Gesellschaft und Lifestyle / Meinung
24 Stunden CrossFit. Wait, what?
CrossFit Extremsport: Damit vertreibt unsere Autorin Tamara sich die Zeit. Eine 24 Stunden CrossFit Challenge war eine besondere Herausforderung.
Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten
CrossFit kennt man eventuell von den veganen, glutenfreien, atheistischen, deutschen Ingenieuren aus dem Internet. Die machen laut einem bekannten Internetklischee oft CrossFit. Die Trendsportart wird jedoch in Deutschland immer beliebter und anerkannter: Eine unserer Autorinnen führt diesen Sport aus, und das direkt mal 24 Stunden ununterbrochen. Wie’s war, ob sie noch lebt, und den Erfahrungsbericht gibt es hier.
Vorweg: Ich ernähre mich weder vegan, noch glutenfrei. Atheistisch bin ich auch nicht und sehr weit vom Ingenieursstudium entfernt. Wieso mache ich also CrossFit?
An sich kommt die Sportart aus den USA und verkörpert einen Mix aus Kraft- und Ausdauertraining mit Elementen von Gymnastik, olympischem Gewichtheben, Bodyweighttraining und vielem mehr auf einem Level von hoher Intensität.
Ich persönlich habe schon immer viel Sport gemacht und durch meinen Umzug zum Studienbeginn bekam ich das erste mal die Möglichkeit, in CrossFit reinzuschnuppern und war direkt begeistert. Mein vorheriger Sport forderte mich nicht mehr, aber hier nahmen mich direkt alle in die „Familie“ auf, es wurde unterstützt, angefeuert, zusammen gelacht, geschwitzt und gegessen.
Da ich auf idiotische Sachen und vor allem Challenges stehe, kam eines Tages eine Bekannte aus der Box (so nennt man die Hallen/Studios beim CrossFit) zu mir und erzählte mir von der 24-hour-AMRAP-Challenge.
AMRAP heißt „as many rounds/reps as possible“: Man hat eine gewisse Zeit vorgegeben und muss so viele Runden oder Reps (Wiederholungen) verschiedener Übungen machen, wie nur eben möglich.
24 Stunden.
Und ich so: „Bin dabei!“
Gesagt, getan, 23 weitere Verrückte ließen sich überreden, also bildeten wir in unserer Heimbox 4 Gruppen aus je 6 Athleten. Das war eine der Vorraussetzungen, um an dem Event teilnehmen zu können. Mindestens 2 Frauen, hieß es zudem.
Nochmal zur Erklärung:
– 6-er Teams, mindestens 2 Frauen
– es darf immer nur 1 Person (gleichzeitig) arbeiten
– mindestens 500 Wiederholungen die Stunde, sonst ist man raus (je mehr, desto mehr Punkte)
– Jede Stunde gibt es per Homepage 3 Movements (Übungen) vorgegeben, zwischen denen man wählen kann. Ob man 500 von Übung A macht oder die Anzahl aufteilt, ist jedem selbst überlassen
VORBEREITUNGEN:
Ich war zwei Tage vorher nicht beim Training und habe vorgekocht wie ein Weltmeister: Viel Protein, noch mehr Kohlenhydrate, vor allem Einkettiges mit viel Zucker (Traubenzucker, Twix, etc).
Was ich letztendlich mitgenommen hab, sieht man auf dem Foto.
In der Box angekommen war es rappelvoll. Die ganze Theke stand voll von Essen! Die Hälfte der Anwesenden hatte etwas für alle gebacken/mitgebracht. Literweise Ingwertee, Kekse, Kuchen, Nüsse, Süßkram, alles was das Herz begehrt.
Die ersten richteten sich schon im Büro mit Luftmatratze und Schlafsack ein – irgendwann wird man wohl schlafen müssen. Kurze Teambesprechung und los geht’s! Nach einer „Passt-auf-euch-auf“-Rede vom nicht so begeisterten Trainer waren wir alle in den Startlöchern: Die Uhr schlug 12.
STUNDE 1-5:
Top motiviert, quietschfidel, voll auf Power.
