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Die Gender-Debatte kommt zu seitenwaelzer

Liebe Leser*innen, liebe Leserschaft, liebe Leser und Leserinnen, liebe Leserinnen und Leser, die Debatte über die gendergerechte Sprache hat es auch auf seitenwaelzer geschafft.
| Amelie Haupt |

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

seitenwaelzer

Liebe Leser*innen, liebe Leserschaft, liebe Leser und Leserinnen, liebe Leserinnen und Leser,

die Debatte über die gendergerechte Sprache hat es auch auf seitenwaelzer geschafft. Als der Vorschlag aufkam, dass wir eine einheitliche Schreibweise mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Geschlechter einführen, kamen von einigen Autoren ein engagiertes „Ja!“ und von anderen ein „Och nee“.

Viele Stimmen in unserer Gesellschaft, die gegen das Gendern der Sprache wettern, jammern über das „Zerrupfen der Sprache“, klagen von „erfundenen Wörtern“ und behaupten, dass das generische Maskulinum doch beide Geschlechter mit einschließe. Die meist gestellte Frage ist dabei: „Warum das Ganze?“
Die Debatte um Frauen in der Alltagssprache kam schon einmal in den 1970er Jahren auf. Die Professorin für Sprachwissenschaften Luise Pusch forschte über geschlechtergerechte Sprache und über die männliche Ausrichtung der deutschen Sprache. Auf sie geht auch das Binnen-I zurück (Bsp: „LehrerInnen“), das ein flüssiges Lesen beider Geschlechter erlaubt.
Damals wie heute ist die Forderung der Befürworter*innen, Frauen sichtbar zu machen. Wer den Satz „35 Schüler nahmen am Fußballturnier teil“ liest, wird dabei sehr wahrscheinlich an männliche Schüler denken. Denn selbst wenn das generische Maskulinum zwar beide Geschlechter meint, sind die Bilder in unseren Köpfen doch sehr abhängig von der Wortwahl. Das Bild verändert sich sobald der Satz heißt: „35 Schülerinnen und Schüler nahmen am Fußballturnier teil.“
Doch nicht nur das feminine Geschlecht soll mehr in die Aufmerksamkeit der Lesenden gezogen werden, nun möchte man auch Platz schaffen für all jene, die sich keinem Geschlecht eindeutig zuordnen können oder möchten. Die Lösung für diese Forderung: ein simples Sternchen. „35 Schüler*innen nahmen am Fußballturnier teil“. Eine kreative Lösung, die Pole der Geschlechter und alles dazwischen mit einem Sternchen verbindet, das Raum zur Identifikation lässt.

„Eine Studie belegt, dass Kinder im Grundschulalter das generische Maskulinum noch nicht verstehen. Das heißt, sie stellen sich, wenn ein generisches Maskulinum verwendet wird, nur männliche Vertreter der bezeichneten Gruppe vor.“ (Switzer, Jo Young (1990): „The Impact of Generic Word Choices: An Empirical Investigation of Age- and Sex-Related Differences.“)

Warum ist mir dieses Thema wichtig?

Ich gebe zu, dass ich diejenige in unserem seitenwaelzer-Team war, die die Genderdebatte anstieß. Leider waren nun nicht alle so begeistert, wie ich mir erhofft hätte, aber ich wollte diese Debatte auf keinen Fall unter den Tisch fallen lassen. Also öffnete ich die gemeine Trickkiste und griff nach der rabiaten Pistole auf der Brust. Genau diesen Artikel hier schrieb ich „im Namen von seitenwaelzer“ und verkündete, dass wir uns einheitlich zu einer gendergerechten Sprache entschieden hätten und wir von nun an neutrale Wörter und die *-Variante schreiben würden.
In unserer Facebook-AutorInnengruppe flogen die Fetzen.
Zu meiner Überraschung gingen die Meinungen sehr weit auseinander. Zu meiner noch größeren Überraschung: Unabhängig des Geschlechts! Dennoch kamen wir zu einem Ergebnis:

Alle stimmten mir zu, dass die deutsche Sprache genderUNgerecht sei.

Einige stimmten mir zu, dass die Sprache Einfluss auf unsere Gesellschaft hat und es deswegen besser wäre (in irgendeiner Form) bewusst die Geschlechter einzusetzen.

Ein paar waren bereit neutrale Formen zu verwenden und das Binnen-I wäre auch noch „okay“.

Alle, bis auf eine tapfere Stimme, waren sich einig, dass das Gender-* dem Lesefluss nicht zuträglich sei.

Dabei war durchweg das stärkste Argument die Lesbarkeit. Ein Sonderzeichen mitten im Wort erscheint den meisten wohl so fremd im Auge, dass man sich nicht daran gewöhnen könne. Diese sehr sichtbare Form des Genderns wird von vielen zudem als erhobener Zeigefinger und als Belehrung aufgefasst. Dabei soll doch einfach nur das obsolet benannte „schwache Geschlecht“ aus seiner Schwäche herausgeholt werden und gleichberechtigt mit dem „starken Geschlecht“ genannt werden, so dass irgendwann in einer friedlichen Zukunft ohne Kampf zwischen den Geschlechtern diese schwachsinne Machtverteilung aufgehoben ist. Ohne Vorwurf. Ohne Zeigefinger. Ganz einfach der Platz, der Frauen und Männern zusteht.

