Bildung und Karriere / Studium

Kalt aber lohnenswert – Auslandssemester in Kanada

Eine Rückschau auf ein Semester Informatik in Kanada
| Gastbeitrag |

Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Sebastian Stüber

In einem anderen Land zu studieren und dort Erfahrungen zu sammeln, stand schon lange auf meiner Liste. Nach dem Bachelor habe ich die Chance ergriffen und ein Auslandssemester in Kanada Informatik studiert.

Ich möchte euch nun vorstellen, wie es dazu kam und was ich während des Auslandssemesters erlebt habe. Beginnen wir ganz von vorn: Wie kommt man dazu, im Ausland zu studieren? Bei mir war dieser Punkt eigentlich schon recht früh klar. Meine Eltern haben stets begeistert von ihrem Auslandsaufenthalt gesprochen und es reizte mich sehr, Deutschland msl zu entfliehen. Die Frage war nur noch, ob ich im 5. Bachelor-Semester oder im 1. Semester des Masters gehe. Letztendlich habe ich mich dazu entschlossen, den Bachelor zunächst abzuschließen und bin für diese Zeit in Aachen geblieben. 2016, kurz nach dem Abschluss, ging es dann nach Kanada. Übrigens: der Bachelor in Kanada dauert 4 Jahre. Ich habe dort immer erzählt ich habe den Bachelor bereits abgeschlossen, aber dabei verschwiegen, dass er in Deutschland nur 3 Jahre dauert, um keinen Unmut aufkommen zu lassen.

Warum Kanada?

Die Frage ist berechtigt, das Land zählt schließlich nicht gerade zu den exotischsten Ländern der Erde. Aber im Grunde war die Entscheidung ganz einfach: Meine Voraussetzungen bei der Suche nach einer geeigneten Uni im Ausland waren:

– Eine Universität mit gutem Ruf
– Englisch als Hauptsprache
– Kein Vermögen ausgeben (ergo, keine Studiengebühren)
– (und ein bisschen weiter weg durfte es schon sein, also nicht unbedingt Europa)

Mit diesen Kriterien habe ich mich als Erstes in dem Partner-Hochschul-Programm der RWTH Aachen beworben. In diesem Programm sind (top) Hochschulen aus aller Welt beteiligt. Die Unis schicken Studierende nach Aachen und dafür darf Aachen (ungefähr gleich viele) Studenten zu denen schicken.

Vorteile dieses Verfahrens sind etwa die Tatsache, dass die Unis vorausgewählt sind und meist im internationalen Vergleich gut oder sehr gut abschneiden und es keine (bzw. kaum) Studiengebühren gibt. Versprochen wurde auch Hilfe vom International-Office der RWTH (im Nachhinein war dieses aber keine große Hilfe). Außerdem ist das Verfahren bequem: Es findet eine zentrale Bewerbung in Aachen statt und man kann sich direkt an mehreren Unis bewerben – an Dreien genauer gesagt, nach Priorität geordnet.

Eine Alternative zum Hochschulprogramm ist Free-Mover, da bewirbt man sich direkt an der Austausch-Uni, hat keinerlei Hilfe aus Aachen und zahlt die volle Studiengebühr. Mein persönlicher Backup-Plan war das Erasmus-Programm. Die Partner-Hochschul-Bewerbung fand Mitte Dezember 2015 statt, die Erasmusbewerbung Ende Januar 2016. Hätte ich keinen Platz an einer Partnerhochschule bekommen, hätte ich mich kurzerhand bei Erasmus beworben.

Als gebürtiger Amerikaner wollte ich natürlich nach Amerika, aber so gut ist das Austauschprogramm nach Amerika leider nicht. Da gibt es zwar drei Unis, die infrage kommen, und einige davon sind eher so… naja (z.B. die University of Arizona an der Grenze zu Mexico). Aber Berkeley schien wirklich gut, auch wenn man 8000$ Semestergebühr zahlen muss und nur vier Studierende pro Jahr genommen werden. Das war meine erste Wahl.

