Kino & Serie / Kultur und Medien
Süße Distanzbeziehung am Abgrund zur Hölle – Review „The Gorge“
Der beste Ort für ein Date? Eindeutig das Tor zur Hölle, aus dem Monster heraufklettern. Feine Romantik und schwere Waffen ergeben so faszinierendes Entertainment.
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

365 Tage. 1 Mission. 2 Türme. Ein Mann und eine Frau bewachen das Tor zur Hölle. Während sie Minen und Selbstschussanlagen warten, kommen sie sich näher. Allerdings auch, was in der unheilvollen Schlucht lauert.
Eine monströse Überraschung
The Gorge zählt zu einer kleinen Auswahl von besonderen Filmen. Diese lösen aufgrund ihrer wilden, ideal ausgewogenen Genre-Mischung den gewissen Wow-Faktor aus. Dieser wirkt lange nach oder ebbt nie ab. So bleiben die Werke nachhaltig, mit hohem Stellenwert im Kopf – was sie perfekt für viele Wiederholungen macht. Das liegt, neben clever geschriebenen Charakteren und Geschichten, auch an einer starken technischen Umsetzung. Wenn ein leicht trashiges Konzept mit fesselnden Aufnahmen und tollem Sound-Design richtig auftrumpft, macht das ungemein Spaß. Zu dieser Reihe an besonderen Mischungen gehören (für mich) etwa Shadow in the Cloud oder der überragende Operation: Overlord.
The Gorge selbst ist eine abgefahrene Mischung: schöne Romantik, krachende Action, spannendes Mystery und dezenter Horror. Die einzelnen Komponenten verschmelzen so geschickt miteinander, dass zwei Stunden wie im Flug vergehen.

Das faszinierende Setting hat daran einen großen Anteil, da es einfach zum Miträtseln ermuntert. Was hat es mit der unheilvollen Schlucht auf sich? Diese klafft mitten im Nirgendwo in vollständigen Nebel gehüllt. Auf beiden Seiten steht je ein wuchtiger Wachtturm, gebaut aus massivem Beton. An den oberen Rändern sind schwere Stahlzäune verankert, die etwas davon abhalten sollen, nach oben zu gelangen. Unter den Zäunen hängen Kugelminen, wie man sie eher aus U-Boot-Filmen kennt. Entlang der Schlucht stehen große Geschütze, die zweifelsfrei gewaltigen Schaden anrichten können.
Viele kleine Details und das wirklich starke Set-Design – sowohl am Rand als auch in der Schlucht – sorgen für den passenden Wow-Faktor. So glänzt schon der Schauplatz selbst als eigener Charakter. Ohne zu spoilern: Die Auflösung (zur Schlucht) ist am Ende vielleicht simpler als gedacht. Sie passt aber gerade deshalb ideal zur und in die Geschichte. Auch abgefahrene Geschichten können also relativ logisch aufgebaut sein. Eine willkommene Abwechslung.
Gefunden am Abgrund
Eigentlich dürfen beide Wächter nicht miteinander kommunizieren. Eigentlich, denn Drasa (Anya Taylor-Joy) aus dem Ostturm hat ihren ganz eigenen Kopf. So nimmt sie Kontakt mit dem Wächter des Westturms auf. Levi (Miles Teller) antwortet nach kurzem Zögern. Fortan sprechen beide über Texttafeln und Ferngläser miteinander. Denn eine Funkverbindung zum Reden gibt es nicht und Rufe werden von der Schlucht verschluckt.
Das lautlose Kennenlernen über Distanz ist dabei sowohl einzigartig als auch faszinierend. Neben den geschriebenen Worten kommt Gesten und Handlungen eine ganz andere Bedeutung zu. Regisseur Scott Derrickson (Doctor Strange, The Black Phone) lässt den Protagonisten, die er vorher einzeln nur kurz vorstellt, so weitere Zeit zur Entfaltung. Dabei lässt er einige charmante Anspielungen auf andere Serien und Filme einfließen: Das Schachspiel zielt klar auf Das Damengambit (mit Taylor-Joy) ab, eine Schlagzeug-Session auf Whiplash (mit Teller).

