Gesellschaft und Lifestyle / Meinung
(K)ein Herz für Tiere: Werden Vierbeiner zum Pandemie-Projekt?
Haustiere bereichern das Leben vieler Menschen und gehören zu ihren Familien. Besonders in der Corona-Pandemie sehnten sich die Bürger*innen nach […]
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Haustiere bereichern das Leben vieler Menschen und gehören zu ihren Familien. Besonders in der Corona-Pandemie sehnten sich die Bürger*innen nach Abwechslung und fanden sie in einem tierischen Freund. Allerdings bedürfen die kleinen Fellnasen auch ein hohes Maß an Fürsorge, Achtsamkeit und Zeit. Geschenke, die ihnen nicht jedes Herrchen oder Frauchen auch nach dem Lockdown noch bieten kann. Und nun? Einfach wieder weg damit?
Ach, um ein Tier muss ich mich auch kümmern?
Ausgelöst wird das Problem bereits vor der Anschaffung eines Haustieres, denn hier wird oft kopflos gehandelt. Die Vorstellung daran, seinen Alltag mit einem niedlichen Vierbeiner zu teilen, begeistert einige Menschen so sehr, dass sie ihre Unfähigkeit ein Tier zu versorgen gänzlich übersehen. Ihre anfängliche Euphorie über die Anschaffung eines Haustieres mündet nicht selten in Überforderung. Ein angekautes Stuhlbein und viele Pipi-Pfützen später stellt sich der perfekte Traum vom Vierbeiner als Debakel heraus. Bevor man also die Anschaffung eines Tieres in Erwägung zieht, sollten folgende Dinge beachtet werden.
Tiere sind genau wie Menschen Lebewesen, die nicht fertig auf die Welt kommen. Gassigehen, „Sitz“ und „Platz“ beizubringen reicht da nicht aus. Stattdessen ist eine liebevoll strenge Erziehung mit viel Fleiß und Disziplin notwendig, um seinem Haustier ein gutes Herrchen oder Frauchen zu sein. Auch vor Krankheiten ist ein Tier nicht geschützt. Mit Arztbesuchen und kostspieligen Behandlungen muss deswegen gerechnet werden, wenn man sich für den tierischen Zuwachs entscheidet.
Nach der Anschaffung trägt man für die nächsten 10-15 Lebensjahre eines Tieres die Verantwortung dafür. Das Kümmern muss deswegen in den privaten und beruflichen Alltag integrierbar sein und bei der nächsten Urlaubsplanung sind Einschränkungen unvermeidbar. Dass sie sich diesen Verpflichtungen nicht unterwerfen möchten, merken viele Besitzer*innen erst dann, wenn das Tier schon eingezogen ist.
Ein willkommener Zeitvertreib in der Lockdown-Langeweile
Was vor der Pandemie längst zum Problem geworden ist, erreicht in der weltweiten Corona-Krise nun seinen Höhepunkt. Ein Rückblick ins Frühjahr 2020 erinnert uns an die Ausnahmesituation des bundesweiten Lockdowns. Home-Office, geschlossene Geschäfte und die Bitte, sich zu isolieren, hat den Menschen nicht nur große Angst vor dem Virus, sondern auch viel Freizeit beschert. Als Reaktion auf die Lockdown-Langeweile erlebten Züchter*innen, Zoofachgeschäfte und auch der illegale Handel einen regelrechten Boom, was die Nachfrage an Haustieren angeht. Der Wunsch nach Abwechslung, Trost und Gesellschaft schien sich in einem tierischen Zuwachs für viele zu erfüllen. Ganze siebeneinhalbtausend Hunde mehr wurden 2020 im Vergleich zum Vorjahr registriert. Schön, dass die Deutschen plötzlich so auf Tiere stehen, oder?
Falsch – denn kaum ist der Lockdown vorbei, wird das neu gewonnene Familienmitglied zum Ballast. Das Leben geht weiter, das Büro ruft wieder und die Lust auf Urlaub steigt. Hunde, Katzen und Co. haben plötzlich keinen Platz mehr und werden als regelrechtes Pandemie-Projekt wieder verworfen.
Überfüllte Tierheime als Symptom des Corona-Virus?
Wenn das Haustier zur Last wird, ist das Tierheim oft die erste Anlaufstelle. Hier werden alle Tiere, die von ihren Besitzer*innen abgegeben werden, offenherzig aufgenommen.
