Abwarten und Tee trinken
Wie mir Glaubersalze und Traubenschorle Nervenstärke und Durchhaltevermögen lehrten
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Heutzutage könnte man das Fasten allgemein als Modetrend bezeichnen. Es schickt sich, für eine gewisse Zeit Enthaltsamkeit zu zeigen, da hierdurch Willensstärke und Kraft suggeriert wird. Der ursprünglich religiöse oder spirituelle Gedanke rückt in den Hintergrund. Nun ist fasten aber nicht gleich fasten, es gibt einige verschiedene Kuren und Diäten. Es folgt meine persönliche Erfahrung mit einer der prominentesten Methoden: Dem Heilfasten.
Manchmal trifft man Entscheidungen, von denen man erst im Nachhinein weiß, ob es die richtigen waren. Frei nach dem Motto „hinterher ist man immer schlauer“. Ich glaube, mein neuestes Selbstexperiment zählt genau zu dieser Rubrik von Entscheidungen. Jahrelang habe ich es mir schon vorgenommen, aber irgendwie passte der Zeitpunkt nie so ganz. Jetzt aber überwindete ich meinen eigentlich sehr kleinen und zurückhaltenden inneren Schweinehund, motivierte ein paar andere Leute und mich und schreibe diese Zeilen am ersten Tag des Selbstversuchs.
Die Rede ist vom Heilfasten. Davon hat bestimmt der ein oder andere von euch bereits mal gehört, aber so wirklich vorstellen kann man sich nicht viel darunter, bis man es selbst ausprobiert.
Heilfasten ist leicht erklärt. Man isst nichts und das tagelang. Dabei sollten 3-5 Tage das Minimum sein, da es so lange dauert, bis der Körper einmal entleert ist. Durch Wasser, verdünnte Säfte, Tees und Brühe führt man sich ausschließlich Flüssigkeiten zu und lässt so den Verdauungstrakt für einige Zeit möglichst in Ruhe.
Das Prinzip des Heilfastens ist die vollständige Reinigung, Entgiftung und Entschlackung des Körpers. Durch verschmutzte Atemluft, ungesundes Essen oder den Hautkontakt mit toxischen Stoffen nehmen wir jeden Tag mehr oder weniger absichtlich Gifte in unseren Organismus auf. Von unverkennbar giftigen Substanzen wie Alkohol und Tabak ganz zu schweigen. Selbst das hochgelobte und vermeintlich so gesunde Obst und Gemüse wirft aufgrund von Spritzmitteln die Frage auf, ob auch diese Lebensmittel absolut und rein gesund sind. Unser Körper ist folglich „chronisch vergiftet“, der eine Mensch merkt es mehr, der andere weniger.
Ich persönlich gehöre zu den Leuten, die besonders stark auf unterschiedliche Ernährungsformen reagieren. Esse ich beispielsweise auf einem Geburtstag ein Stückchen Kuchen zu viel, liege ich die ganze Nacht wach im Bett und frage mich, wieso ich dem Nachschlag nicht widerstanden habe.
Andersrum nehme ich, wenn ich mich eisern diszipliniere, in kurzer Zeit schnell ab.
Das Heilfasten ist nicht mein erstes Ernährungsexperiment. Während meiner Zeit in Marokko versuchte ich mich im Ramadan und fand es gar nicht schwer, den ganzen Tag nichts zu essen. Nur das Nicht-Trinken war eine Herausforderung. Aber das ist beim Heilfasten sogar erwünscht.
Folglich dachte ich mir, dass das Heilfasten einen guten Effekt auf mich haben und ich es verkraften würde. Bis es ernst wurde.
Es ist zunächst wichtig, 1-2 Tage vor dem Fasten seine Nahrungszufuhr drastisch zu reduzieren. Am Samstag ernährte ich mich also einzig und allein von Magerquark – der war schließlich noch angebrochen – und Obst. Schätzungsweise nahm ich an diesem Tag 600 Kalorien zu mir, wobei etwa 2000 Kalorien dem Tagesbedarf eines ausgewachsenen Menschen entsprechen. Außerdem ging ich an diesem Tag nochmal ausgiebig laufen. Meine Henkersmahlzeit am Samstagabend um 18 Uhr bestand aus einem Apfel und zwei Datteln. Zugegebenermaßen war mir da bereits ein wenig mulmig zu Mute.
TAG 1:
Mein Frühstück besteht aus vier Tassen Tee und Schüssler Salzen. Die hohe Flüssigkeitszufuhr soll dem Ausschwemmen der Gifte und Ablagerungen (Schlacken) dienen. Eigentlich trinke ich gerne Tee, aber irgendwie kann ich ihn schon jetzt nicht mehr sehen. Mein Bauch ist aufgebläht und mir ist kalt, ich fühle mich zittrig. Ich gehe eine kleine Runde spazieren, nach einer halben Stunde bin ich total geschafft. Ich will mich nach meiner Rückkehr auf unserem Balkon beim Zeitungslesen entspannen, jedoch falle ich immer wieder in einen Sekundenschlaf. Also lege ich mich in mein Bett. Erst zwei Stunden später wache ich wieder auf. Dabei konnte ich noch nie tagsüber schlafen… Ich koche Tee – ganz was Neues – und schneide ein bisschen Ingwer hinein. Das soll gut für den Kreislauf sein. Irgendwie scheint jedoch alles zu spät zu sein. Ich zittere am ganzen Körper und bin so wackelig auf den Beinen. Ich kann nicht einmal vom Sofa aufstehen. Mit vollster Anstrengung greife ich nach meinem Notfall-Honig. Honig wirkt beruhigend und entzündungshemmend und ist bei der Buchinger Methode des Heilfastens erlaubt. Aber auch er hilft mir nicht. Am Abend mache ich mir eine Gemüsebrühe. Die hohe Konzentration an Salzen hier soll gewährleisten, dass man sich ausreichend Mineralien zuführt. Aber auch das bringt mir keine Energie. Mein Magen rumort, mir wird übel. Nur Schlaf kann jetzt noch helfen.