Also weiter nach Kanada: Da gab es auch wieder drei Unis zur Auswahl. Eine hatte ganze zwei Austauschplätze, da habe ich gar nicht versucht, mich zu bewerben. Die andere Uni hatte ihr Programm mit einer anderen Fakultät. Also Waterloo! 6 Austauschplätze, keine Studiengebühren, englischsprachig – meine 2. Wahl. Außerdem haben die dort ein echt gutes Kryptographie-Department und Ian Goldberg lehrt dort, ein bedeutender Verschlüsslungsexperte. Dass die Uni unter den 10 weltbesten Unis für Informatik gehandelt wird, gibt auch noch Pluspunkte.

Meine Drittwahl war Japan, Tokyo, einfach mal als was ganz Anderes. Schließlich wurde ich in Kanada angenommen.

Ich habe mich außerdem noch für ein Auslandsstipendium beworben, das mir noch einen Zuschuss beschert hat. Das empfehle ich auch jedem Studierenden, der sich ins Ausland begeben möchte. Viele Unis arbeiten mit derartigen Organisationen zusammen.

Die Ankunft – eine fröhliche Begrüßung

Nach der Landung wurde ich sofort von der University of Waterloo (uWaterloo) am Flughafen abgeholt, das lief alles in allem sehr gut. Zwar war meine Unterkunft nicht gut – ein klassisches Studentenwohnheim – und die erste Nacht war echt nicht schön: Ich hatte Jetlag, wollte gegen 8 schlafen gehen, aber in der Küche wurde noch fleißig gefeiert. Auch sonst war der karge und minimalistisch eingerichtete Raum nicht besonders schön. Zur Unterkunft: Es gibt eine Toilette und eine Dusche, diese werden von 4 Leuten geteilt. Die Küche wird von ca. 16-20 Leuten des gesamten Stockwerks geteilt. Dazu kam noch Baulärm direkt vor dem Fenster. Doch man kann sich ja irgendwie arrangieren, denn erste Wochenende hat es gleich wieder wett gemacht. Ich habe am Flughafen direkt ein paar andere Deutsche getroffen (plus 2, die schon aus Aachen kannte), mit der Gruppe bin ich anfangs herumgelaufen, um die übliche Organisation zu machen: Studentenausweis abgeholt, Einkaufen gegangen, Internet besorgt etc. Das Wetter war zu der Zeit noch sonnig und warm. Die ersten Erkundungen ergaben: Die Uni ist eine komplette Campusuni, das hatte ich zwar erwartet, aber es war doch eine schöne Abwechslung zu Aachen. Ansonsten hätte es auf den ersten Blick auf eine Hochschule in Deutschland sein können. Zumindest bis zur Begrüßung.

Unterkunft
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Die Unterkunft in Waterloo

Ich hatte wirklich nicht erwartet, dass die Uni einen eigenen Cheer (+ Choreografie) hat… man ruft „UW“ und für das „U“ formt man ein U mit den Händen, für das „W“ packt man den Kopf dazwischen – oder so, ich habe das genau 3 Mal gemacht in der Zeit. Am Eindrücklichsten aus der O-Woche war die Erstsemester (Undergrade-) Begrüßung. Das war so richtig amerikanisch mit „ihr seid die Besten/Schlausten/Schönsten/Schnellsten …“, einer emotionalen Rede von einer Olympia-Gold-Gewinnerin, Cheerleadern, etc.

Straße
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So anders als in Deutschland oder den USA sieht es in Kanada nicht aus – bis auf die Oberleitungen natürlich

Ansonsten gab es eine normale Orientierungswoche mit allem, was man erwartet: Kostenloses Essen überall fand ich gut.

Die Uni

Nach der ersten Woche kehrte langsam Normalität in den Unialltag ein und die Vorlesungen begannen. Von Anfang an hat mich überrascht, dass die Vorlesungen in Waterloo so klein sind (zumindest in den Masterkursen).

