Meinung / Reportage

Recruiting und Kabale – Bewerbung mal anders

Mit dem Heli auf die Alm: Ein Einblick aus der Perspektive eines Teilnehmers einer Recruiting-Veranstaltung oder: Welchen Aufwand betreiben Firmen um neue Mitarbeiter zu finden?
| Benedikt Buller |

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Helikopter über BergenTegan Mierle | Unsplash

Symbolbild

Die Bäume der Alpenlandschaft zogen mit atemberaubender Geschwindigkeit unter uns hinweg, während der Helikopter langsam zum Landen ansetzte und schließlich unter dem ohrenbetäubenden Lärm des Triebwerks den Ausstieg öffnete. In geduckter Haltung huschten wir Kandidaten unter den flatternden Rotorblättern in sichere Entfernung zu den anderen Teammitgliedern, die ebenfalls zuvor eingeflogen worden waren. Im selben Moment schossen uns auch schon die Graspartikel und Luftmassen hinterher. Der Hubschrauber erhob sich mit einer eleganten Drehung majestätisch in die Luft, um hinter einem Bergrelief zu verschwinden. Kompass und Karte: das war alles zur Verfügung stehende um zum Ziel, einem Wirtshaus irgendwo zwischen Berg und Tal, zu gelangen. Der Kampf war eröffnet. Das Schlachtfeld lag vor uns.

Ich bin junger Ingenieur und schildere eine Erfahrung, die einer Rekrutierungsveranstaltung einer großen international agierenden Firma entstammt. Unsere Unterkunft lag leicht am Hang mit einem traumhaften Blick auf die Alpenlandschaft und offenen, lichtdurchlässigen und großzügig gestalteten Räumlichkeiten. Die Aufenthaltsräume waren in einem oldschool-flippigen-Hipster-Stil gestaltet. Die nackte Ziegelsteindecke, indirekt beleuchtet und von hellgelben Wänden berandet, wurde durch ein naturhölzernes Western-Piano, eine schlichte Cocktail-Bar und ein braun-ledernes Sofa perfekt ergänzt. Hier und da lagen technische Spielereien wie Quadkopter oder VR-Brille bereit, um ausprobiert zu werden. Edle schwarze Tische zierten und erfüllten den Essbereich. Sorgfältig hatte man mit Schildern die Plätze markiert, an denen die Unternehmensvertreter während des Dinners Platz nehmen werden, um gleichmäßig unter den Teilnehmern verteilt zu sein. Auf vier Kandidaten kam ein Firmenvertreter, alle in verschiedenen Unternehmensabteilungen tätig und im Vorhinein bezüglich ihres Verhaltens vorbereitet: gezielt informell. Zweier- bis Fünfer-Apartments sollten den Teamgedanken unterstreichen, dienten praktisch nur dem Schlaf und waren mit brandneuen Badezimmern und noch neuer wirkender Einrichtung topmodern ausgestattet. Auf den Betten lagen Geschenke bzw. Aufmerksamkeiten für jeden Teilnehmer. Man hatte sich alle Mühe gegeben, die High-Potentials zu verwöhnen. Die große Mehrheit von ihnen stand kurz vor der Beendigung ihrer Masterarbeit und einige waren sogar schon am Promovieren, während ich mir nicht mal thematisch über meine Bachelorarbeit bewusst und vermutlich der Jüngste war.

