?

Wenn du jetzt also wissen willst: „Was mache ich auf einer Grabung eigentlich?“ Dann ist für einen Großteil meiner Erfahrung die einfache Antwort: Graben. Stell dich also drauf ein eine Schaufel zu schwingen.

Vielleicht hast auch du aus archäologischen Dokumentationen das Bild der Archäologin, die auf dem Bauch auf einem Brett über dem Boden liegt, um möglichst nichts zu zerstören, und Zahn für Zahn eines Schädels birgt, im Kopf, oder das des Archäologen, der in einer Grube sitzt und eine Goldmünze nach der anderen aus einem Hortfund heraus pinselt.

Hort-was?
In einem Hortfund findest du Dinge, die absichtlich hier niedergelegt wurden. Meistens handelt es sich um Opfergaben an Gottheiten, oder „Schätze“, die vergraben wurden, um sie später wieder abzuholen, wenn eine Gefahr vorbei ist, was dann natürlich nicht mehr passiert ist. Grabbeigaben gehören aber nicht zu den Hortfunden sondern bilden eine eigene Gruppe.

Wenn du viel Glück hast wird dir das auf deiner Grabung passieren. Aber so startet keine Grabung und nicht alle Grabungen kommen bis zu diesem Stadium. Wahrscheinlich wird deine Grabung ein Stück Land prüfen, das Bauland werden soll. Oder du wirst ein Feld umgraben, auf dem ungewöhnlich viele Scherben lagen. Bei solchen Dimensionen kannst du dir schon vorstellen, dass die meisten Grabungen nicht mit einem Pinsel anfangen, sondern viel, viel größer.

Der erste Schritt

Die Grabungsleitung lässt einen Bagger kommen, der eine möglichst große Fläche „abzieht“. Also Pflanzenbewuchs, Humus und Zwischenboden entfernt. Das hat für dich den Vorteil, dass du erstmal rumstehen kannst.

Ein Bagger im Hintergrund gräbt Humus und Zwischenboden, also die beiden oberen Schichten gleichmäßig ab, sodass er auf dem im Vordergrund sichtbaren Sandboden herauskommt.
Im Vordergrund Sandboden mit recheckigen Löchern. Im Hintergrund ein Bagger, der in dünnen Schichten den Hummus und den Zwischenboden abzieht.
Michael Cremann | seitenwaelzer.de Bagger beim Abziehen.

Und wehe der Baggerfahrer mischt Humus und Zwischenboden! Das muss schön in zwei getrennten Mieten aufgehäuft werden, denn der Humus, die oberste, fruchtbare, dunkle Schicht muss auch später wieder oben landen. Wenn er verunreinigt wird ist er nicht mehr so fruchtbar und das wird dem Bauern auf dessen Kamp du gerade stehst gar nicht gefallen. Selbst, wenn hier später Häuser gebaut werden, müssen die Gärten mit Hummus aufgeschüttet werden, sonst wird es sogar Rasen schwer haben.

Das Abziehen sollte schon so genau erfolgen, dass sich vor dir eine möglichst ebene Fläche auftut. Diese ist meist so breit wie zwei Baggerschaufeln nebeneinander und so lang wie dein Untersuchungsbereich. Der nun sichtbare Boden liegt meist ein bis zwei Meter unter der Oberfläche und besteht aus Sand, Mergel, Lehm, oder was auch immer. Dieses Erdreich nennst du ab jetzt den „anstehenden Boden“. Erst hier musst du wirklich mit Funden rechnen. Alles darüber ist schon so oft umgegraben und umgepflügt worden, dass alle interessanten Dinge schon vor Jahren an der Oberfläche gelandet sind. Selbst wenn du hier Funde herausziehst, wirst du sie nur schwer datieren können, da du das häufig anhand des Fundkontextes machst und der ist von jahrhundertelanger Bodenbearbeitung zerstört.

Ran an die Schippe

Wir haben also eine abgezogene Fläche. Jetzt kommt der erste Schritt in dem du Hand anlegst. Und zwar an die Schaufel! Jetzt heißt es planieren, also die Fläche, das sogenannte Planum, möglichst akkurat einebnen. Das geht nicht mehr mit schwerem Gerät, das wäre zu einfach und vor allem zu zerstörerisch und „schmierend“. Es müsste nur ein kleiner Klumpen Erde unter der Schaufel kleben und er würde eine lange dunkle Verfärbung in den anstehenden Boden ziehen. Dieses „Schmieren“ wäre viel zu leicht mit einer historischen Verfärbung zu verwechseln.  Statt der Peitsche heißt es also jetzt „Ran an die Schippe!“.

