Der Palast im Kopf – wie ihr euch viel Stoff in kurzer Zeit merken könnt
Ein kleiner Ausflug in die Welt des Gedächtnistrainings
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten
Die Klausuren rücken näher und näher und die Zeit sich ein ganzes Semester Stoff in das Gehirn zu hauen wird immer knapper. Gerade viele Studierende, die gerne alles auf den letzten Drücker erledigen, werden dieses Gefühl kennen – aber keine Sorge, ich verurteile euch nicht. Im Gegenteil: Ich möchte euch eine Methode zeigen, wie ihr es schaffen könnt, in kurzer Zeit eine große Menge an Inhalten zu lernen.
Machen wir zunächst einen kleinen Versuch. Schau dir die folgenden Zahlen an und merk sie dir. 46893023509. Obwohl die Meisten diese Zahl jetzt wohl übersprungen haben, werdet ihr mir vermutlich zustimmen, dass es nicht so einfach ist, sich eine 11-stellige Zahl mal eben so zu merken und auch am nächsten Tag noch zu wissen. Ein erster Ansatz wäre es, sich diese Zahl in Gruppen vorzustellen – so macht man es ja oft bei Telefonnummern: 46-89-30-23-509. Schon sind es nur noch 5 Zahlen, die man sich merken muss. Aber wir sind erst am Anfang. Jetzt lies dir die folgende kurze Geschichte durch und stell sie dir vor deinem inneren Auge genau vor.
Ich betrete den Park. Es ist mein 46. Geburtstag und ich habe mir vorgenommen, Joggen zu gehen. Ich laufe also los, als mich jemand wie ein Blitz überholt. Der alte Mann von nebenan ist mühelos an mir vorbeigezogen und das mit 89! Aber es ist ja auch schon Ende des Monats, der 30. um genau zu sein, da kann man nicht mehr so schnell laufen. Jetzt komme ich an einer Schulklasse vorbei. 23 lärmende Kinder und ein verzweifelter Lehrer, der wie ein Wahnsinniger herumschreit. Ich umrunde den See in dem kleinen Park, als sich in der Mitte des Wassers sich ein gewaltiger Strudel bildet. Ich erschrecke: Heute gehe ich nicht schwimmen, der Sog (509) ist zu stark.
Okay, die Methode, die wir in diesem kleinen Versuch benutzt haben, wird einigen LeserInnen bereits bekannt sein. Hier werden die Zahlen mit Bildern verbunden und genau das ist der Trick an der ganzen Sache. Eselsbrücken wie etwa „Jeden Tag Erklärt Mein Vater Mir Unseren Nachthimmel“ um sich die Namen und Reihenfolge der Planeten von der Sonne ausgehend zu merken, nutzen genau dasselbe Prinzip und es klappt am besten, wenn man sich den Satz auch noch mit einem gedanklichen Bild des erklärenden Vaters verknüpft. Aber wir werden gleich noch einen Schritt weitergehen und zu viel komplexeren Inhalten kommen, die ihr euch am Ende kinderleicht merken könnt.
Die vorgestellten Gedächtnismethoden lassen sich alle unter dem Begriff „Mnemotechnik“ zusammenfassen und sie werden in genau dieser Form von Gedächtniskünstlern genutzt und waren selbst im antiken Griechenland bereits bekannt. Bloßes Auswendiglernen fällt unserem Gehirn verhältnismäßig schwer und das Gelernte bleibt nicht lange bestehen, da die Verknüpfungen zum Gelernten nur sehr lose sind. Vielleicht habt ihr es schon erlebt, dass ihr euch Dinge besser merken könnt, wenn ihr sie wirklich verstanden habt, anstatt nur stumpf auswendig gelernt. Diese Tatsache nutzen wir um den Verstand ein wenig auszutricksen beziehungsweise anzukurbeln. Die Königsdisziplin ist der sogenannte Gedankenpalast und diesen werden wir im Folgenden bauen (Architekturkenntnisse sind nicht vonnöten).
Vielleicht kennt ihr die Serie „Sherlock“ oder den Film „Das Schweigen der Lämmer“. In beiden Fällen ist es einem Charakter der Geschichte möglich, sich exakt an Dinge zu erinnern, die teilweise schon Jahre zurückliegen, indem er sich gedanklich in einen „Palast“ begibt und dort einfach nachschaut. Reine Fiktion? Tatsächlich nicht, denn an dieser Idee ist wirklich etwas dran. Nur so ist es Gedächtniskünstlern möglich, sich an Hunderte zufällige Nummern zu erinnern. Sie nennt sich „Loci Methode“ und gilt als eine der Sichersten, wenn es um das Merken von Dingen geht. Es gibt zwei Arten, wie man dieses Konstrukt nutzen kann. Die erste Methode ist die weitaus kompliziertere, denn sie erfordert eine besonders gute, bildliche Vorstellungskraft. Die zweite Methode ist diejenige, die ich für das panische Lernen wenige Tage vor den Klausuren empfehlen würde. Die Technik funktioniert für schlecht visualisierbare Inhalte wie folgt. Angenommen, ihr möchtet euch die Reihenfolge der Bundesländer geordnet nach ihrer Fläche merken. Dann stellt ihr euch ein Haus vor. Ob es ein fiktiver Palast ist oder ihr euch einfach euer zu Hause oder einen bekannten Ort vorstellt, ist dabei egal.
