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Pro G9 – Warum ich als G9er richtig zufrieden war

Abitur nach 13 Jahren ist im Rennen – die Landesregierung NRW hat in den Schulentwurf das G9-Konzept erneut integriert. Warum das eine gute Sache ist.
| Timea Wanko |

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

G9hmauck | Pixabay

Abitur nach 13 Jahren ist wieder heiß im Rennen – die Landesregierung NRW hat in ihrem Schulentwurf das G9-Konzept erneut integriert. Voraussichtlich soll ab 2019 auf die neunjährige Gymnasialzeit umgestellt werden. Ein Jahr länger die Schulbank drücken – aber könnte das nicht auch eine Chance sein?

Für mich war es jedenfalls extrem wertvoll und vorteilhaft, als letzter Jahrgang in NRW 13 Jahre zur Schule zu gehen.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie wir in der zehnten Klasse ab und zu zur sechsten Stunde frei hatten, uns im Sommer gefreut haben, nach der Schule ins Schwimmbad zu gehen oder wenigstens ein Eis zu essen, wohingegen die Neuntklässler bei strahlender Sonne noch bis 15/16 Uhr im Unterricht saßen. Natürlich sah es nicht immer so rosig aus. In der Oberstufe hatte ich beispielsweise donnerstags bis 18 Uhr Sportunterricht – zwischendurch eine Flut von Freistunden. Trotzdem bot mir G9 einige wichtige Vorteile.

Die elfte Klasse – Zeit zum Aufatmen

Ein absolutes Highlight meiner Schulzeit war die elfte Klasse. Da ich gut in der Schule war, durfte ich für ein Jahr eine Schule in Neuseeland besuchen (ohne die Klasse wiederholen zu müssen). Einige andere waren für drei, sechs oder ebenfalls zwölf Monate weg. Dafür war die elfte Klasse super geeignet, da sie der Orientierung dienen sollte. Hier konnte man Leistungskurse ausprobieren und auch verschiedene Grundkurse zunächst im Überfluss belegen. Der Druck wurde etwas rausgenommen. Man konnte sich ausprobieren, da die Noten ja noch nicht für das Abitur zählten. Oder man konnte ins Ausland gehen. Wer jetzt denkt, hui, Neuseeland hätten sich meine Eltern nieeemals leisten können – meine auch nicht, aber es gibt ganz tolle Stipendien, viele Organisationen und Hilfen, um so ein Auslandsjahr wenigstens für ein paar Monate möglich zu machen. Was ist mit der scheinäquivalenten EF im G8-Konzept? Die EF, die Einführungsphase, fungiert ebenfalls als eine Art Orientierungsphase, dennoch wird viel mehr neuer Stoff gelehrt als in der Klasse 11. Und trotzdem war die 11 nie überflüssig; alle Schüler*innen wurden auf den gleichen Nenner gebracht.

Leben außerhalb der Schule

Ein weiterer Punkt, den ich genießen konnte, weil ich oft nur bis 13:15 Uhr Schule hatte, war ein tolles Sportangebot. In der neunten und zehnten Klasse hatte ich zweimal die Woche Fußballtraining, in der Unterstufe dreimal die Woche Schwimmtraining. Zwar begann dies oft erst um 18 Uhr, aber so hatte ich genügend Zeit zum Runterkommen, Essen, Hausaufgaben machen und war nicht im Vorfeld durch die Schule total platt.
Ich hatte ein richtiges Leben nach der Schule. Um 16 Uhr konnte ich schon etwas mit Freunden machen, die ich nicht aus der Schule kannte.
Es gibt aber auch Schüler*innen und Eltern, die ein Ganztagsangebot bevorzugen. Dafür ist G8 jedoch nicht nötig, offene Ganztags-Gymnasien oder Gesamtschulen bieten eine fabelhafte Alternative. Hierbei ist es den Schüler*innen und Eltern freigestellt, ob erstere an einem Nachmittagsprogramm teilnehmen, das beispielsweise Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung, Fördergruppen und/oder Sport-/Kreativoptionen beinhaltet.