Beide spielen einzeln schon stark auf, brillieren aber mit ungemeiner Chemie zusammen. Anya Taylor-Joy bringt als toughe Frau viel Power mit. Trotz ihrer durchaus zierlichen Statur macht sie in den Action-Szenen eine gute Figur, der man ihre Kampferfahrung zweifelsfrei abnimmt. Sie gerät jedoch nie zur – momentan zu häufig – überzeichneten Alleskönner*in, die alles besser und 5-mal so gut kann wie ein Mann. Manch kessen, neckenden Spruch löst sie mit einem so ehrlichen Lachen auf, dass ihr die Sympathien sofort sicher sind.
Die forsche Dame paart sich ideal mit einem echten Gentleman. Miles Teller bringt ihr als Levi sogar Blumen zum ersten Date mit. Einfühlsam und nachdenklich, wie es sich für einen Dichter gehört, kämpft er mit seiner Profession – aus der Ferne zu töten. Jene wie auch seine taktische Qualität nimmt man ihm – ebenfalls wie Darsa – jederzeit ab.
Süß wie in einer Teenie-Romanze haben beide eine starke Anziehungskraft – zueinander und zum Publikum. Dass einer dem anderen also bis in die Tiefen der Hölle folgen wird, ist mehr als nachvollziehbar. Gute Charaktere brauchen eine passende Motivation für ihre Handlungen – The Gorge zeigt, wie das gehen kann.
Von Leuchtspurgeschossen und brüllenden Waffen
Was unten ist, soll auch unten bleiben. Wenn also die Monster anfangen zu klettern, drückt The Gorge kräftig aufs Gas. Schon die erste Action-Sequenz an der Schlucht ist eine helle – oder eher dunkle – Freude. Leuchtspurgeschosse und Explosionen erleuchten die Umgebung. Schwere Waffen sorgen dafür, dass jede Kugel mit sattem Surround und Bass auf ihre Ziele zujagt. Trotz des nächtlichen Settings sind die Aufnahmen klar erkennbar. Die Kamera bietet sowohl intensive Nahaufnahmen der kletternden Horden als auch schöne Übersichten der ganzen Schlucht. Insgesamt wahrt sie Ruhe und Übersicht, kommt allerdings nicht ganz ohne manch zu schnelle Schnitte aus.

Im Vollbild – keine schwarzen Balken – nutzt The Gorge dabei die gesamte zur Verfügung stehende Bildfläche. Sehr zu meiner persönlichen Freude, denn ich begrüße Vollbild als Stilmittel. Die Schwarzwerte von The Gorge sind knackig, die Schärfe ist sauber (in UHD). Das ist bei einem häufiger im Dunklen spielenden Film auch notwendig. Farbtöne sind dem Setting geschuldet oft grau und schmuddelig. Wenn einzelne Szenen zur Abwechslung eine rote Tönung erhalten, sticht diese (dank HDR) kräftig durch. Insgesamt ist der Look, auch aufgrund hochwertiger Computereffekte, sehr stimmig.
Das Sound-Design ist ideal ausgewogen: Vögel zwitschern sanft und Wind rauscht kräftig. Stimmen sind klar zu verstehen, Waffen und Explosionen drücken über den Bass. Dank der feinen Abmischung funktioniert der Surround-Effekt mehr als gut, als Zuschauer fühlt man sich immer mitten im Geschehen.
Der filmeigene Soundtrack (von Trent Reznor und Atticus Ross) kommt mit manch schrägen Kombinationen daher. Diese passen jedoch zum einzigartigen Setting sowie der ungewöhnlichen Situation, in der sich Darsa und Levi befinden. Insgesamt ist der Soundtrack recht dominant, nimmt sich aber in den notwendigen Momenten – den süßen – galant zurück. Der erweiterte Score beinhaltet viele bekannte Songs. Diese sind wirklich gut ausgewählt, angepasst und auch geschnitten. Bestes Beispiel ist (All Along The) Watchtower – wie passend bei einem Film, der zwei große Wachtürme im Zentrum hat.
Die Hölle bricht los
Auch The Gorge hat als wilde Genre-Mischung mit besonderem Wow-Faktor den Moment, an dem das vollkommene Chaos losbricht. Aus gebannter Faszination wird dann entfesselte Begeisterung. Das passiert, als Darsa und Levi – recht erwartbar – irgendwann in der Schlucht landen. Wenn ich den positiven WTF-Ausdruck nicht mehr loswerde, hat mich ein Film vollkommen vereinnahmt.
Das Creature-Design ist der absolute Knaller! Manche Monster sind mehr als skurril – Krabbeltiere – und andere schlicht begeisternd. Ich sage nur: Sleepy Hollow auf Drogen. Die Mischung aus Computer- und praktischen Effekten funktioniert hervorragend. Die Monster sind äußerst kreativ gestaltet und strahlen die notwendige Bedrohung aus, ohne unschlagbar zu sein.

Für seiner Altersfreigabe ab 12 Jahren langt The Gorge an manchen Stellen durchaus zu. Eine exzessive Splatterfassung wäre bestimmt auch interessant gewesen, der Film braucht aber keine brutale Gewalt, um zu funktionieren. Hier überwiegen sowohl Masse als auch innovatives Design der Monster. Auch der Horror ist sehr dezent gehalten – der Mystery-Aspekt überwiegt deutlich. Ein paar sanfte Jumpscares sind vorauszuahnen und werden auch nicht mit übertriebenen Soundeffekten aufgebauscht.
Der finale Konflikt – in der Oberwelt – mag manchem Zuschauer am Ende durchaus zu generisch daherkommen. Für mich stellt er aber eine logische, passende und vor allem befriedigende Auflösung für das Gesamtwerk dar. The Gorge macht es rund, wie es spektakuläres Entertainment machen sollte. Im Kopf bleiben soll schließlich der positive Gedanke. Bitte mehr von solch kreativen Genre-Mischungen mit Wow-Faktor und WTF-Zustand. So geht mitreißendes Entertainment!
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Daniel Rublack
… schreibt vor allem über Filme. Arbeitet in der „Presse und Kommunikation“ und unterstützt daher mit entsprechendem Know-how.

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