Schon beim Schippen, besonders aber danach, versuchst du auf dem ebenen Boden Verfärbungen zu identifizieren. Du suchst also nach – meist dunklen – Flecken, die auf ältere Gruben, Pfostenlöcher oder gar Gräben hinweisen können. Dafür benötigst du Erfahrung, die du hier sammelst und ein gutes Auge, das du hier schulst. Je ebener und „sauberer“ der Boden ist, desto leichter lässt sich etwas finden. Ein wenig Humus, der von der Schaufel des Baggers gerieselt ist, kann schnell mal als Pfostenloch missdeutet werden, besonders wenn er vorher ebenso fachmännisch wie unaufmerksam in den Boden getreten wurde. Und wenn der Bagger „schmiert“, zieht er gern mal etwas vom anstehenden Boden über eine Verfärbung, sodass sie gar nicht zu finden ist.

Warum schreibt der Pfosten andauernd von Pfosten?
Pfostenlöcher sind wichtige Indizien für eine Besiedlung. Es handelt sich um meist leidlich runde, dunkle Verfärbungen im Boden, die anzeigen, wo Pfosten gestanden haben, die ein Hausdach, oder eine Wand gehalten haben. Wenn du all diese Pfostenlöcher korrekt als solche erkennst und akkurat einmisst, dann wirst du auf deiner GPS-Karte Hausgrundrisse erkennen. Mit ein bisschen „Malen nach Zahlen“ kommt dann eine ganze Siedlung zum Vorschein. Weiterhin war es in vielen Kulturen üblich Opfergaben an die Götter unter dem ersten Pfosten des Hauses zu vergraben, sodass du hier oft wertvolle Einblicke in die Kultur der jeweiligen Pfostenbesitzer:innen findest.

Bei der Arbeit mit der Schippe findest du gelegentlich auch schon so genannten Streufunde, also Dinge die schon im Zwischenboden, zwischen Humus und anstehendem Boden liegen. Oft sind sie in der Vorzeit (die dann genauer zu definieren ist) aufs Feld gestreut worden, sind aus der Tasche gefallen, oder beim Arbeiten liegengeblieben. Darunter fallen Keramikscherben, Feuersteinabschläge, Pfeilspitzen, Nägel oder auch mal eine Patrone oder eine Gürtelschnalle aus neuzeitlichen Kriegen. Je nachdem, wann das Gebiet zum letzten Mal gepflügt wurde. Diese Streufunde werden zwar eingetütet und dokumentiert, sind aber nur äußerst schwer zu deuten oder zu datieren, weil sie eben allein auf weiter Flur liegen. Ein weiterer Grund, warum du für die letzten Meter eine Schaufel in der Hand hast ist, dass so mancher Fund nicht vollständig im anstehenden Boden liegt. Er ragt schon ein bisschen in den Zwischenboden hinein. Das führt dazu, dass Baggerschaufeln und Pflüge schon so manche Urne „geknackt“ haben. Mit der Schaufel merkst du viel eher, wenn etwas keramisch knirscht, als mit dem Bagger.

Dein Fleckchen Erde

Zurück zu den Verfärbungen. Haben dein Team und Du gemeinsam die möglichen Gruben/Pfosten/Gräber/Gräben/etc. identifiziert und markiert? Gut. Die Markierungen sind aber wahrscheinlich morgen schon weg. Das heißt, du darfst dir jetzt ein GPS-Gerät schnappen und alle Flecken in eine Karte einmessen.

Aber keine Angst, nach so viel High Tech geht’s direkt wieder an die Schaufel. Die Funde werden jetzt „geschnitten“, also wirklich ausgegraben. Du suchst dir deinen Fleck aus, oder bekommst als Praktikant:in erstmal ein Pfostenloch zum Üben zugewiesen.  Du teilst die Verfärbung möglichst durch ihre größte Ausdehnung und gräbst vorsichtig eine Hälfte ab. Die andere lässt du mit einer möglichst geraden Wand stehen, sodass du auch in den Boden hinein ihre Ausdehnung erkennen kannst. Am Ende hast du (nicht beim ersten, aber beim dritten Loch bestimmt!) einen gradwandigen Kasten in den Boden gegraben. Mit dem Erdreich aus der Verfärbung füllst du die eine oder andere Tüte mit Bodenproben. Und falls du Glück hast, ist auch schon eine Scherbe, oder ein Eisennagel dabei. Du durchsuchst oder siebst den ausgehobenen Boden möglichst genau, sodass du auch kleinste Funde heraussuchen kannst. Wie genau du bei diesen Schritten aufpassen musst hängt davon ab, was du da gerade ausgräbst und wie wahrscheinlich es ist, dass dort etwas zu Findendes liegt.

