Kultur und Medien / Rezension

Tatsächlich gelesen: Der Hobbit (J.R.R. Tolkien)

Gerade bei Kinderbüchern stellt sich die Frage, wie gut sie altern und ob auch Erwachsene sie mögen können. Heutiges Beispiel: Der Hobbit!
| Dominik Schiffer |

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Deike Terhorst | seitenwaelzer.de

Bevor sich Tatsächlich gelesen in die Sommerpause verabschiedet, geht es noch einmal um ein Kinderbuch oder eher: ein Buch, dessen Zielgruppe ursprünglich Kinder waren.

Ich habe es als Kind bereits gelesen, noch ehe ich das deutlich berühmtere Nachfolgewerk Der Herr der Ringe kannte. Aber nach den Verfilmungen beider Bücher und einigen Jahren Abstand dachte ich mir, dass es nicht schaden kann, dem Hobbit mal wieder einen Besuch abzustatten. Nach so langer Zeit und vielen popkulturellen Einflüsse fragte ich mich: Wird das Buch von seinem deutlich komplexeren Nachfolger überschattet, oder kann es sich selbst behaupten?

Vermutlich hieße es Eulen nach Athen tragen, wenn man im heutigen Zeitalter noch irgendwas zum Hintergrund der Bücher oder Tolkien (1892-1973) als Person erzählen will. Dazu ist spätestens seit der Verfilmung durch Peter Jackson ab 2001 genug in den Mainstream rübergeschwappt. Auch an der Reaktion auf die Serienadaption des Stoffes durch Amazon lässt sich erkennen, dass das Thema längst nicht mehr nur Fantasy-Nerds erreicht. Darum an dieser Stelle nur kurz der Hinweis, dass Tolkien vor dem Hintergrund seines Hauptberufs als Literaturwissenschaftler kein Autor war, der einem Plan zur Veröffentlichung einer ganzen Buchreihe folgte. Er schrieb den Hobbit, weil er Freude am Schreiben an sich hatte und nicht, um ihn mit dem Herrn der Ringe fortzusetzen. Dazu ist auch der Stil beider Bücher zu verschieden.

In einem Loch im Boden…

Im Auenland lebt der Hobbit Bilbo Beutlin ein Leben frei von Aufregung und Abenteuern, schließlich gehört sich dergleichen auch gar nicht. Doch das ändert sich eines Tages, als der Zauberer Gandalf vor seiner Tür steht und ihn dazu bringt, sich einer Bande reisender Zwerge anzuschließen. Diese wollen ihr altes Königreich am Einsamen Berg aufsuchen und dort den Drachen Smaug vertreiben. Der wurde nämlich von dem Schatz, den die Zwerge dort angehäuft hatten, angelockt und konnte den Berg trotz heftiger Gegenwehr der Zwerge einnehmen. Bilbo soll ihnen helfen, da der Drache seinen Geruch vermutlich nicht einordnen und der Hobbit so den Hort nach dem Arkenstein durchsuchen kann. Von diesem Königsjuwel will Thorin Eichenschild, der Anführer der Zwerge, seine Legitimation als König unter dem Berg ableiten. Doch bis es soweit ist, lauern noch viele andere Gefahren auf dem Weg…

„Aber was ist ein Hobbit? Ich glaube, ein paar Angaben sind nötig, denn die Hobbits sind heutzutage selten und gehen dem Großen Volk, wie sie uns nennen, scheu aus dem Weg. Sie sind (oder waren) kleine Leutchen, etwa halb so groß wie wir, kleiner noch als die langbärtigen Zwerge. Hobbits haben keine Bärte. Mit Zauberei haben sie wenig oder nichts zu tun, abgesehen von dem bisschen Alltagsmagie, das ihnen erlaubt, schnell und geräuschlos zu verschwinden, wenn große, täppische Leute wie du und ich dahergestapft kommen, mit einem Lärm wie eine Elefantenherde, den die Hobbits meilenweit hören.

Sie werden oft ein wenig rund um die Leibesmitte und kleiden sich in helle Farben (vor allem Grün und Gelb). Schuhe tragen sie nicht, weil ihnen an den Füßen natürliche Ledersohlen und ein dichter brauner Pelz wachsen, ähnlich wie das Kraushaar auf ihren Köpfen. Sie haben lange und geschickte braune Finger, gutmütige Gesichter und ein tiefes, saftiges Lachen (besonders nach dem Mittagessen, das sie am liebsten zweimal täglich einnehmen).“

J.R.R. Tolkien: Der Hobbit, 17. Auflage, Stuttgart 2012, S. 14

Hin und wieder zurück

Nun, was soll ich sagen? Ähnlich wie beim Herrn der Ringe merkt man dem Text klar an, dass hier jemand drauflos fabuliert, der eher Sprachwissenschaftler als Schriftsteller ist. Die Erzählperspektive (inklusive das Durchbrechen der vierten Wand, also der direkten Ansprache des Lesers) wird nicht einheitlich durchgehalten, das Ganze wirkt weniger wie eine durchkomponierte Erzählung als vielmehr wie ein paar aneinandergereihte Kurzgeschichten. Das Fass mit der Frage, ob die neue oder die alte Übersetzung besser ist, möchte ich aus Furcht vor den Fans beider Lager gar nicht erst öffnen.

Deike Terhorst | seitenwaelzer.de

Und dennoch hat mir dieses im Vergleich mit seinem Nachfolger recht kurze Buch gut gefallen! Auch wenn die einzelnen Episoden eher lose verbunden sind, sie sind in sich ganz wunderbar und mit einer großen Freude und Fantasie erzählt: Die Gemütlichkeit des Auenlandes, das spannende Rätselspiel, der unheimliche Düsterwald und vieles mehr springt geradezu aus den Seiten, sogar ohne Illustrationen. Tolkien erlaubt sich viele verschiedene Einfälle, um die Handlung voranzutreiben, bleibt jedoch in der Welt des Buches konsistent. Er erzählt viel augenzwinkernder als im Herrn der Ringe und gerade dadurch wird das Buch nicht nur jüngeren Leserinnen und Lesern Freude bereiten. Ich vermute, das Buch eignet sich auch hervorragend, um es gemütlich vorzulesen. Darum gibt es eine klare Leseempfehlung!

(P. S.: Zur Trilogie von 2012 sei nur gesagt: Es mag keinen guten Film geben, der auf einem schlechten Buch basiert, aber das Gegenteil scheint leider möglich zu sein.)

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Dominik Schiffer

Hat Geschichte und Skandinavistik studiert und ist dennoch weiterhin wahnsinnig neugierig auf Texte aus allen Jahrhunderten. Verbringt außerdem bedenklich viel Zeit in der Küche, vor Filmen/Serien, auf der Yogamatte und mit allerlei „Nerdstuff“.

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