Bildung und Karriere / Studium

Warum wir lernen wollen müssen

Die Sache mit dem Lernen und der Motivation
| Robin Thier |

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Pexels | Pixabay

Du sitzt im Halbdunkel vor dem Schreibtisch und starrst seit fünf Minuten die Seite in dem Buch an, aus dem Du dir vorgenommen hast, am Abend noch schnell zwei Kapitel zu lesen. Nach weiteren fünf Minuten stellst Du fest, dass Du noch keinen einzigen Satz beendet hast, und gibst resigniert auf. Warum sich damit herumplagen? Die Klausur geht bestimmt auch, ohne die beiden Kapitel gelesen zu haben.

Der oben beschriebenen Situation begegneten wohl die Meisten schon in ihrem Lernalltag, ob in der Schule oder spätestens an der Uni, wo das selbstständige Lernen einen großen Abschnitt auf dem Weg zum Bachelor oder Master ausmacht. Gerade Studierende verbringen etwa ein Drittel ihres Lebens mit dem aktiven Lernen und viele Menschen, denen ihr Beruf Spaß macht, geben an, sie würden noch immer jeden Tag lernen und sich fortbilden, und es verginge eigentlich keine Sekunde, in der sie nicht auf der Suche nach etwas Neuem wären. Wie, fragt man sich, schaffen es diese Leute, sich nicht entmutigen zu lassen und sich durch die scheinbar so fade Fachliteratur zu quälen? Die Antwort ist simpel: Sie möchten lernen.

Kleine Kinder möchten ebenfalls lernen. Voller Freude erkunden sie ihre Umwelt, hinterfragen Dinge und lernen mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und in jeder Sekunde ihres Lebens neue Inhalte. Der Lernprozess von jungen Menschen ist schnell und präzise und eigentlich sind wir Jahrzehnte lang in der Lage uns mit genügend Zeit in jedes Problem einzuarbeiten und uns durch geschickte Heranführung auch dafür zu begeistern. Eines der größten Probleme aber ist, dass jeder Mensch eigene Wege hat, sich den Inhalten zu nähern – ein Beispiel sind die sogenannten Lerntypen, nach denen einige von uns eher auditiv, also durch das Hören, oder visuell, also durch das Sehen lernen. Wieder andere müssen Dinge haptisch erfassen bzw. sich beim Lernen bewegen und noch andere können am ehesten Texte lesen und verstehen. Die einen lernen stetig langsam nebenbei und andere begreifen in gewissen Bereichen fokussiert mit beängstigender Geschwindigkeit. Und dann kommen sie in die Schule.

Ich möchte mich an dieser Stelle nicht auf den Punkt stellen, dass das System an allem Schuld ist. Aber stecken wir so viele unterschiedliche Lerntypen in eine Klasse, Kinder, die zu Hause schon unterschiedlich zum Lernen ermutigt werden und stets von einfacheren und schneller belohnenden Reizen abgelenkt werden (es lernt sich doch einfacher, ein Videospiel zu spielen, als mathematische Formeln zu begreifen), kann das gut gehen? Diese jungen Menschen alle zusammen zu unterrichten ist eine Herausforderung und leider geht in diesem System doch das eine oder andere verloren.

So kommt es, dass man gewisse Fächer zu lieben und andere zu hassen lernt. Sicher könnte jeder die Mathematik oder fremde Sprachen erlernen, wenn man sich individuell einem Lerntempo anpasst und auf das abstellt, was den Menschen jeweils interessiert. Aber in der Schule ist dafür logischerweise kein Platz und wer nicht mehr mitkommt, hat das Gefühl, dass das Lernen sowieso zu nichts führt, wird abgehängt und verliert das Interesse. Enge Lehrpläne unterstützen diesen Prozess noch. Ich finde es wichtig Schülern eine allgemeine Grundausbildung in allen Fächern zu geben, das ist in einer komplexen Gesellschaft einfach notwendig und bietet den Schülern ja auch gerade die Möglichkeit, sich auf bestimmte Fachbereiche festzulegen. Doch ich selbst musste feststellen, dass das Interesse in vielen eigentlich spannenden Fächern dahinsiecht, wenn man die Lehrer nicht mag, oder einfach vom Lernen her falsche Impulse bekommt. Man will in diesem Moment nicht mehr lernen, und wenn man zum Lernen gezwungen wird, bleibt nicht viel hängen.

