Was Spotify mit unseren Musikschaffenden macht
Noch nie haben weltweit so viele Menschen Musik über Spotify gestreamt wie im letzten Jahr. Das Unternehmen erreichte 2021 einen […]
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Noch nie haben weltweit so viele Menschen Musik über Spotify gestreamt wie im letzten Jahr. Das Unternehmen erreichte 2021 einen neuen Höchstwert an monatlich aktiven Nutzern. 381 Millionen Menschen hörten während des zweiten Corona-Jahrs die Lieder ihrer Lieblingskünstler*innen. Es scheint so, als ob die Musikschaffenden also trotz gestrichener Konzerte und Tourneen ein erfolgreiches Jahr hatten, nicht wahr? Falsch, denn Spotify macht unsere Künstler*innen arm.
Spotify, Apple Music, Deezer und Amazon Music gehören aktuell zu den beliebtesten Streaming-Plattformen. Um seine Lieblingsmusik abspielen zu können, musste man sich vor 25 Jahren noch eine CD oder eine Schallplatte kaufen. Heutzutage wird unsere Musik meist über unsere Smartphones gestreamt. Die Musikdateien werden dabei nur noch temporär zwischengespeichert und der eigentliche Besitz von Musik ist zur Seltenheit geworden. Das Streaming nimmt mittlerweile also den wichtigsten Platz im Musikkonsum ein, während der Kauf von physischen Tonträgern immer weiter zurückgeht.
Speziell der Streaming-Gigant Spotify wird in letzter Zeit allerdings mehrfach scharf kritisiert. Dabei geht es um das ungerechte Bezahlsystem des Unternehmens, unter dem viele unserer Lieblingskünstler*innen leiden. Während Spotify nämlich mehr als 8 Millionen Künstler*innen verzeichnet, erhält nur ein Prozent von ihnen ganze 90 Prozent der Einnahmen.
Ungleichheit und Intransparenz
Stell dir einmal vor, du hörst liebend gerne Jazz-Musik. Du hast ein Abonnement auf Spotify und hörst ein Jahr lang ausschließlich deine Lieblings-Underground-Jazz-Künstlerin. Nach einem Jahr müssten der Künstlerin dann ja eigentlich deine 12 Monatsbeiträge, also insgesamt 120 Euro, ausgezahlt werden. Dem ist allerdings nicht so. Dein Geld landet nämlich bei Drake, Taylor Swift und den anderen Musikschaffenden, die zu Spotifys Top Artists zählen. Unabhängig davon, ob du je einen ihrer Songs gestreamt hast oder nicht. Hört sich unfair an, oder?
Spotify zahlt bekannten Musiker*innen oder „Top Artists“, wie sie es nennen, ungleich mehr. Die Auszahlung findet bei dem Unternehmen nach einem undurchsichtigen Pro-Rata-System statt, was bedeutet, dass die Ausschüttung nicht per Stream erfolgt, sondern sich an dem Marktanteil orientiert. Neben der ungerechten Verteilung der Gelder werden außerdem die schon erfolgreichen Musikgenres stärker durch die von der Streaming-Plattform eigens kreierten Playlists unterstützt. Dabei bekommen viele Sub-Genres kaum Aufmerksamkeit. Major-Labels profitieren demnach am meisten von den Ausschüttungssystemen, da die meisten Top Artists bei ihnen unter Vertrag stehen. Trotz ihrer häufig sehr treuen und exklusiven Hörerschaft profitieren kleinere Indie-Labels deutlich weniger. Bei einem nicht-Top Artist zahlt Spotify ungefähr 0,001 Cent pro Stream. Somit können sich die meisten Künstler*innen von ihren monatlichen Streaming-Einnahmen nicht einmal ein Abo bei dem jeweiligen Dienst leisten.
Weltweit kommen so Proteste zustande, bei denen Musikschaffende Spotify zu einer gerechten Bezahlung auffordern. Die Vergütung pro Stream soll einheitlich auf einen Cent angehoben werden. Auch Taylor Swift oder die Band Radiohead protestierten, indem sie sich von mehreren Streaming-Anbietern distanzierten und ihre gesamte Musik für diese nicht mehr verfügbar machten. Allerdings war dieser Protest nur von kurzer Dauer und die Musik der bekannten Künstler*innen ist längst wieder bei Spotify zu finden. Da das Streaming zur wichtigsten Einnahmequelle geworden ist, scheint es nicht möglich zu sein, gänzlich darauf zu verzichten. Außerdem sind die Portale grade für Newcomer*innen wichtig, um den eigenen Bekanntheitsgrad zu steigern. Obwohl die Bezahlung schlecht ist, ermöglicht Spotify ihnen, gesehen zu werden. Aufmerksamkeit bedeutet Auftritte und Auftritte bedeuten Geld.
