bento – das Magazin für junge Leute, auf das wir alle gewartet haben? (Wohl eher nicht!)
Von Zeit zu Zeit schauen wir uns auch in der Szene um und statten anderen Seiten für Jugendliche und junge Erwachsene einen Besuch ab.
Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten
Von Zeit zu Zeit schauen wir uns auch in der Szene um und statten anderen Seiten für Jugendliche und junge Erwachsene einen Besuch ab. Ob Jugendblog, Studentenmagazin oder Schülerzeitung: heutzutage gibt es viele Angebote für und von jungen Leuten in den Weiten des Internets – manche sind besser, andere schlechter, mal steht ernsthafter Journalismus im Fokus des Angebotes, mal ist es reine Unterhaltung. Es gibt Meinungstrends oder aktuelle Fakten, die neu aufgerollt oder verständlich erklärt werden. Kurz: Die Vielfalt ist unendlich. Auch Spiegel Online hat vor wenigen Monaten ein neues Magazin in den Topf geworfen: bento.
Bentō, ist eigentlich eine japanische Art, Speisen darzureichen und mitzunehmen. Es handelt sich um ein Kästchen mit mehreren Trennwänden, ähnlich einer Lunchbox, die verschiedene Speisen voneinander abtrennen. So entsteht ein buntes Sammelsurium verschiedener Geschmacksrichtungen – und je nach Arrangement ein richtiges kleines Kunstwerk. Diese Idee wollte man sich scheinbar zu Nutzen machen und ein buntes und vielfältiges Angebot zusammenstellen.
„bento ist für alle, die im Internet zu Hause sind. Mal emotional, mal nüchtern, mal provokant, mal lustig.“
(Florian Harms, Chefredakteur von Spiegel Online)
Eine bunte Mischung
Auf den ersten Blick fällt einem sofort das Design der Seite ins Auge. Anders als Spiegel Online, dessen Design veraltet und unübersichtlich ist und noch nicht einmal responsiv (sich also nicht der Bildschirmgröße anpasst), orientiert sich bento an dem, spätestens seit Windows 8 so populären „Kachel-Design“. Das tut der Seite ausgesprochen gut! Sie ist übersichtlich, auch mobil sehr gut lesbar und sogar schön anzusehen. Nachdem auch Zeit Online dieses Jahr komplett überholt wurde, wollen wir hoffen, dass sich der Spiegel diesem Trend bald anschließen wird. In dem Magazinableger klappt es auf jeden Fall schon sehr gut: bento wird insofern seinem Namen gerecht, als dass verschiedene Inhalte schön ordentlich getrennt ein buntes Gesamtbild ergeben.
Ein Klick ins Menü offenbart uns gleich die Kategorien des Angebots und damit auch die Gewichtung der Inhalte. Ganz oben stehen „Musik“, „Videos“ oder „Future“. Es folgen „Gerechtigkeit“, „Fühlen“, „Queer“, „Style“, „Food“ und ganz unten haben wir „Today“, „Retro“ und „Haha“, diese Kategorien lassen sich in einem Atemzug mit Kategorien von 9gag nennen: „Hot“, „Fresh“, „Video“, „Comic“, „WTF“ etc. Mit einer wirren Mischung aus Anglizismen und Einwortkategorien habe ich ein wenig das Gefühl, ich bin weniger auf einer Nachrichtenseite, denn auf einem Gag-Blog unterwegs. Aber das soll uns nicht stören, schließlich findet sich der Leser so gut zurecht und das junge Publikum fühlt sich gleich zu Hause.
Auch die Wahl der Themen zielt direkt auf diese Zielgruppe ab, aber hier wird man thematisch erstmals ein wenig an die Bravo oder ähnliche Zeitschriften erinnert und wundert sich, wieso denn gerade der Spiegel als eines der größten Magazine Deutschlands, stets besorgt um einen zwar provokanten aber seriösen Auftritt, hinter dem Projekt steht – was übrigens erst nach einem Blick ins Impressum deutlich wird.
