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E-Book-Romantik
Vom Buch-Liebhaber zum E-Book-Romantiker? Ja, das geht. Tamara schreibt über ihre schwere Trennung von echten Seiten aus Papier.
Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Jeder Buch-Liebhaber kennt es: Stürmische Herbsttage, man sitzt in Decken und Kissen vergraben auf dem Sofa. In der Hand das Lieblingsbuch, links steht eine heiße Tasse Tee. Die Welt ist in Ordnung.
Im Hintergrund ragt das riesige, dunkle Bücherregal empor. Man schaut verträumt, geht die Bücher durch und erinnert sich zurück.
Idealerweise.
Und dann gibt es Bücher, an die erinnert man sich nicht mehr. Wann habe ich die gekauft? Oh, ich wusste gar nicht, dass ich das besitze. Manche Bücher stehen seit Monaten, Jahren im Regal, ungelesen. Ungeliebt.
Aber ich lese das Buch ja noch. Nächste Woche, oder so. Nachdem ich das, das, das und das von Tante Olga auch gelesen habe. Und die Liste wird immer länger…
Versteht mich nicht falsch.
Ich bin die Art von Mensch, die ihre Donnerstag-Abende in Bücherläden verbringt, weil ich mich da pudelwohl fühle und den Geruch von Büchern so liebe.
Mein Traum war es immer, eine eigene Bibliothek mit tausenden von Büchern zu besitzen, mit einem knautschigen Sessel und dieser berühmten Leiter. Und so sammelte sich über die Jahre einiges an.
Ich identifizierte mich über den Inhalt des Regals.
Bis heute.
Ich fing an, mich unwohl zu fühlen. Die Regale erdrückten mich. Die Last, der vielen ungelesenen Bücher, die man irgendwo mal für teures oder auch für wenig Geld gekauft hat.
Ich war mir ziemlich sicher, dass ich viele der ungelesenen nicht mehr lesen würde. Nur, wenn wirklich alles andere gelesen ist, und wann ist das schon.
Die ganzen alten Jungendbücher, die man früher verschlungen und vorwärts und rückwärts gelesen hat, standen auch schon viele Jahre unberührt daneben. Manche sind so alt, dass ich gar nicht mehr wusste, worum die Geschichte eigentlich geht, obwohl ich sie mindestens 10x gelesen hatte.
Die vielen geliebten Bücher, die man allein der Geschichte wegen nur ein mal lesen kann. Oder die, die man wirklich geliebt hat und total zerfleddert sind.
Und dann gab es die Bücher, die man nur hatte, weil man dachte, man müsste das als Belesener besitzen. Sie sehen „halt chic“ im Regal aus, aber gewürdigt hat man sie nicht wirklich.
Was jetzt?
So sehr ich mich jahrelang davor sträubte, die Teile ablehnte und nichts darüber wissen wollte: Ich befasste mich tatsächlich mit einem E-Book-Reader. Natürlich in dem Buchladen meines Vertrauens.
„Da kannst du über 2.000 Bücher draufladen und er wird keinen Gramm schwerer!“ – Mh, leicht war er tatsächlich. Und handlich, fast niedlich.
Ich schlug mich mit dem Touch-Screen rum, verfluchte die neue Technologie und fuhr wieder heim.
Zu meinen riesigen Regalen und der Traurigkeit, die immer schwerer wurde.
Zu diesem Zeitpunkt verbrachte ich schon viel Zeit in Buchläden um zu schmökern, zu versinken oder manchmal auch einfach, um Wartezeit totzuschlagen. Ich hatte zu den Öffnungszeiten jederzeit die Möglichkeit, dieses Gefühl hervorzuholen und Zeit dort zu verbringen. Wieso musste ich zu Hause ein massiges Sammelsorium haben, was mir aufs Gewissen drückt
Ich informierte mich doch weiter
Das schöne an E-Readern ist tatsächlich ihre Einfachheit. Man kann sich in allen denklichen Positionen „hinflezen“ und muss das Teil nur leicht mit 3 Fingern halten, ohne, dass es runterfällt und die Seite verschlagen ist. Unterwegs nimmt er kaum Platz weg, was vor allem bei dicken Büchern und kleinen Taschen oft ein Problem ist. Wenn man in der Sonne liest, wird man nicht blind, da das Display sich automatisch der Umgebungshelligkeit anpasst, abends wird sogar das blaue Licht gedimmt, dass die Augen geschont werden.
