Denn sie wissen, was sie tun
AnnenMayKantereit gelten wahlweise als die Band der Stunde oder die „Beatles aus Köln-Sülz“. Jetzt sind die vier Jungs an der Reihe, den Hype, der schon länger um sie gemacht wird, auf ein solides Fundament zu stellen: Sie bringen am 18. März ihr erstes vollständiges Album heraus
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AnnenMayKantereit gelten wahlweise als die Band der Stunde oder die „Beatles aus Köln-Sülz“. Jetzt sind die vier Jungs an der Reihe, den Hype, der schon länger um sie gemacht wird, auf ein solides Fundament zu stellen: Sie bringen am 18. März ihr erstes vollständiges Album heraus, das aber kaum als Debütwerk bezeichnet werden kann. Längst spielt die Band vor ausverkauften Hallen.
Diese Stimme bleibt im Gedächtnis. Sie knarzt, sie dröhnt, sie bebt. Man wähnt einen Kerl vor sich, der wenig Schönes im Leben erfahren hat, der seine Trauer in Whisky und Zigarrenrauch verhüllt. Ein Mann, der unzählige Jahre eines zähen Lebens hinter sich haben muss, um seine Stimme so klingen zu lassen. Wer sich YouTube-Videos der 2011 gegründeten Band AnnenMayKantereit ansieht, glaubt seinen Augen kaum. Henning May (24), der Sänger, sieht sogar noch jünger aus als die Zahl, die auf seinem Personalausweis stehen dürfte. Jeder Song der Platte „Alles Nix Konkretes“ verdeutlicht, dass das Phänomen AnnenMayKantereit – der Name setzt sich aus den Nachnamen der Gründungsmitglieder der Band zusammen – auf eben dieser Stimme beruht.
Angefangen hat es mit einem Ablauf, der so wohl an vielen Orten der Welt zigmal stattgefunden hat. Ein paar Schulfreunde treffen sich in einer Garage, jammen vor sich hin, treten auf kleinen Bühne auf – und sind plötzlich national bekannt. AnnenMayKantereits erste Bühne war die Kölner Innenstadt. Auf YouTube hochgeladene Videos verbreiten sich in ungeahntem Tempo. Die noch in diesem Monat beginnende Tour ist bis auf die letzte Karte ausverkauft. Viel Aufmerksamkeit für eine junge Band. Was verbirgt sich hinter diesem Phänomen und was hat es mit der Platte auf sich?
Die neue Hoffnung des deutschen Pop ist seit Jugendtagen ein eingespieltes Team und auch heute wohnen einige Mitglieder noch zusammen in einer WG. Ihre Songs handeln davon, wie die Liebe und das Leben sie zerreißen, herausfordern, rätseln lassen, beflügeln. Wie es sich anfühlt, gemeinsame Träume und Hoffnungen zu hegen und schließlich aufgeben zu müssen. Jeder der Songs von „Alles Nix Konkretes“ strotzt vor Authentizität. Zum Beispiel der erste und wohl erfolgreichste Song „Oft gefragt“, der Mays persönliche Beziehung zu seinem Vater thematisiert. Es wird einem schwer zumute, wenn man ihn singen hört: „Hab keine Heimat, ich hab‘ nur Dich / Du bist zuhause, für immer und mich“. Von einer rauen Kraft, energiegeladen und gefühlvoll, sind diese Texte, die viele Menschen ins Herz zu treffen scheinen. Es geht um Nah- und Fernbeziehungen, um Trennungen und um alles andere als hochtrabende Wünsche: „Ich würd gern mit dir in ’ner Altbauwohnung wohn‘ / Zwei Zimmer, Küche, Bad und ’n kleiner Balkon“. Das mag kitschig und kleinbürgerlich-spießig klingen. Oder man fasst es einfach als Wunsch unserer Generation auf, die existentielle Suche nach seinem persönlichen Platz im Leben abzuschließen.
Schlagzeug, Gitarre, Bass, Gesang, Klavier und eine Mundharmonika wabern zwischen Pop, Rock und Blues hin und her, verleihen den Texten Mays Farbe. Kaum zu glauben, dass erst seit 2015 ein fester Plattenvertrag existiert und alles davor in purer Eigenregie stattfand.
Werden sich AnnenMayKantereit beim Branchenriesen Universal von ihren Alleinstellungsmerkmalen – Unbefangenheit und Natürlichkeit – entfernen? Droht das Business sie zu verschlucken, wie unzählige Musikhoffnungen vor ihnen? Kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem den vier Jungs der Ruhm zu Kopf steigt? Wenn man sieht, wie Henning May im Video zu „Barfuß am Klavier“ in einem weißen Unterhemd auf einer Straße sitzt, kann man sich das einfach nicht vorstellen.
Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.
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Nelly Langelüddecke
Studiert in Münster, liebt ihre Ehrenämter, turnt nebenbei in der Weltgeschichte herum und hat stets mit hochphilosophischen Gedanken zu kämpfen. Mal sehen, was sich davon in ihren Artikeln niederschlägt.
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