Überschriften – mit dem Megafon ins Gesicht
Genug von den Kategorien, schauen wir uns die Beiträge etwas genauer an. Man überfliegt ein paar Überschriften und schon nach wenigen Artikeln beschleicht mich das Gefühl, als sei nicht nur der Spiegel, sondern auch die Bild-Zeitung in dem Projekt involviert. Lasst mich mal ein paar der aktuellen Überschriften zitieren:
Eva hat panische Angst vor ihrem Briefkasten. Wie geht sie damit um?
Time to rant: „Behindert“ regt mich auf
Goodgame Studios schmeißt Schwerbehinderten raus
Der Tanga ist tot, lang lebe der Schlüpfer
So hast du „Star Wars“ und Co. noch nie betrachtet!
Wir haben ein Longboard getestet, das bis zu 40 Kilometer schnell fährt
Auffallend sind die provokanten Überschriften, die dem sogenannten „Clickbaiting“ zuzuordnen sind, also einer Form der Überschrift, die nicht auf den Beitrag zugeschnitten ist, sondern deren einziger Zweck eine höhere Klickzahl ist. Gerade im Internet, wo wir von sich ständig verändernden Inhalten umgeben sind, muss man sich schon besonders anstrengen, um jemanden dazu zu bewegen, auf einen Beitrag zu klicken. Das Problem von „Clickbaiting“ ist allerdings, dass die Inhalte teilweise verbogen werden und man schon von vornherein keinerlei journalistische Inhalte hinter solchen Beiträgen erwartet. Die Seite Heftig.co arbeitet nur mit dem Prinzip und hinter den reißerisch angekündigten Fakten verbirgt sich meistens nur ein halbgarer Text, ohne jede journalistische Qualität (z.B. Quellenangaben). Bei bento scheint dieses Prinzip ein wenig von anderen Magazinen, zum Beispiel dem Vice-Magazin abgeschaut, denn dort werden ähnliche Themen mit ebenfalls reißerischen und teilweise verzerrenden Überschriften beworben. Ein Beispiel für eine solche Verzerrung wäre „Goodgame Studios schmeißt Schwerbehinderten raus“.
Was ist die Reaktion des Lesers?
„Das geht ja gar nicht, wie kann man nur einen Behinderten einfach rauswerfen? Was ist denn da los?“. Eigentlicher Inhalt des Artikels ist, dass 28 Mitarbeiter von der Firma „Goodgame“ ohne Vorwarnung gefeuert wurden – alle 28 hatten sich für die Gründung eines Betriebsrates eingesetzt. Diese Information ist es durchaus wert, kritisch hinterfragt und auf jeden Fall mitgeteilt zu werden. Die in der Überschrift angekündigte Information, dass unter den Ex-Mitarbeitern auch jemand mit einer schweren Behinderung gewesen sei, wird in exakt drei Sätzen nach über der Hälfte des Artikels abgefrühstückt. Somit war der Beitragstitel zwar nicht falsch, aber seinen Aufklärungszweck hat er verfehlt. Seit wann die Maßeinheit „Kilometer“ zur Messung von Geschwindigkeiten genutzt wird, wie in der anderen Überschrift, ist mir ebenfalls ein Rätsel.
Natürlich ist diese Vorgehensweise umstritten. Man könnte sagen, dass die Information im Titel vielleicht nicht die Hauptinformation des Beitrages ist – aber hätte man sonst auf den Link geklickt? Hätte man den Beitrag überhaupt gelesen? Gerade Jugendliche würden vermutlich nicht auf einen Artikel mit der Überschrift „Fristlose Kündigung von 28 Mitarbeitern der Goodgame Studios wirft Fragen auf“ klicken. Kritisch sehe ich hier allerdings, dass es so eine aus der Werbung bekannte Technik Jugendlichen schwerer macht, wichtige Inhalte von Werbung und „Clickbait“-Falltüren zu unterscheiden. Schon jetzt besteht dieses Problem trotz des schönen, aber nicht immer passenden Begriffs der „Digital Natives“. Muss man das noch weiter verschärfen?