Der springende Punkt dieses Artikels ist jedoch, dass man sich für nahezu alles begeistern KANN, wenn auch nur bis zu einer bestimmten Grenze und in persönlichen Bereichen. Der visuelle Lerntyp, der sich unglaublich für Chemie interessiert, kann mit einem Lehrbuch, das auf fünfhundert Seiten Text irgendetwas beschreibt nicht viel anfangen, durchschaut die Prozesse, wenn man sie grafisch verdeutlicht, aber in Sekundenschnelle. Auch die Verpackung eines Stoffes kann Wunder bewirken. Wie erwähnt mag man ja nicht jedes Fach zwingend, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sich in jedem Fachbereich Teile herauspicken kann, die doch irgendwie spannend sind. Ein Beispiel: Das Thema „Neurobiologie“ in der Oberstufe kann bei einigen im Kurs wenig überzeugend an. Das änderte sich schlagartig, als die Lehrerin die Funktionen von Nerven und die chemischen Prozesse anhand von Betäubungsmitteln und Giften erläuterte, denn wer wollte nicht wissen, wie die Betäubungsspritze beim Zahnarzt funktioniert?

Was ich mit diesem Ausflug in die Schulzeit sagen möchte, ist Folgendes: Das Lernen ist eine individuelle Angelegenheit, wir möchten alle etwas lernen und man sollte sich gerade später an der Uni nicht vorschreiben lassen was und wie man zu lernen hat. Wenn ihr mit dem Lehrbuch überhaupt nicht weiterkommt, gibt es meistens andere Quellen, andere Bücher oder Medien, die euch das Wissen ebenfalls vermitteln. Auch kann es helfen, sich von dem großen Thema praktische Anwendungsgebiete zu suchen und das Gelernte in einem Projekt umzusetzen. Plötzlich ist das Interesse da und man versucht, sich auch in die kleinen Nebenprobleme einzufuchsen, die von den Kommilitonen nur als „unwichtig und nicht klausurrelevant“ eingestuft werden.

Und wenn gar nichts mehr hilft? Wenn man einfach mit der Arbeitsweise des Faches nicht einverstanden ist und sich auch nicht mehr inhaltlich motivieren kann? Wenn man feststellt, dass man in der Lage ist, sich selbst in zwei Tagen das Programmieren beizubringen, aber noch immer an der französischen Grammatik scheitert? Wenn das quälend Gelernte einfach nicht hängen bleibt? Die Uni bedeutet hier Freiheit: Das Fach wechseln kann man immer noch. Wichtig ist, dass ihr etwas macht, bei dem ihr euch vorstellen könnt, auch in vielen Jahren noch mit Freude Neues darüber lernen zu wollen.

Man sollte nur nicht den Fehler begehen, mangelndes Interesse zum Lernen mit typischen Prokrastinationshandlungen zu verwechseln. Niemand lernt gerne für Prüfungen, selbst im Lieblingsfach, und es ist ganz natürlich, dass man dann andere Dinge macht, die einen schnellen Erfolg versprechen – und sei es, wenn man das Bad putzt oder einen Artikel über das Lernen schreibt. Letztendlich müsst ihr für euch selbst herausfinden, ob ihr für etwas gerne lernt und wie ihr vielleicht euer Lernen oder euer Thema verbessern könnt. Denn man muss das Lernen wollen, damit es zu etwas führt.

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Robin Thier

Gründer von seitenwaelzer, lebt in Münster und beschäftigt sich in seiner freien Zeit mit Bildbearbeitung, Webseitengestaltung, Filmdrehs oder dem Schreiben von Artikeln. Kurz: Pixelschubser.

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2 Antworten zu “Warum wir lernen wollen müssen”

  1. Hey Robin,

    toller Artikel!

    Ich sehe das so wie du: Nur wenn man wirklich Lust darauf hat, etwas zu lernen, kann man sich auch in schwierigen Zeiten durchbeißen und das ein oder andere Motivationstief überstehen. Denn egal bei welchem Thema und in welchem Fach, irgendwann fragt sich jeder mal „Warum mache ich das eigentlich alles?“

    Wenn man dann aber das große Ganze im Blick behält und sich auf seine Ziele konzentriert, findet man imemr wieder neuen Anschub. :-)

    Viele Grüße
    Tim

    PS: Tolle Überschrift!

    1. Hey Tim,
      vielen Dank für den Kommentar und die netten Worte.
      Stimmt genau! Es ist eine starke Motivation, etwas zu machen, bei dem man wirklich ein Ziel erreichen und etwas lernen möchte – dann ist die tiefe Phase auch gleich weniger tief.

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