Puh, das Resultat dieser internen Debatte hatte ich mir anders vorgestellt! Ich hatte gehofft, dass ich wenigstens alle dazu bekomme in irgendeiner Form eine gendergerechte Sprache in ihren Artikeln zu verwenden und wenigsten mit dem Binnen-I zu arbeiten. Doch unsere Meinungen gingen nun so weit auseinander, dass wir wirklich nicht auf einen gemeinsamen Nenner kamen. Außer natürlich: Jeder macht, was er oder sie will. Wie er es euch denken könnt, habe ich mich dafür entschieden, von nun an auf eine gendergerechte Sprache in meinen Artikeln zu achten. Abgesehen von meiner prinzipiellen Überzeugung von der Macht einer gerechten Sprache für eine gerechte Gesellschaft, ist es auch unsere Zielgruppe und unsere Aufgabe an sich, die mich dazu bewegt.

Unser selbsterklärtes Ziel von seitenwaelzer ist es, junge Menschen dabei zu unterstützen ihr Leben zu gestalten. „Was soll ich nach dem Abi machen?“ „Welche Studienfächer sprechen mich an?“ „Wie verbringe ich meine Freizeit?“ Das sind die Themen, die wir auf seitenwaelzer behandeln und dabei ist es wichtig, dass wir all unsere Leser*innen, egal welchen Geschlechts, gleichermaßen ansprechen.
Wenn unser Autor Patrick Schuster von seinem Studium der erneuerbaren Energien spricht oder unsere Autorin Melina Ritterbach über Politik und Islamwissenschaften berichtet, dann sollte weder das Geschlecht der Schreibenden, noch der Lesenden eine Rolle spielen.
Wir leben im 21. Jahrhundert und wissen, dass Intelligenz, Bildung, Fleiß und was sonst im Studium, Beruf und Leben von Hilfe ist, nicht vom Geschlecht abhängt. Nun ist es so, dass eine genderUNgerechte Sprache, zumindest unbewusst, ein Weltbild in unseren Köpfen unterstützt, das wir doch eigentlich schon längst hinter uns gelassen haben.

„Was haben die Zicke, die Schlampe, die Krankenschwester, die Sekretärin oder die Nazibraut gemeinsam? Ihnen fehlt, zumindest auf der sprachlichen Ebene, ein männliches Gegenüber. Es gibt keinen Krankenbruder, keinen Nazibräutigam, keinen Schlamperich, auch keinen Zickerich und der Sekretär ist zunächst einmal ein Tisch.“
Dieses Beispiel zeigt, dass uns nicht nur in der Grammatik, sondern auch in der Bedeutung von Worten noch viele Ungleichheiten begegnen.

Wir sind natürlich nicht die einzige Redaktion, in der sich AutorInnen an die Köpfe bekommen, ob und wie die Schreibweise von Personenwörtern verändert werden soll. Die Zeit veröffentlichte im Juni 2016 einen Schlagabtausch über eben jene Debatte zwischen der Autorin Anna-Lena Scholz und dem Redakteur Thomas Kerstan. Wie bei uns tauchte das Argument der Lesbarkeit und des Zerrupfens der Sprache auf. Nun, man kann es nicht besser formulieren als Anna-Lena Scholz es tat:

„Ehrlich gesagt – wenn die sprachliche Brillanz und argumentative Kraft eines Zeitungsartikels am seidenen Faden des generischen Maskulinums hängt, dann taugt er nicht viel.“

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Let’s get creative: Die Universität als Antragstellerin.

Die deutsche Sprache ist bunt und vielfältig und bietet allerhand Möglichkeiten sich auszudrücken. Ich fordere ebenso wie Frau Scholz „Mut zur Kreativität!“.
Aus Lehrern und Putzfrauen kann man starke Lehrkräfte und Putzkräfte machen. Statt ständiger Wiederholung der angesprochenen Personengruppe kann man „alle“ und „jene“ anschreiben. Eine direkte Ansprache mit Sie oder dem vertrauten Du macht das Gendern ohnehin überflüssig.
Nun gibt es noch Stimmen, die sich gegen das künstliche Verändern der Sprache erheben und keine erfundenen Wörter, so genannte Neologismen, verwenden möchten. Doch selbst Shakespeare tat genau dies: Er erfand Wörter, die es zuvor nie in der geläufigen englischen Sprache gab und dessen Wortkreationen in den allgemeinen Sprachfluss übernommen wurden. Und jetzt soll noch jemand was gegen Shakespeare sagen. Wer also ebenfalls überzeugt ist, dass es wichtig ist das weibliche Geschlecht (und Transgender) in unserer Sprache sichtbar zu machen: Traut euch! Wer euch dann nicht mehr verstehen „kann“, will es auch gar nicht.

Erin McKean: Go ahead, make up new words!

Über das Erfinden und Verstehen von Worten

Ich für meinen Teil halte mein Schreibtalent für gut genug, dass ich auch in Zukunft gut lesbare, gendergerechte Artikel auf seitenwaelzer veröffentlichen werde.
Allerdings hat mir die Debatte gezeigt, dass das Transgender-* doch eine so starke Ablehnung hervorruft, dass es mehr zu verschränkten Armen, als zur Einsicht führt. Ich gehe also den Kompromiss ein, das Binnen-I zu verwenden, da ich es auch als elegantere Lösung empfinde.

Übrigens: dieser Artikel ist ein durch und durch gendergerechter Artikel und wer Unannehmlichkeiten im Lesefluss hatte, der möge sich nun in der Kommentarbox erheben oder für immer schweigen!


Quellen: http://www.gb.uni-koeln.de/e2106/e2113/e5726/2014_Leitfaden_UeberzeuGENDEReSprache_11032014.pdf
http://www.zeit.de/2016/24/sprache-gender-studenten-streit-studierende
http://www.frauenbeauftragte.uni-muenchen.de/genderkompetenz/sprache/index.html

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