„Gap Year“ funktioniert auch mit G9

Als ich dann endlich mit 18 Jahren mein Abitur machen durfte, war ich doch ein bisschen froh, dass die Zeit vorbei war. Mit meinen 18 Jahren war ich noch jung und wollte nicht gleich mit dem Lernen weiter machen. Daher fing ich nicht direkt mit dem Studium an, sondern floh ein halbes Jahr nach Schweden und arbeitete das zweite halbe Jahr in einem Café. Selbst mit G9 bleibt ein „Gap Year“ eine wunderbare Option und zu alt war ich als G9er dafür ja sicherlich nicht. Hätte ich mit G8 mein Abitur gemacht, wäre ich erst 17 gewesen – zu jung für ein Auslandsjahr und rechtlich ebenfalls zu jung für die Arbeit im Café.

G8: Zu viel Stoff, zu wenig Zeit – fatal für’s Sprachenlernen

Es gibt aber auch noch einige weniger persönliche Gründe, die für das G9-Konzept sprechen. Momentan ist es jedenfalls in NRW so vorgesehen, dass die zweite Fremdsprache schon ab der sechsten Klasse unterrichtet wird. Englisch als erste Fremdsprache wird zwar bereits in der Grundschule gelehrt, jedoch noch höchst heterogen. Erst ab der fünften Klasse kann man davon ausgehen, dass bei allen Schüler*innen ein fundierteres Wissen vermittelt wird. Da ist es doch wirklich verwunderlich, dass bereits ein Jahr danach eine zweite Fremdsprache hinzukommen soll. Um eine Sprache zu lernen und auch zu sprechen, braucht es Zeit und Übung.
Dieses Problem ist bei den Fremdsprachen am deutlichsten, tritt aber durchgehend auf. Bei G8 müssen die Kinder schneller mehr lernen, und das Gelernte hat weniger Zeit durchzusickern. Es entsteht mehr Druck.

Lies Robins Meinung zu dem Thema: „G8…wir leben noch und so schlimm war es nicht“

Mehr Zeit für Zukunftsgedanken

Das „G9er sind viel reifer“-Argument möchte ich nur kurz anschneiden. Natürlich macht ein Jahr Entwicklung in diesem Alter einen sehr großen Unterschied. Vor allem diese Phase der jungen Adoleszenz ist durch eine intensive Persönlichkeitsentwicklung und –entfaltung geprägt. Ein Jahr mehr könnte helfen, die Stärken und damit verbunden Zukunftswünsche weiter zu erforschen. Nichtsdestotrotz ist Reife und eine gewisse Metareflexionsfähigkeit viel zu personenabhängig, um als handfestes Argument zu gelten. Hier muss viel mehr die Schule selbst tätig werden und zukunftsorientiert fördern. Ein weniger vollgepackter G9-Stundenplan bietet mehr Raum für Praktika und Beratung zu Studium, Ausbildung und Beruf.

Ganz praktisch ist dieses Thema jedoch viel komplexer. Als Lehramtsstudentin freue ich mich natürlich, dass es mit G9 wieder mehr Lehrer*innenstellen geben würde. Andererseits müssen die Lehrenden auch bezahlt werden, was wiederum mehr Kosten für das Land bedeutet. Schulen, die sich klassenraumtechnisch auf nur zwölf Jahrgangsstufen eingestellt haben, werden mehr Platz brauchen, was wiederum mehr Geld bedarf. Doch trotz der zusätzlichen Ausgaben möchte die Landesregierung NRW diesen Schritt gehen. Meiner Meinung nach ein wichtiger Schritt zur Entlastung der Schüler*innen, gegen den Druck und das Leistungsdenken.

Lies auch: Warum Amelie pro G8 ist: „Warum ich es gut finde, mein Abi nach 12 Jahren gemacht zu haben“

 


Quellen & Links zum Weiterlesen:
http://www.focus.de/familie/praxistipps/rueckkehr-zu-g9-nrw-schafft-turbo-abi-ab-das-aendert-sich-jetzt_id_7848040.html
http://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/offene-fragen-zu-g-neun-100.html
http://www.sueddeutsche.de/bayern/debatte-um-mittelstufe-plus-es-geht-auch-um-die-reife-1.2446989
http://www.general-anzeiger-bonn.de/news/politik/nrw/So-sehen-in-NRW-die-Pl%C3%A4ne-f%C3%BCr-G9-aus-article3701438.html

Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.

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Timea Wanko

… studiert im schönen Münster und liebt Bücher, Musik, Reisen, Kaffee & Kultur. Hauptsächlich lektoriert sie für seitenwaelzer, aber ab und zu kitzelt es ihr in den Fingerspitzen, dann schreibt sie auch mal selbst einen Artikel über Kommas & Konzerte.

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