Nun betrete gedanklich deinen Palast durch die Vordertür und du findest dich in einer Eingangshalle wieder. Dort wirst du von einem freundlich grinsenden Bayer begrüßt (Bayern). Er führt dich zu einer kleinen Treppe, die du schnell herunterläufst (Niedersachsen) und direkt im Bad landest (Baden-Württemberg). Vor dem Fenster siehst du eine brennende Burg (Brandenburg), vor der eine Horde Menschen steht und meckert (Mecklenburg-Vorpommern).
Nach dieser kurzen Szene haben wir bereits die ersten sechs Bundesländer gemerkt. Das funktioniert ja genauso wie unsere kleine Geschichte weiter oben. Genau, ein Gedankenpalast nutzt dieselben Ideen, nur, dass man sich alle Räume selbst denkt und immer neu assoziieren kann. Den Spaziergang durch den eigenen Gedankenpalast kann man überall machen, ob im Bus oder kurz vor dem Einschlafen. Dadurch, dass das Haus in eurem Kopf einem räumlichen Zusammenhang folgt, kommt ihr stets wieder an allen Assoziationen vorbei und wiederholt euer Wissen so jedes Mal – das hilft gegen das Vergessen. Es ist übrigens nur bei derart abstrakten Inhalten nötig, sie mit ähnlichen Bildern zu assoziieren, richtige Bilder könnt ihr beispielsweise einfach imaginär an die Wand hängen und bei jedem „Vorbeigehen“ einen Blick darauf werfen. Oder ihr baut sie einfach in die Welt ein. Die Strukturformel von Ethanol könnte eine Gesellschaft aus fünf Herren sein, die an einem Tisch (aus Kohle) sitzt. Nur der Hund muss mit seinem Napf danebensitzen. Was genau ihr euch vorstellt, bleibt allein euch überlassen. Wichtig ist nur, dass ihr euch die Situation möglichst bildlich vorstellt und je absurder sie ist, desto besser könnt ihr euch später daran erinnern
Das Problem bei einem Gedankenpalast ist nur, dass man ihn stetig nutzen und auch erst einmal aufbauen muss. Man kann das Prinzip der Loci-Methode aber auch ganz einfach anwenden, um sich viel Stoff zu merken. Ihr benötigt dazu nur eine Wegstrecke. Das kann ein kurzer Gang durch die eigene Wohnung sein oder etwa der Weg zu Uni. Am besten, ihr kennt diesen Weg und könnt ihn im Kopf bereits gut abgehen. Jetzt sucht ihr euch auf dieser Strecke verschiedene Stationen in der richtigen Reihenfolge, begebt euch dorthin – dieses Mal physisch – und lernt an diesen Orten jeweils einen kleinen Bereich des zu lernenden Stoffes. In den eigenen vier Wänden könnte man sich zum Beispiel Grafiken und Schaubilder auch einfach an die Wand hängen. Nun geht ihr diesen Weg immer wieder und wieder ab – wichtig ist dabei, dass die Reihenfolge am besten gleich bleibt. An jeder Station bleibt ihr stehen und lernt einen Zettel. Sitzt ihr später in der Prüfung und geht gedanklich euren Weg ab, könnt ihr euch in den meisten Fällen deutlich besser an die Inhalte erinnern, da ihr sie geistig mit dem Ort verknüpft habt. Der einzige Nachteil bei der Methode ist, dass ihr in Zukunft bei der Parkbank immer an lineare Algebra und bei der Kirche an unregelmäßige Verben denken müsst. Ich persönlich kann die Methode auf jeden Fall empfehlen und habe sie auch selbst schon einige Male mit Erfolg angewandt. Vielleicht testet ihr sie aber erst mal, bevor ihr euch in der Prüfungssituation zu 100% darauf verlasst.
Und jetzt noch einmal: Wie lautet die Zahl vom Anfang?
Ein kleiner Tipp: Eigenes Alter, lauffreudiger Senior, Ende des Monats, Schulklasse, Sog
46893023509
Für alle, die sich noch weiter mit dem Thema beshäftigen möchte, hier ein toller TED-Talk über Gedächtnistraining.
Quellen
https://de.wikipedia.org/wiki/Mnemotechnik
http://www.huffingtonpost.de/2016/11/23/methode-merken_n_13167536.html
http://www.boriskonrad.de/mnemotechnik/gedaechtnispalast/
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Robin Thier
Gründer von seitenwaelzer, lebt in Münster und beschäftigt sich in seiner freien Zeit mit Bildbearbeitung, Webseitengestaltung, Filmdrehs oder dem Schreiben von Artikeln. Kurz: Pixelschubser.
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