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Präsenzpflicht in Universitäten – Zurück zur Vernunft
Die Präsenzpflicht in Seminaren kehrt, nach drei Jahren, wieder zurück nach NRW. Zum Glück, findet unsere Autorin Jasmin. Denn warum studieren wir sonst?
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Die Präsenzpflicht in Seminaren kehrt, nach drei Jahren Auszeit, wieder zurück nach NRW. Zum Glück, findet unsere Autorin Jasmin.
Warum studieren wir und warum gehen wir in Seminare, Vorlesungen, Workshops und Übungen? Klar, die Antwort liegt auf der Hand: wir wollen etwas lernen. Wir wollen uns Wissen aneignen, eine Wissenschaft studieren, Statistiken auswerten können, französische Philologie pauken um sie später unseren Schülern beizubringen. Ich nehme jetzt mal für den Großteil meiner Kommilitonen an, dass diese studieren, weil sie Lust darauf haben, sich mit Studierenden auszutauschen, das Gelernte zuhause Revue passieren zu lassen, Erkenntnisse mitzunehmen – und selbstverständlich um Klausuren zu bestehen, die einen an ein bestimmtes Ziel bringen.
Lernen besteht aus Austausch
…und nicht aus stumpfem Lesen von Literatur oder der gestreamten Vorlesung, die man sich dank des digitalisierten Zeitalters dann doch mal abends um 10 reinpfeift, weil man ein schlechtes Gewissen hat, schon wieder nicht im Seminar gewesen zu sein. Ich bin froh, dass die Anwesenheitspflicht zurückkommt, fühlt sie doch unserer Generation auf den Zahn, die nicht nur laut mehrerer Metastudien während dieser drei Jahre sichtbare schlechtere Noten hervorbrachte, sondern auch noch mehr Verantwortung aufgedrückt bekommt, als sie sowieso schon tragen muss.
Ich weiß noch genau, als ich Anfang Juli eine Mail in meinem Postfach hatte, in der meine Fachschaft das Statement unserer Professorin zu der Wiedereinführung der Präsenzpflicht weiterleitete. Die Analyse: ein verantwortungsloser und schließlich auch respektloser Umgang mit einem Bildungsangebot, welches uns in Deutschland zusteht. Oder wie würdet ihr euch als Dozent fühlen, nach wochenlanger Vorbereitung für ein Seminar, in dem, aus welchen Gründen nun auch immer, kein Studierender auftaucht, da „die Literatur ja zuhause ausgewertet wird“. Gelernt werde, ganz im Verständnis des Self-Employes, alleine vor dem PC. Das könne einfach nicht gut sein.
Und das Credo der Studierendenseite, des Allgemeinen Studierendenausschusses? „Wir werden auf schulische Autorität zurückgedrängt, unser Erwachsensein wird in Frage gestellt und unsere Freiheit eingezäunt“.
Liebe Mitstudierende, wir wollen es nicht zugeben, aber es hilft uns allen, dass uns in den richtigen Momenten wieder ein Ruck gegeben wird, unsere Freiheit, die als Studierender auf einem ziemlich hohen Niveau thront, mit pädagogischem Hintergedanken voranzutreiben. Viel zu oft hatte ich in den letzten zwei Jahren die Situation: ich belegte ein Seminar, teils Pflichtseminar, teils Wahlpflichtseminar, und fand ständig neue Ausreden nicht zu kommen: heute zu heißes Wetter, heute Literatur nicht gelesen, heute keine Lust. All das um mir mein halbherziges Selbststudium in den eigenen vier Wänden zu rechtfertigen. Wer kann, der kann, dachte ich mir. Die Abschlussprüfungen waren im Umkehrschluss für mich immer um einiges schwieriger und aufwendiger.
Viel zu oft dachte ich mir: wärst du mal hingegangen. Denn eines ist klar: Lernen erfolgt auf mehreren Ebenen. Stoff zu einem Thema zu lesen, zu hören und zu besprechen ist immer noch die bessere Alternative als trostloses vor sich her reden. Außerdem wird die Anwesenheitspflicht voraussichtlich nur für Seminare wiedereingeführt werden – bei Vorlesungen wird sich, bis auf einige Studiengänge, nicht viel ändern. Seminare sind da, um Themen, Theorien, Lektüren und wissenschaftliche Werkzeuge anzuwenden. Sie sind dafür da um Fragen zu stellen, die dir ein Dozent, der dich in der Vorlesung sicherlich nicht gesehen hat, um einiges besser, ausführlicher aber auch mühevoller beantwortet, als per Mail.