Auf der Homepage der Veranstalter hieß es: „Warriors. Green light. Go go go! Work safely and have fun! These are the movements for hour 1:“
Die erste Stunde wurde einfach gehalten: Air Squats, Knee-To-Elbows, Russian Kettlebell Swing. Wir fingen schnell mit den Kniebeugen an: In einem Kreis aufgestellt machte jeder 5, dann der nächste. Von hinten dröhnte laut Musik, es wurde viel gelacht, Blödsinn gemacht und rumgetanzt. Ein Trainer war selbst in einer Gruppe, der andere ging umher und wies jeden, der zuhörte oder nicht, darauf hin, so wenig wie möglich Übungen für den Bauch zu machen: „Euer Bauch wird bei jedem Movement beansprucht, macht den nicht noch zusätzlich kaputt! Das bereut ihr später!“ Yes, Sir. Was wir noch nicht wussten: Das hat uns nachher verdammt geholfen.
Die nächsten Stunden waren wunderbar motivierend und spaßig. Jeder fand seine eigene Geschwindigkeit und es wurde munter trainiert. Von einfachen Übungen wie Jumping Jacks (Hampelmänner), über schwierigere Sachen wie Front Squats (Kniebeugen) mit Gewichten, bis zu Pull Ups (Klimmzüge) war das Kontingent noch gut verteilt. Wir hatten Spaß!
Stunde 6-10:
Draußen wurde es so langsam dunkel, wir bekamen davon nicht wirklich etwas mit. Keine Zeit. Wiederholungen machen. Nochmal 5. Nochmal 10. Auf einmal hieß es: V-Up!, die Übung kennt man von früher vielleicht als „Klappmesser“. In meinem Kopf hallte die Stimme des Trainers wieder: „Keine Bauch-Movements!!“ Traurig entschied ich mich für eine andere der beiden übrigen Übungen, obwohl ich erstere wirklich mag. In Stunde 7 kam der Deadlift dran, auch bekannt als Kreuzheben. Hier war die Devise: Für jedes gehobene Kilo gibt es einen Punkt. Easy hatten wir unsere 42.000 Punkte in der Stunde zusammen und machten 15min vor der nächsten wieder eine kurze Pause. Hang Power Clean war eine der nächsten Übungen – mit viel, viel weniger Gewicht, als ich es gewohnt bin. Meine Übung! Dachte ich… Nach gefühlten 100 eigenen Wiederholungen wurde die Hantel dann doch schwerer und schwerer. Zum Glück gab es die Alternativübungen! Eine davon war leider für den Bauch und die andere war Rudern. Was auf dauer echt anstrengend ist. Zum Glück gab es die Ersatz-Übung für alles: Burpees. Wenn man keine der vorgegebenen Movements sauber ausführen konnte, durfte man diese machen und bekam pro Rep einen Punkt gutgeschrieben.
STUNDE 11-13:
Es wurde immer ruhiger in der Box. Die ersten legten eine Schlafpause ein, hörten nach 500 Wiederholungen auf oder pausierten viel länger als in den Anfangsstunden. Um Mitternacht gab es unerwarteten Besuch: Die andere CrossFit-Box der Stadt kam mit einem riesigen Korb voll von Bananen, leckeren Snacks und Obst vorbei! Die Stimmung war ein wenig besser, jedoch merklich weniger als zu Anfang. Die Musik war leiser, es trainierten weniger. Der erste brach ab: Zu wenig Vorbereitung. Sein Team machte zu fünft weiter.
Gegen 1 Uhr hatte ich meine Tiefphase: Spätestens jetzt ging ich normalerweise ins Bett. Kurz mit dem Team besprochen versuchte ich, mich eine Stunde hinzulegen. Geschlafen habe ich nicht, jedoch ist es mal gut, nach so langer Zeit mal für sich zu sein, damit man runterkommen und alles verdauen kann. Mein Team trainierte in der Haupthalle weiter…die Hälfte war geschafft.
Dooferweise verhalf diese Ruhe meinen Muskeln aber auch dazu, den Kater einsetzen zu lassen: Mir taten vor allem die Beine echt weh. 13 Stunden Dauersport gehen nicht wirkungslos an einem vorbei. Und es war noch lange nicht vorrüber….