Zunächst einmal allgemein: Es gibt verschiedene Arten von graduate students. Course-based und thesis-based. Course-based ist so ziemlich wie in Deutschland: Ich glaube, die schreiben auch eine kleine Arbeit am Ende, aber die ist nicht allzu wichtig. Thesis based ist hingegen forschungslastig. Es gibt deutlich weniger Vorlesungen (ca. 4 insgesamt). Dafür wird am Ende eine wichtige Arbeit geschrieben. Knapp ein Drittel der Graduate students an der uWaterloo kommen nicht aus Kanada. Man hat daher ein sehr internationales Feeling und in meiner Unterkunft waren (fast) alle Studierende Austauschstudenten. Die Masterkurse sind sehr klein und übersichtlich, der Professor kennt einen schnell mit Namen. Englisch ist an der Uni die einzige Sprache, Französisch hat während meines Aufenthalts niemand gesprochen. Und Graduate-Students sind besonders. Beispielsweise haben sie ein extra Haus, in dem man essen/trinken kann (ja, auch Alkohol. Das ist etwas Besonderes in Kanada). Vor Anfang des Semesters dachte ich, ich würde mehr reisen, vor allem, da mich die Kurse nicht 100% begeistert hatten, aber die habe ich alle ersetzt bekommen, sodass ich während des Semestern lieber vor Ort geblieben bin.

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Ein Unigebäude

Das Kurssystem (für graduate students)

600-er Kurse: Der Kurs ist sowohl für Bachelor- als auch für Masterstudenten. Masterstudenten bekommen zusätzliche Aufgaben, meist eine Präsentation oder ein research paper am Ende des Semesters. Ich war in „Computer Security and Privacy“ und kann diesen Kurs nur empfehlen, vor allem durch die Hausaufgaben hat man unglaublich viel gelernt (etwa durch Schwachstellen in einem Programm eigenen Code auszuführen). In dem Kurs waren 3 Masterstudenten und deutlich mehr (ca. 50) Bachelorstudenten. Die zusätzliche Aufgabe für Master-Leute war ein 5-seitiges Research Project.

700-er: “Normale” Masterkurse. Hier sind nur Masterstudenten, die Kurse sind klein. Hier habe ich mich zusammen mit 17 weiteren Studierenden für Computational Geometry entschieden. Es gab jede Woche 2-3 Aufgaben, die echt anspruchsvoll waren (z.B. selbst Algorithmen entwickeln und die Korrektheit beweisen). Anstatt einer Klausur gab es ein Projekt am Ende des Semesters. Dieses Projekt bestand aus einer 15-minütigen Präsentation und einer 5-seitigen Zusammenfassung. Das Projekt hatte als Hauptaufgabe bisherige Forschung aus einem Themengebiet zusammenzufassen.

800-er: “Spezielle” Master Kurse. Es gibt keinen klaren Plan, welcher Stoff behandelt werden soll und die Rolle des Dozenten ist oft nur moderierend. Ich war in „(Very Hot) Topics in Computing on Encrypted Data“, der Name sagt schon alles. Die ersten zwei Wochen hat der Prof eine allgemeine Einführung in Kryptographie gehalten, danach bestand die Veranstaltung nur aus Vorträgen von Studenten. Jeder Student hat ein Paper ausgewählt und dieses in einem 50-min-Vortrag vorgestellt. Zudem gibt es ein Projekt, in dem man selbst (bzw. in 2-er Gruppen) neue Forschung betreiben soll. Jeder im Rahmen des Kurses alle Paper, also liest man mindestens 3 Paper pro Woche. Dadurch wird die Diskussion nach den Vorträgen deutlich interessanter. Die Studenten kommen aus verschiedenen Hintergründen, einige beschäftigen sich schon seit Jahren mit dem Thema, andere (wie ich) sind einfach nur interessiert, aber ohne viel Vorwissen.

Ich kann die 800-er Kurse nicht genug empfehlen. DEFINITIV einen nehmen!

Schnee
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Der Winter ist hereingebrochen und das Semester neigt sich dem Ende entgegen

So verstrich die Zeit, und ehe ich mich versah, war das Semester auf schon wieder herum. Meine letzte Klausur war am 12.12., danach habe ich die Gelegenheit ergriffen, noch ein wenig länger im Land zu bleiben und mir den ein oder anderen Fleck zu bereisen.