Wie Spotify die Musikproduktion bestimmt
Um mehr Streams pro Song zu generieren, sorgen die Musiklabels und Künstler*innen dafür, dass ihre Songs immer kürzer werden. Es gibt mehrere Ursachen für die neue Kürze der Songs, wobei primär, wie soll es auch anders sein, vor allem finanzielle Gründe überwiegen. Die Streaming-Dienste rechnen Songs nämlich ab, sobald sie für 31 Sekunden gehört wurden. Ist das Lied also nach 2 Minuten schon vorbei, wird es nochmal gehört und mehrfaches Hören führt dann natürlich zu mehr Einnahmen. Viele erfolgreiche Pop-Hits sind deswegen nicht länger als 3 Minuten. „Woman“ von Doja Cat ist ganze 2:52 Minuten kurz und „good 4 u“ von Olivia Rodrigo liegt ebenfalls unter der 3-Minuten-Marke. Das Gleiche gilt auch für den aktuellen Tophit „Stay“ mit einem Feature von Justin Bieber. Da die Popsongs nicht mehr viel länger sind als zweieinhalb Minuten, fällt beispielsweise das Intro eines Songs komplett weg. Oftmals starten die modernen Popsongs deshalb direkt mit dem Refrain.
Was ich als Hörer*in tun kann
Sicherlich gibt es Musikschaffende, die sich dieser Anpassung widersetzten und aufwendig produzierte, längere Popmusik machen. Denn es wird problematisch, wenn primär die Gier nach Streams die Musikproduktion steuert. Eine dieser Künstler*innen ist die deutsche Popmusikerin Balbina. Sie macht die unfaire Auszahlung Spotifys zum öffentlichen Thema und in ihrem Story-Highlight #cancelspotify auf Instagram kündigt sie an, keine neue Musik mehr auf der Streaming-Plattform zu veröffentlichen. Laut ihr sei selbst das Manipulieren von Streaming-Zahlen bei dem Musikdienst kein Ausnahmefall, da sich einige Künstler*innen, um finanziell zu profitieren, einfach Streams kaufen. Ihr Rat an alle Fans, die ihre Lieblingskünstler*innen effektiver unterstützen wollen: „Wechselt zu einem anderen Anbieter, denn jeder andere Anbieter ist besser“. Balbina kritisiert aber nicht das Streaming an sich, denn es reduziert das illegale Downloaden und kostenfreie Konsumieren von Musik. Illegale Downloads bringen den Künstler*innen nämlich keinen Cent und verletzten zudem ihre Urheberrechte.
Auch der Online-Musikdienst Bandcamp, welcher sich offen als anti-Spotify positioniert, bietet Musiker*innen eine gerechtere Alternative. Bandcamp ermöglicht es den Musikschaffenden, selbst zu entscheiden, wie viel das Downloaden ihrer Musik kosten soll und treue Fans können neben dem festgesetzten Mindestbetrag mitentscheiden, wie viel (mehr) sie ihren Lieblingskünstler*innen für das Album zahlen möchten.
Wichtig für uns als Fans: Indem wir die Musik unserer Künstler*innen kaufen, sei es digital oder auf CD, auf ihre Konzerte gehen und vor Ort am besten noch Merch mitnehmen, können wir sie auf direktem Weg unterstützen. Nebenbei noch ihre Musik zu streamen schadet natürlich auch nicht. Es ist aber wichtig, dass unser kollektives Bewusstsein für die mangelnde (finanzielle) Wertschätzung unserer Kunstschaffenden steigt, damit wir nicht blind einseitig von ihrer Kunst profitieren, während ihnen das Existenzminimum droht.
Mehr zu dem Thema findet ihr hier: https://linktr.ee/balbinananana
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Lena Müller
In meiner Freizeit habe ich immer entweder einen Kochlöffel oder ein gutes Buch in der Hand. Dank meiner Vergesslichkeit kann ich mir auf Dauer eigentlich nur Songtexte und die Bedienung meiner Kaffeemaschine merken. Aktuell studiere ich Kommunikationswissenschaft in Münster.
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