STUNDE 14-19:
Für mich war spätestens hier klar: „Das machst du nicht nochmal. Auch wenn es morgen gar nicht so schlimm war, nächstes Jahr machst du nicht mit!“
Ab diesem Punkt wurde es auch psychisch schwieriger: „Du musst noch 8 Stunden Sport machen… 8 scheiß Stunden… das hört nie auf!“ vs. „Egal, du hast schon 14 Stunden trainiert! 14!! Die 8 schaffst du noch!“
Zum Glück wurden die Übungen nun wieder einfacher und weniger kraftraubend. Das Announcement zur 15. Stunde wurde so eingeleitet:
Langsam wurde es wieder voller auf der Trainingsfläche: Die zu erreichende Stundenzahl war nicht
mehr zweistellig! Sobald man die anderen Gruppen beobachtete (vor allem beim Laufen), merkte man schnell, dass so gut wie alle den Muskelkater in den Beinen spürten. Das machte die ganze Sache schwierig, weil sowohl Bauch-, als auch die meisten Beinübungen rausfielen. Stunde 18 war der Supergau für mich: Beinübung, Beinübung, Handstand Walk. Burpees kamen nicht in Frage, die taten auch nur noch weh. Wohl oder Übel habe ich versucht, meine nicht allzu guten Handstand-Walk-Skills zu vertiefen. Das Gute: Ein Meter gab 5 Punkte! Und den Meter schaffte ich. Danach fiel ich um, aber das war egal. Später war unter anderem noch Running dran: Etwas Entspannung und Lockerung für die Beine tat allen gut. Mittlerweile war es 6 Uhr morgens: Die erste Class morgens beginnt zu dieser Zeit. Das Ziel ist in Sicht!
STUNDE 20-23:
Die Meisten hatten sich bis jetzt mindestens 1x, eher öfter, Schlafen gelegt, weshalb die Box wieder voller wurde. Die Besucher und Schaulustigen wurden auch wieder mehr, da die Nachtstunden endgültig vorbei waren. Stunde 23 meinte es nochmal ernst mit uns: Seilspringen. Noch besser: Triple Under! Für viele aus der Box sind mehr als 5, maximal 10 Double Under schon nicht drin, und jetzt soll das Seil 3x unter den Füßen her, bevor diese wieder den Boden berühren?! No way! Alternativ gab es Forward Roll, was nach einigen Versuchen zu dezenter Übelkeit führte, und Skater Jump. Diese Übung erinnert ein bisschen an die 80er-Jahre Musikvideos, in denen man vom einen Bein auf das andere springt und dabei die Hände wild herumwirbelt. Genau so sah das bei uns auch aus: Stimmung war wieder da! Außerdem ging der Endspurt los: Fast geschafft!!
STUNDE 24:
„THANK YOU! YOU ARE AMAZING! First of all, we want to thank you for participating in our event, we gave it our 200% to make it an event to remember. We are truly thankful for your trust in us and we hope that you’ve made some amazing memories with your teammates, friends, family and supporters in your box. Just getting to the last hour and finishing these 24 hours of non-stop CrossFit is a huge achievement on its own and makes you a TRUE CHAMPION! Now onto the last 3 movements:“
Jeder einzelne Muskel tat weh, jedem einzelnen von uns. Ja, auch der Bauch! Trotz kaum einer Bauch-Übung. Das Echo hallte durch unsere Köpfe… Die Müdigkeit stand uns ins Gesicht geschrieben, gerade laufen ging dank John-Wayne-Modus nicht mehr. Die Musik war fast aus, dudelte nur leise im Hintergrund.
Die letzten 3 Übungen waren natürlich nochmal ordentlich: Push Ups (da der Brustmuskel der einzige war, der noch nicht völlig verf*ckt wurde), Overhead Squats (absolute Hassübung von 90% der Leute) und ein kompliziertes Partner-Movement, was anfänglich niemand richtig verstand. Letzte Stunde, nochmal Vollgas! Der eine machte einen Overhead-Squat nach dem anderen, der andere schob zwischendurch mal 10 Liegestütz ein, der ganz andere stand daneben und feuerte nur an: Zusammenhalten und durchziehen hieß es jetzt.
Bis endlich das erlösende Signal kam. Es war 12 Uhr, 24 Stunden waren vorbei.
Man sah förmlich, wie die Last von den Athleten abfiel. Jeder umarmte jeden, die Musik wurde wieder aufgedreht, müde aber glückliche Menschen klatschten einander ab. GESCHAFFT!