Die Gründe, nicht zu einem Seminar zu erscheinen sind vielfältig. Meine oben genannten gelten zum Beispiel nicht im Geringsten als Ausreden. Krankheit, persönliche Umstände oder immenser Stress mit weiteren Klausuren werden Gründe sein, wo sich kein Dozent scheut, auch mal drei, vier Abwesenheiten mit eventuellem Zusatzaufwand abzunicken. Ein weiterer Erklärungsgrund, den sich so mancher nun als Joker im Kopf behält: das langweilige Seminar, der langweilige Dozent, die langweiligen Mitstudierenden. Oft hörte ich das Argument, dass die Anwesenheit auch die Qualität des Seminars widerspiegelt. Da mag was dran sein, doch können wir Studierende doch nichts für schlechte Seminare, das ist ein Problem auf anderer Ebene. Aber wenn drei Viertel der Leute fehlen, wird das Seminar in Zukunft ja auch nicht besser werden.
Entweder man nimmt das Recht in Anspruch, das Seminar ein, zwei Wochen nach Semesterstart noch zu ändern, oder man macht das Beste draus: Es wird seinen Grund haben, warum jenes Seminar seinen Platz in unserer Prüfungsordnung gefunden hat.
Bildung ist hier der springende Punkt! Unser Durchhaltevermögen, auch mal den nicht so Vom-Stuhl-reißenden Lektürekurs durchzuziehen, das Statistik Tutorium abzuschließen, auch wenn uns die Vernunft mal wieder abhanden geht, wird am Ende belohnt.
Ganz ehrlich, wir sind zu ängstlich, zu stolz, zu digitalisiert oder zu individualisiert es zuzugeben: die wiedereingeführte Präsenzpflicht wird uns helfen, bessere Studierende zu werden. Egal wie effektiv wir das Selbststudium zuhause eben angehen oder nicht angehen – wenn es doch auf dasselbe rauskommt, warum dann nicht gleich mit der vernünftigeren Lösung? Gemeinsam!
Ihr möchtet die andere Seite lesen? Patrick und Michael sprechen sich gegen eine Rückkehr zur Präsenzpflicht aus.
Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.
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Jasmin Larisch
Hej! Ich bin Jasmin, von meinen Freunden meist 'Mini' genannt, bin 21 Jahre alt und studiere seit Herbst 2015, Soziologie und Kultur-und Sozialanthropologie (=KuSA) an der WWU. Münster hat es mir sehr angetan- Unileben, Kultur, Kunst, junge interessante Leute überall! Das Leben als Studierender ist aufregend, bunt, vielseitig und manchmal echt tricky- so hoffe ich, zusammen mit meinem Team, euch ein paar Tipps und Anstöße geben zu können. Seit 2015 bin ich deshalb als freie Autorin bei seitenwaelzer.de und habe nach wie vor viel Freude daran. Viel Spaß beim Lesen!
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Genau die Gründe, die die Autorin als Argumente für die Anwesenheitspflicht anführt -sie schafft es nicht, sich aufzuraffen, wenn sie nicht muss – sprechen meiner Meinung nach dagegen. Genau das, zu lernen sich von selbst zu motivieren und Dinge zu organisieren und durchzuhalten, ist eines der Hauptziele eines Studiums. Wenn einem das durch die Anwesenheitspflicht abgenommen wird, wird das Studium diese Aufgabe nicht mehr erfüllen können.
Klar hat die Präsenz(-pflicht) Vor- und Nachteile. Allerdings kann man die mutmaßlichen Vorteile nicht erzwingen, denn durch Zwang erreicht man rein gar nichts. Wer gegen seinen Willen an einer Lehrveranstaltung teilnehmen muss wird sich garantiert nicht begeistert an derselbigen beteiligen. Besser wäre es, die Motivation und den Anreiz freiwillig an einer LV teilzunehmen, zu erhöhen.