Andrea Neugebauer ist die Leiterin des Tierheims Münster und arbeitet nun schon seit 25 Jahren mit kleinen und großen Tieren zusammen. Begeistert ist die Tierpflegerin von der Vielfalt ihres abwechslungsreichen Berufs. Denn im Tierheim geht es nicht immer nur um das Wohl der Tiere, sondern man hat gleichzeitig viel Kontakt mit Menschen. „Man kümmert sich natürlich auch darum, dass die Tiere in ein schönes Zuhause vermittelt werden und ist deswegen viel beratend tätig. Kein Tag ist wie der andere.“
Das Tierheim Münster wird derzeit von etwa 35 Hunden, 40 Katzen und vielen Kleintieren bewohnt. Klingt erstmal nach ziemlich vielen abgegebenen Tieren. Sind das etwa schon die ersten verworfenen Pandemie-Projekte? „Nein“, sagt Andrea Neugebauer. „Wir sind ja auch noch in der Corona-Phase und die Menschen haben im Moment noch genug Zeit für ihre Tiere.“ Sie geht allerdings davon aus, dass eine solche Entwicklung zu erwarten ist. „In den ersten Corona-Jahren haben wir sehr viele Katzen vermitteln können und auch die Nachfrage nach Hunden ist spürbar größer gewesen.“ In der Pandemie entschieden sich also tatsächlich mehr Menschen für ein Haustier. Ob alle von ihnen dieses Vorhaben bis zum Schluss durchdacht haben? Neugebauer geht nicht davon aus und rechnet damit, dass diese Tiere nicht geballt, aber in den nächsten zwei bis drei Jahren nach und nach weggeben werden müssen. Ob dann die Maximalkapazitäten der Tierheime, in Münster liegt sie bei etwa 70 Hunden und bis zu 100 Katzen, gesprengt werden, bleibt abzuwarten.
Wie du selbst aktiv werden kannst
Wenn dich das Schicksal der heimatlosen Tiere berührt und dich der Wille zur Hilfe gepackt hat, musst du nicht direkt fünf von ihnen adoptieren. Es gibt viele verschiedene Arten, wie du die Alltagshelfer vom Tierschutz unterstützen kannst.
„Geld ist immer ein Problem für Tierschutzvereine“, betont Neugebauer. Besonders die Pandemie hat zu einem Einbruch an finanzieller Unterstützung von außen geführt, welcher für viele Tierheime deutlich spürbar ist. Über jede Art von Spenden sind die Tierpfleger*innen sehr dankbar.
Ansonsten hilft man seinen Tieren am besten, indem man sie gar nicht erst abgeben muss. Neugebauer weist an dieser Stelle nochmal auf die Beratungsfunktion von Tierheimen hin. „Bevor man sich irgendwo ein Tier anschafft, soll man sich vielleicht im Vorhinein ausführlich darüber informieren, ob und welches Tier zu einem passt.“ Man kann laut der Tierheimleiterin außerdem nur davor warnen, der illegalen und unseriösen Welpenzucht im Internet ins Netz zu gehen. Diese Tiere sind am häufigsten von Verhaltensauffälligkeiten, Sozialisationsproblemen und Krankheiten betroffen. Sie führen nicht selten zu verzweifelten Besitzer*innen und landen deswegen viel zu oft in den Heimen.
Du überlegst schon lange, dir ein Haustier anzuschaffen, hast dich im Vorfeld gründlich informiert und möchtest dein Vorhaben nun in die Tat umsetzen? Dann gib gerne erst den Vierbeinern im Heim eine Chance, dein Herz zu erobern, bevor du dich nach Züchtern umsiehst. Im Volksmund wird häufig davon ausgegangen, dass Tiere aus dem Heim alle einen Knacks haben, sodass viele vor einer Adoption zurückschrecken. „Wer hat denn keinen Knacks?“, witzelt Neugebauer und betont, dass auch oft das Gegenteil der Fall ist. „Wir haben natürlich verhaltensauffällige Tiere, aber wir haben auch viele, die gar nichts dafür können, dass sie abgegeben wurden.“ Eine Scheidung, Allergien, ein Umzug, Überforderung oder auch das zu hohe Alter. Das alles sind verbreitete Gründe, weshalb Tiere im Heim landen. Einen Knacks hat der Vierbeiner deswegen nicht – höchstens den innigen Wunsch, eine neue liebevolle Familie zu finden.
https://www.tierheime-helfen.de/coronavirus-tierheime
https://www.deutschlandfunkkultur.de/ueberfuellte-tierheime-der-corona-hund-kann-wieder-weg-100.html
Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.
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