Mein Fazit

Alles in allem habe ich in Kanada viel gelernt und das fing bereits in der Planung des Aufenthalts an. Hat man die ganzen organisatorischen Hürden jedoch überwunden, kann man sich voll auf das Studium und das Land einlassen und bekommt oft ganz andere Perspektiven auf die Themen – gerade, wenn es sich um Themen handelt, für die man sowieso brennt. Ich kann einen Aufenthalt im Ausland nur jedem empfehlen und werde nun, nach dem Semester, noch etwas länger im Land bleiben und vielleicht auch den USA noch einen Besuch abstatten. Im Folgenden möchte ich euch noch ein paar Tipps und Erfahrungen mit auf den Weg geben, wenn ihr euer Auslandssemester in Kanada planen möchtet:

Tipps für ein Auslandssemester in Kanada

Nach der Zusage an der Uni so früh wie möglich den TOEFL-Test machen! Der Englisch-Test ist verpflichtend (ich konnte ihn zwar umgehen, da ich Staatsbürger der USA bin, aber das wird für die meisten nicht klappen). Außerdem sollte man direkt einen Reisepass und internationalen Führerschein beantragen, diese Dokumente brauchen für gewöhnlich eine Weile.

Wenn der Austausch nur über ein Semester geht, (und man nicht arbeitet) wird in Kanada kein Study-Permit gebraucht.

Ich fand die Kurswahl zum Semesterbeginn recht kompliziert und ich habe den Beginn der Auswahl verpasst. Dadurch waren die Kurse, die ich haben wollte, leider schon ausgebucht… dachte ich. Mein Tipp: Eine Liste machen mit allen interessanten Kursen, diese dann in der ersten Woche besuchen und eine finale Auswahl treffen. Dann noch mal versuchen, sich für den eigentlich gewünschten Kurs zu registrieren, mit den Ansprechpartnern der uWaterloo sprechen oder direkt mit dem Dozenten. Das hat bei mir in den zwei Kursen, die ich zusätzlich haben wollte, funktioniert.

Eine Kreditkarte ist ein Muss und manchmal benötigt man die Authentifizierung via Secure-Code wenn man die MasterCard benutzt (etwa, wenn man Flüge von AirCanada buchen will).

Beim Packen denkt daran: Kanada ist kalt. Sehr kalt! Falls man im Wintersemester beginnt, ALLE Wintersachen mitnehmen. Den Koffer nicht ganz vollpacken, man nimmt immer mehr zurück, als man hingenommen hat. Bei mir war es lange warm, ich habe sogar extra eine Badehose gekauft (und benutzt), schließlich gibt es in Kanada viele Seen. Letztendlich sind in meinem Semester “nur” ca. 20 cm Schnee gefallen und -12°C war die kälteste Temperatur. Die Kanadier erzählen einem aber bei jeder Gelegenheit Schauergeschichten von -30°C und mindestens 80 cm Schnee. Besser, man ist vorbereitet.

Generell gilt: Wenn dein Name einen Umlaut hat, kann man sich Gedanken machen, wie man heißen will. Ich habe mich für “Stuber” entschieden, anstatt “Stueber”. Das ist einfach und klingt besser.

Öffentliches Trinken ist in Kanada nicht erlaubt. Alkoholische Getränke werden in separaten Läden verkauft, das Mindestalter ist 21. In der O-Woche ist der Campus eine alkoholfreie Zone.

Kanadier sind wirklich freundlich – das Klischee lässt grüßen. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber tatsächlich daran, „Thank You” beim Aussteigen aus dem Bus zu rufen und man hat auch keine Probleme, mit Kanadiern ins Gespräch zu kommen.

Falls jemand über ein Auslandssemester in Kanada nachdenkt – Informatik oder nicht – kann ich dieses Land trotz eisiger Temperaturen im Winter wärmstens empfehlen. Du wirst es nicht bereuen!

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2 Antworten zu “Kalt aber lohnenswert – Auslandssemester in Kanada”

  1. Hi Sebastian,
    danke für deinen Beitrag. Ich habe schon öfter mit dem Gedanken gespielt, in meinem Auslandssemester nach Kanada zu gehen, da ich mich irgendwie für dieses Land interessiere, obwohl ich nicht viel darüber weiß. Jetzt weiß ich direkt viel viel mehr und kann mir ein besseres Bild über das Lehrverfahren dort machen.
    Würdest du die Qualität des Gelernten ähnlich einstufen, wie in Deutschland oder ist der Stoff schwerer?
    Beste Grüße!

    1. Hi Leonard,
      definitiv schwerer. Teilweise wegen der Sprachbarriere, aber vorallem weil einfach mehr erwartet wird.
      So haben die Hausaufgaben zB deutlich länger gedauert als ich es aus Deutschland gewohnt bin.

      Viele Grüße

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