Jeder räumte für sich seine Sachen zusammen, Geräte wurden zusammen weggeräumt. Langsam leerte sich die Box, keiner blieb jedoch viel länger, als es sein musste. Oberste Priorität für jeden war jetzt: Duschen. Schlafen. Noch mehr Schlafen, am besten den ganzen Sonntag (oder das was von ihm übrig ist).
DIE TAGE DANACH:
Mein Montag sah nicht anders aus als der Rest vom Sonntag: Schlafen. Essen. Wieder schlafen.
Bewegen traute ich mich nicht wirklich, jedoch brachten die Veranstalter noch eine Info für alle Überlebenden raus. Wir sollten viel essen, viel trinken, um das riesige Defizit des letzten Tages auszugleichen und dem Körper beim Regenerieren zu helfen. Auch wenn es schwer fiel, sollte sich bewegt werden: Durchblutung hilft bekanntlich dabei. Spaziergänge, Entspannung wie Yoga und Co. Auch die Psyche wurde angesprochen:
„(…) we also highly recommend not forgetting about mental and psychological recovery: spend quality time with your loved ones, visit the box to have some coffee and talk to your teammates, coaches and fellow community members. The mind is a muscle, do not neglect it, it controls your body.“
Mir ging es an sich gut, ich war nur unglaublich schlapp und müde. Ich überlegte, in die Box zu fahren, verschob das dann aber auf den nächsten Tag, um eventuell wieder am Training teilnehmen können.
Meine Duschen wurden sehr lang und heiß, ich gönnte mir jedes Nahrungsmittel, auf das ich Lust hatte und blieb den ganzen Tag im Bett, bis auf einen kurzen Spaziergang.
Am folgenden Tag stellte sich der erst so enorme Muskelkater ein, somit entschied ich, in die Box zu fahren und die Muskeln langsam zu aktivieren. Ich wurde glücklich begrüßt, viele fragten wie es war, wie es mir geht und wieso ich schon wieder hier wäre. Beim Work Out selbst wählte ich das Gewicht natürlich so gering wie es nur eben ging und setzte den Schwerpunkt auf die Recovery. Ich war sehr zufrieden mit mir.
FAZIT:
Da wir so viele Mitstreiter hatten, hat das Event richtig Spaß gemacht. Ab Stunde 13 war es meistens einfach nur anstrengend, jedoch hat der Zusammenhalt und die Motivation der anderen so einiges gerettet. Meine Gruppe hatte nicht einen Moment, in dem wir uns angezickt hätten, oder jemand schlafen bzw. essen wollte aber nicht durfte, jeder hat Rücksicht auf den anderen genommen und letztendlich haben wir es gerockt! Unsere massige Anzahl in der Box hat uns einen großen Vorteil verschafft.
Da ich das Glück hatte, so unglaublich viel Zeit zum schlafen zu haben, habe ich gut regeneriert und ziemlich bald wieder durchstarten konnte.
Dooferweise fragte mich ein paar Tage später direkt wieder jemand, ob ich nächstes mal wieder mitmache… Mein Kopf weiß, dass ich „Nein“ sagen wollte…
…jedoch klappt das wahrscheinlich nicht.
Nadine Schütte aus meinem Team bastelte aus allen mitgefilmten und fotografierten Sachen noch ein kleines Team-Video zusammen:
Im seitenwaelzer-Podcast „Spontan, Spontan“ spreche ich ebenfalls über das Event:
https://soundcloud.com/seitenwaelzer/spontan04
Weiterführende Links oder im Artikel erwähnte Organisationen findet ihr hier:
http://www.cfbielefeld.de/
http://www.24houramrap.com/
http://iamboss.de/
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Quellen:
http://www.24houramrap.com/the-day-after/
http://www.24houramrap.com/hour-15/
https://www.crossfit.com/what-is-crossfit
http://www.cfbielefeld.de/wasistcrossfit/
https://www.youtube.com/channel/UCtcQ6TPwXAYgZ1Mcl3M1vng
Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.
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Tamara Ossege-Fischer
man findet mich entweder auf matschigen Festivals, irgendwo beim Sport oder drinnen am Spieltisch. In meiner geliebten Wahlheimat Bielefeld studiere ich Dual Fitnessökonomie.
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