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Als einer der ersten Anwesenden saß ich mit einigen Assistenten auf dem beschriebenen Sofa, während der erste Bus aus München eintraf. Zu meiner Verwunderung widmeten sich die angereisten Topkandidaten, nachdem sie ihr Gepäck auf die Luxuszimmer gebracht hatten, weniger der Begutachtung der Location, sondern steuerten als Erstes zielstrebig den Stapel von Bierkästen an, der auf der Terrasse im noch kalten Frühlingswetter stand und nahezu unbegrenztes Freibier versprach. In der Luft lag eine Selbstverständlichkeit der gegebenen Umstände, als ob es jedem Menschen der Welt vorbehalten war, eine Behausung solcher Ausstattung sein Eigen nennen zu können. Später ertappte ich mich dabei, eine ähnliche Einstellung anzunehmen und beschloss sogleich, hellwach zu sein und souverän zu reflektieren. Gegen Abend begaben sich alle an die hübsch dekorierten Esstische. Ich saß an einem der beiden Tischenden, zu meiner rechten eine Personalerin, zu meiner linken ein anderer Kandidat. Schließlich wurde das 3-Gänge-Menü mit einer aufwändig angerichteten Salat-Weichkäse-Kreation eingeleitet. Die folgenden Gerichte übertrafen sich in dieser Hinsicht gegenseitig von perfekten geometrischen Formen aus Reis bis zu künstlerischen „Tellergemälden“ aus Schokolade. Im Fokus stand jedoch nicht das Speisen, das bewusst auf Qualität statt Quantität ausgelegt war, sondern der Austausch und die Diskussion insbesondere mit den Unternehmensvertretern. Es ging oft um Zukunft und Innovation, die Auslandserfahrungen der Mitarbeiter und es herrschte eine freundliche offene Atmosphäre, bei der augenscheinlich wenig darauf schließen ließ, dass es vielen Teilnehmern und auch den „Prüfern“ um mehr ging als um Erfahrungen und Smalltalk. Unter der Oberfläche war ein Brodeln zu erahnen, das man nur allzu leicht mit eigenen paranoiden Zügen zu verwechseln vermag. Die Vermutung liegt nahe, dass viele durch geschickt platzierte Lenkung der Gespräche unauffällig von sich überzeugen wollten, ohne dass andere bewusst davon Notiz nehmen können. Von manchen wurde die am nächsten Tag geplante Case Study angesprochen, bei der später wilde Innovationsideen und Geschäftsmodelle der künftigen Automobilindustrie entworfen wurden, und bei der auf einmal jeder der Überzeugung war, ein absoluter Elektroautomobilexperte zu sein.

Später am Abend vergnügten sich alle mit dem Technikspielzeug und harmlosen Trinkspielen. Ich selbst setzte mich zum Spiel „alle die“ dazu; Eine Art „Wahrheit oder Pflicht“ ohne Pflicht, bei dem alle einen kleinen Schluck nehmen sollten, sobald eine Aussage nicht auf sie zutrifft. Unternehmensvertreter, die sich wie Kandidaten verhielten, spielten natürlich mit. Prompt startete der Vertreter rechts von mir mit der Frage, wer denn noch nie Porsche gefahren sei. Die große Mehrheit, mich ausgeschlossen, setzte das Glas an um ihre Erfahrung mit zivilen Rennmaschinen, als stereotypischen Inbegriff des Wohlstandes zu bekunden. Ich konterte mit der Frage: „Alle, die noch nie Elektrofahrzeug gefahren sind“… War das zu fassen: Kein einziger der sogenannten Top-Innovatoren (und auch nicht der Vertreter), die eben noch so ausgelassen über die Zukunft des Elektrofahrzeugs philosophiert hatten, hatte jemals auch nur eine Probefahrt mit selbigem getätigt. Die Leute hatten im Grunde keine Ahnung, worüber sie da sprachen, und wiederholen bei dem Thema stets nur den Standard-Sprech-, den Common Sense und verkaufen dies als die absolute Wahrheit. Einsam nippte ich am Weinglas.

Der Schlaf war kurz und intensiv, die große Dusche des neuen Badezimmers warm und erweckend, als es am Tag darauf mit dem Frühstück weiterging. Geplant war eine Wanderung mit verschiedenen Challenges, die ohne technische Hilfsmittel in kleinen Teams bewältigt werden sollte. Zu diesem Zweck sollten wir mit dem Helikopter beim Startpunkt abgesetzt werden. Die Eindrücke des Vortages ließen mich erahnen, dass viele, in insgeheim harter Konkurrenz zu den anderen, versuchen würden, sich unscheinbar gegenseitig zu übertrumpfen. Mit einem Lunchpaket und einer Flasche Wasser ausgestattet betrat ich den Bus, der uns zum Abflugplatz bringen sollte. Die Hungerspiele, so schien es mir, hatten begonnen.

*Die Fotos sind nicht vor Ort entstanden, sondern dienen nur der Veranschaulichung.

Das Geschilderte ist so oder in sehr ähnlicher Form tatsächlich passiert und spiegelt in keinster Weise eine Meinung des Autors zur Veranstaltung an sich wieder. Vielmehr wird die Eigendynamik unter den Teilnehmern aus subjektiver Beobachtung angesprochen, die auch hätte anders verlaufen können.

Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.

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Benedikt Buller

Ich bin Benedikt Buller und Student der Elektrotechnik, Informationstechnik und technischen Informatik an der RWTH Aachen. Neben dem Studium bin ich Ingenieur beim Ecurie Formula Student Team in der Gruppe "autonomes Fahren".

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