Rechteckiges Loch im Boden mit einer Messtange, die die Breite anzeigt.
Michael Cremann | seitenwaelzer.de

Erst jetzt kommt der Teil, den du immer im Fernsehen siehst. Du schnappst dir eine Kelle (keinen verdammten Pinsel!) und machst die Wand, also den Schnitt durch deinen Fund gerade und sorgst so dafür, dass man die Verfärbungen und Fundstücke, die hier sichtbar sind gut zeichnen kann. Ja, zeichnen. Nicht, dass du keine Fotos machen würdest, aber auf einer archäologischen Zeichnung, können Informationen enthalten sein, die auf Fotos, wegen der Sonneneinstrahlung oder der Feuchte des Bodens nicht so genau zu erkennen sind. Du kannst mit verschiedenen Buntstiften nicht nur klarmachen, welche Farbe der Boden hat, sondern auch Bestandteile wie Kohlesplitter darstellen. Außerdem wirst du Funde, also Scherben, Nägel, Speerspitzen, Knochen und was noch alles mit eigenen Farben darstellen, sodass ihre Lage im Befund viel klarer wird, als auf dem Bild, wo eine sandfarbene Scherbe im Sand unsichtbar ist.

Schwarze und rote Verfärbung in einem senkrecht abgeschnittenen Stück Boden.
Michael Cremann | seitenwaelzer.de

Wenn alles gut dokumentiert ist, gräbst du den restlichen Befund aus und tütest alles relevante ein. Fein säuberlich sortiert und beschriftet, damit andere Forschende später noch nachvollziehen können, was du da überhaupt ausgegraben hast. Und dann geht’s zum nächsten Loch.

Alles weitere übernehmen deine Kolleg:innen, oder du nach abgeschlossener Grabung im Hauptquartier. Oder Doktorand:innen wie Hannes, den Charlotte für den Podcast „Das akademische Viertel“ interviewed hat.

Du wirst schon gemerkt haben, dass es sich bei so einer Grabung um wesentlich mehr „Arbeit“ im Sinne von „Maloche“ handelt, als es einen die Dokus glauben machen. Daher zum Abschluss hier meine Tipps für eine erfolgreiche Grabung:

  1. Trinken: Ich habe entspannte 3 Liter Wasser in den 8 Stunden Grabung getrunken. Und das auch nur, weil wir ein Dixi und kein fließendes Wasser hatten und ich nicht mehr tragen wollte.
  2. Ein Hut: Mag albern aussehen, aber weißt du, was auch albern aussieht? Wegen eines Sonnenstichs in die Urne der Fürstin von Buxtehude fallen. Glaub mir, ein Hut ist Gold wert!
  3. Sicherheitsschuhe mit wenig Profil. Klingt komisch, aber du brauchst auf der einen Seite die Stahlkappen, weil du nunmal auf einer Baustelle bist und ein Eisennagel, mag er noch so römisch sein, im Fuß einfach wehtut. Auf der andern Seite willst du nicht viel Profil haben, weil du damit das schöne Planum durcheinanderbringst und dir im Zweifel den halben Tag selbst hinterherplanieren darfst.
  4. Zipper Hosen: Noch so ein Archäologieklischee, dieses Mal aber mit gutem Grund. Wenn du morgens um 07:30 Uhr auf der Baustelle aufschlägst, willst du eine lange Hose haben. Wenn du aber um 12:00 Uhr auf einem sandigen Planum in der prallen Sonne stehst, sollte sie kurz sein. So einfach ist das.  
  5. Eine Peitsche: Brauchst du wirklich nicht.

Mit diesem Rüstzeug bleibt mir nur noch dir viel Spaß und spannende Funde auf deiner nächsten Grabung zu wünschen!

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Michael Cremann

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