Der Akku hält locker 2 Wochen, man hat genug Zeit, ihn ab und zu kurz an die Steckdose zu stecken. Das funktioniert deshalb, weil das e-Ink-Display nur Energie in die schwarzen Teilchen steckt und diese neu Sortiert, wenn die Seite umgeblättert wird.
Ein Kindle kam für mich nicht in Frage. Ich wollte mich nicht an Amazon binden und schon gar nicht meinem Lieblingsbuchladen untreu werden.
Beim zweiten Beratungsanlauf vor Ort erklärte mir die nette Dame, dass ich mit z.B. einem tolino direkt im Laden die Bücher runterladen konnte. Es gibt Büchercodes, damit man immernoch Bücher verschenken kann, ich kann aber auch bequem von zu Hause außerhalb der Öffnungszeiten jederzeit Bücher „aus dem Laden“ kaufen.
Ich nahm mir fest vor, nur das zu kaufen, was ich wirklich lese.
Moment – muss ich dann alle Bücher neu kaufen??
Theoretisch ja. Da gedruckte Bücher und ihre digitalisierte Version unterschiedlich versteuert werden (Mehrwertsteuer), ist es nicht möglich, Gedrucktes quasi in ein E-Book „umzuwandeln“.
Und da kam mir die zündende Idee:
Stadtbibliothek!
E-Book-Reader in offenen oder gemischten Systemen können auf die Auswahl der Stadtbibliotheken zugreifen! Geschlossene Systeme sind nur Apple und Kindle.
Das heißt, dass ich mit meinem tolino zu Hause Bücher aus der Bibliothek ausleihen kann. Wenn die Frist abgelaufen ist, geht das Buch einfach wieder zurück, ohne, dass ich irgendwas machen muss. Mitgliedschaften kosten hier zwischen 14 und 22€ im Jahr.
Wieso ist mir das nicht eher eingefallen? Jahrelang war ich als Kind Bibliotheksmitglied und habe jedes Buch gelesen, was ich dort in die Finger bekommen konnte. Wieso das nicht wieder aufnehmen und massig Geld sparen?
Ich verkaufte alle Bücher, die ich loswurde über verschiedene Portale, Facebook oder an Freunde. Alles, was übrig blieb, wurde an soziale Einrichtungen gespendet oder in verschiedene „öffentliche Bücherregale“ gesteckt.
Das war alles wirklich schwer, aber als ich von dem erwirtschafteten Geld den E-Reader in der Hand hatte und „genauso“ meine Bücher lesen kontte, wie vor der Aktion, ging es mir gut.
Ich werde weiterhin Buchromantikerin sein und meine Abende in Buchläden verbringen.
Nur werde ich mich in den eigenen vier Wänden nicht mehr erdrücken lassen oder auf Ausflügen und Reisen kiloweise Bücher mitschleppen.
Die Romantik im anfangs beschriebenen Szenario liegt nicht in dem gedruckten Buch. Sie liegt im Gefühl.
Es geht um das Leseerlebnis, um die Geschichte, die Charaktere, den Inhalt. Um die Gefühle, die man beim Lesen empfindet und um die „andere Welt“. Es geht nicht darum, tausende von staubigen Büchern zu Hause stehen zu haben. Es geht nicht ums Materielle. Es geht ums Lesen selbst.
Lies hier mehr über Minimalismus und Materalismus
Bei diesem Artikel handelt es sich nicht um eine Firmenkooperation. Die Autorin stellt ihre persönliche Meinung über die beschriebenen Geräte und Firmen dar.
Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.
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Tamara Ossege-Fischer
man findet mich entweder auf matschigen Festivals, irgendwo beim Sport oder drinnen am Spieltisch. In meiner geliebten Wahlheimat Bielefeld studiere ich Dual Fitnessökonomie.
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