Gesellschaft und Lifestyle / Reportage
Der katalonische Kampf um die Unabhängigkeit
Die Katalanen sind schon ein eigensinniges Völkchen. Und wer mit ihnen über Politik debattieren möchte, der braucht ein dickes Fell und die Fähigkeit, ab einem gewissen Punkt den Mund zu halten, um sich nicht in Schwierigkeiten zu bringen.
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Die Katalanen sind schon ein eigensinniges Völkchen. Und wer mit ihnen über Politik debattieren möchte, der braucht ein dickes Fell und die Fähigkeit, ab einem gewissen Punkt den Mund zu halten, um sich nicht in Schwierigkeiten zu bringen.
Aktuelle Berichte erklären den katalanischen Drang zur Unabhängigkeit mit der 2007 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise. Spanien hat mit einer derzeitigen Arbeitslosenquote von 24,5% zu kämpfen, wobei die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 56,5% liegt. Zum Vergleich: Deutschland hat eine Arbeitslosenquote von 5% und nur 7,7% Jugendarbeitslosigkeit.
(Stand Juni 2014)
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Die allgemeine Stimmung in Katalonien ist daher recht aufgebracht, da in ihrer Region die Wirtschaft durch die Industrie-, Agrar-, und Tourismussektoren wesentlich ertragreicher ist, als der verschuldete Süden, der finanziell kräftig unterstützt werden muss. Meiner Meinung nach besteht auch der Wunsch der Unabhängigkeit nicht erst seit der Krise oder anderen Ereignissen in den letzten Jahrzehnten. Ich denke es war den Freigeistern dort schon immer ein Dorn im Auge, dass sie am 11. September 1714 gegenüber Philipp dem Fünften die Kapitulation verkündeten. Ironischerweise wurde jedoch genau dieser unerfreuliche Tag zum katalanischen Nationalfeiertag gewählt. Vielleicht hält die Erinnerung des Niedergangs der Unabhängigkeit auch den Wunsch aufrecht wieder ein selbstständiger Staat zu sein.
Ich sprach während meines Aufenthalts in Barcelona, die Hauptstadt Kataloniens, gern mit den Einwohnern über dieses politische Thema. Ich achtete jedoch darauf mich jeder Position sehr tolerant zu zeigen, da ich bei Nationalismus und seinen Ausdrucksformen ein latentes Unwohlsein verspüre. Muss wohl am deutschen Geschichtserbe liegen.
Ich wohnte in der Großstadt bei zwei verschiedenen Couchsurfern und sprach mit beiden über die Unabhängigkeit Kataloniens und erhielt zwei vollkommen gegensätzliche Positionen.
Die werde ich nun frei übersetzt mit meinen Spanischkenntnissen mal wiedergeben:
Frank, 40 Jahre, arbeitet für ein Unternehmen, das Wein und Sekt aus Frankreich importiert.
Seine Meinung zur Debatte:
Ist doch alles Blödsinn. In der heutigen Zeit der Globalisierung macht es keinen Sinn Grenzen wieder aufzubauen. Außerdem würden wir trotzdem in der Europäischen Union sein und somit würde unser Geld dennoch für die Unterstützung Spaniens ausgegeben werden. Außerdem lenkt diese ganze Diskussion ohnehin nur von den größeren Problemen ab. Auch mit der Unabhängigkeit werden wir noch korrupte Politiker und eine erhöhte Arbeitslosigkeit haben. In Spanien sowie in Katalonien.“
Raúl, 39 Jahre, Unternehmensberater hatte den gegnerischen Standpunkt:
Katalonien wird zu Grunde gerichtet, wenn wir weiterhin so viele Abgaben an Spanien machen müssen. Außerdem sollten wir das Recht darauf haben selbst über unser Land zu entscheiden und ein Referendum abhalten dürfen. Ich fühle mich als Katalane und nicht als Spanier.“
Als Außenstehende ist es oftmals leichter die Position von Frank zu verstehen, da man Spanien ohnehin immer als ganzes sieht. Jedoch konnte ich auch Raúls Position nachvollziehen, dass es eine emotionale Angelegenheit ist, in der es um die Kultur und die Identifikation mit seiner Herkunft geht. Für ihn ist Spanien wie ein Nachbarland und Katalonien ist seine Heimat.
Vom emotionalen Standpunkt her ist dieses differenzierte Zugehörigkeitsgefühl nicht verwerflich. Vom rationalen Standpunkt jedoch ist diese Denkweise sehr unpraktisch sowohl für die Katalanen als auch die Spanier oder andere Länder. Raúl und Frank haben wenigstens den Vorteil bereits Katalan zu sprechen. Erasmus-Studenten beispielsweise berichten immer wieder von Vorlesungen oder Einführungen, die in Katalan gehalten werden. Und von Ausländern, die ein halbes Jahr dort die Universität besuchen, zu erwarten, dass sie die zweite Amtssprache einer Region Spaniens können, ist nun wirklich eine Frechheit. Im Zuge der weltweiten Vernetzung sollte viel mehr Wert darauf gelegt werden Englisch oder wenigstens ein gut verständliches Spanisch zu bieten.
Ganz unterhaltsam fand ich auch das anpassungsfähige Nationalgefühl eines Touristenführers.
Der junge Mann betonte immer wieder seine Verbundenheit zu Katalonien und nannte Gaudí explizit einen katalanischen Architekten. Als er jedoch von bedeutenden Schriftstellern sprach, war er auf den spanischen Schreiber Miguel Cervantes ebenso stolz, obwohl dieser in Kastilien geboren wurde.
Wir werden sehen, was die Zukunft bringt mit besonderem Augenmerk auf den 9. November 2014.
Dann nämlich soll das lang ersehnte Referendum zeigen, ob die Bürger Kataloniens in einem eigenen unabhängigen Staat leben möchten. Zumindest hat die katalonische Regierung diese Abstimmung angesetzt allerdings ohne Zustimmung der spanischen Regierung. Ob diese Abstimmung wirklich gehalten wird, wird sich zeigen. In jedem Fall ist aber die Frage unbeantwortet inwiefern die spanische Verfassung mit einer derartigen Entscheidung überhaupt vereinbar sein kann.
Zum vorherigen Artikel: Barcelona – Eine Stadt voller Kunst
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Quellen:
http://de.statista.com/infografik/1618/jugendarbeitslosenquote-in-der-eu/
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