Und die Qualität der Inhalte?
Die Qualität der Beiträge auf bento ist unterschiedlich. Je nach AutorIn sind die Beiträge mal besser, mal schlechter. Das einzige, was mir hier negativ auffällt, ist das Hervorheben von Schlagworten. Die Hauptaussagen des Textes sind oft fett geschrieben und laden dazu ein, den Text zu überfliegen und nur diese hervorgehobenen Aussagen zu lesen und aus dem Zusammenhang gerissen zu betrachten. Der jugendliche und teilweise sehr saloppe Sprachstil und die Absätze, die alle sechs bis sieben Zeilen fallen, bei dem Design entspricht das drei bis fünf Sätzen, sind im Internet jedoch sehr in Mode gekommen und erleichtern das Lesen tatsächlich, sodass hier nicht zu viel gemeckert werden soll.
Von sich selbst behauptet das Team hinter bento, sie würden unabhängigen Journalismus betreiben, und geben dabei gleich an, dass eine komplett objektive Berichterstattung unmöglich sei. Stattdessen wolle man fair und transparent berichten.
„Unser Job als Journalisten ist es, nachzufragen und zu prüfen – und nicht bloß Meinungen und Behauptungen zu verbreiten.“
Eine objektive Berichterstattung ist nicht möglich, dem schließe ich mich sofort an, und eine faire und transparente Herangehensweise ist mehr als löblich – allerdings frage ich mich, ob nicht durch die Überschriften und die Aufbereitung der Nachrichten bei bento sofort Meinungen und Behauptungen verbreitet werden. Man liest ja nicht jeden Beitrag genau, und was dann hängen bleibt, ist die Aussage aus dem Titel, die oft sehr wohl mit einer direkt meinungsbildenden Tendenz versehen ist.
Eine gespaltene Meinung
Mein Fazit ist also nicht so positiver Natur, wie ich es zunächst erwartet hatte. Die Aufbereitung von Informationen für Jugendliche ist gut, und auch Inhalte auf Augenhöhe zu präsentieren ist an sich nicht als negativ anzusehen. Allerdings sollte man bedenken, dass man einer provokanten Art der Berichterstattung, wie man sie von „Vice“ oder auch vom bekannten YouTuber „LeFloid“ kennt, durchaus eine seriöse Berichterstattung entgegensetzen könnte. Natürlich informieren sich viele junge Leute „mal eben schnell“ bei „LeFloid“, um dort auch aktuelle Krisen erklärt zu bekommen, aber dort soll in erster Linie aufmerksam und sensibel gemacht werden – mit einem guten Schuss Provokation, damit das Video geklickt wird. Eine tiefergehende Betrachtung soll man sich immer selbst holen und würde dann auf weitere Inhalte zurückgreifen, wenn einen das Thema interessiert.
Ein Angebot wie bento, das zwar tiefere Inhalte verspricht, aber dann hinter reißerischen Überschriften doch eher zugunsten einer leichten und coolen Sprache an der Oberfläche kratzt, stellt für mich keine gute Lösung dar.
Kurz: Die Idee ist gut, die Umsetzung verbesserungswürdig, und es ist ein wenig übertrieben, wie sehr der Spiegel krampfhaft versucht, junge Leute zu erreichen, denn meistens schlagen diese Versuche genau ins Gegenteil um. Wer verdreht nicht die Augen, wenn Erwachsene plötzlich „cool“ sein wollen?
Quellen:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/spiegel-online-praesentiert-bento-a-1055258.html
http://t3n.de/news/google-werbung-suchergebnisse-658963/
http://bento.de
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Robin Thier
Gründer von seitenwaelzer, lebt in Münster und beschäftigt sich in seiner freien Zeit mit Bildbearbeitung, Webseitengestaltung, Filmdrehs oder dem Schreiben von Artikeln. Kurz: Pixelschubser.
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Sehr gut zusammengefasst. Geht mir ganz genauso!