TAG 2
Der absolute Horror. Mein Magen knurrt erbarmungslos, mein Kopf dröhnt, mir ist schwindelig, meine Beine fühlen sich unglaublich schwer an und ich friere. Die sogenannte Fastendepression hat mich kalt erwischt… Und das, obwohl ich 10 Stunden geschlafen habe! Ich gönne mir einen Teelöffel Zuckerrübensirup, der auf einer Internetseite als Alternative zum Honig während des Heilfastens vorgeschlagen wurde. Dazu kochte ich mir einen Tee mit frischer Minze und dem Saft einer halben Bio-Zitrone.
Und dann kommt der Kollaps.
Es fühlt sich an, als würde der Teufel persönlich in meinem Magen seine Privathölle veranstalten, mir wird extrem heiß und plötzlich wieder kalt und ich fühle mich wie unter Strom gesetzt. Mein Bauch ist steinhart. Ich aktiviere meine letzten Energiereserven, renne zum Klo und übergebe den Tee der Kanalisation.
Diese heftigen Nebenerscheinungen ernüchtern mich. Sollte ich als fitter und gesunder Mensch nicht mehr verkraften?
Doch dann geschieht etwas Seltsames: Ich fühle mich, als ob der erste „Dreck“ raus aus meinem Körper wäre. Mir geht es schlagartig besser. Und so entschließe ich mich, weiter durchzuhalten. Auf einmal kehrt auch meine Konzentrationsfähigkeit zurück, sodass ich wieder Zeitung lesen und Arabisch Vokabeln lernen kann. Vielleicht habe ich das gröbste überstanden. Schönerweise beginnt unter anderem mein Mitbewohner und eine gute Freundin, die ich als Mitstreiter mobilisieren konnte, heute mit dem Heilfasten. So können wir uns jetzt über unsere Erlebnisse austauschen und uns gegenseitig motivieren.
TAG 3:
Mein Kreislauf bereitet mir am Morgen noch immer Probleme. Ich muss sehr langsam aufstehen, meinen Körper schonen. Normalerweise bin ich Frühaufsteherin und bereits am Morgen energiegeladen. Heute jedoch braucht es erst eine Traubensaftschorle, die meinen Stoffwechsel in Gang zu bringt. Trotzdem ist dieser Morgen zum Glück kein Vergleich zum gestrigen. Wenn auch langsam, fahre ich mit dem Fahrrad zur Uni. Ich könnte nicht behaupten, dass meine Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt wäre. Alles ist in Ordnung. Jedoch überkommt mich zu den Zeiten, an denen ich normalerweise etwas essen würde, ein großes Hungergefühl. Mit meinem Mitbewohner schmiede ich bereits Pläne, wo wir uns nächste Woche leckeres Essen bestellen können. Er scheint das Fasten vom ersten Moment an besser zu verkraften als ich. Wir haben bizarre Themen, über die wir uns unterhalten, wie unseren Stuhlgang. Viele Menschen verpassen sich während des Heilfastens Einläufe, um ihren Darm vollständig zu entleeren. Ich versuche es mit Abführmittel, aber es zeigt nicht die gewünschte Wirkung. Also versuche ich es auf natürlichem Wege, beispielsweise mit Zitronenwasser und anderen verdünnten Säften. Der Effekt ist vielleicht nicht maximal, aber Hauptsache etwas kommt raus… ;)
TAG 4:
Es ist der erste Morgen komplett ohne Kreislaufprobleme. Sicherheitshalber trinke ich wieder eine Traubensaftschorle und zusätzlich Zitronenwasser zur Entschlackung. Trotz Allem merke ich, dass mir Energie fehlt. Auf dem Fahrrad bemerke ich jede noch so kleine Steigung, sodass ich mich nach 15 Minuten auf dem Fahrrad geschafft fühle. Aber es geht mir gut. Ich kann mich konzentrieren und bin von 8 Uhr morgens bis 17 Uhr nachmittags unterwegs. Das wäre am ersten Fastentag völlig undenkbar gewesen.
Ich versuche es noch einmal mit Abführmittel, um sicher zu gehen, dass der Verdauungstrakt vollkommen entleert ist. Es wirkt. Danach verspüre ich auch deutlich weniger Hungergefühl. Der Magen scheint sich mit der Leere abzufinden.
TAG 5:
Der letzte Tag hat angebrochen. Ich habe viel geschlafen und fühle mich fit. Ich genieße den letzten Tee. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass es bald vorbei ist. Ich fühle mich wie ein kleines Kind am Heiligabend, das die Stunden zählt, bis es endlich die Geschenke auspacken darf. In meinem Fall bedeutet das, einen Apfel zu essen. Es ist die traditionelle Methode des Fastenbrechens.
Ich teile mir den Apfel mit meinem Mitbewohner um 18:00 Uhr, so sind stundenmäßig exakt fünf Tage rum. Er schmeckt unglaublich intensiv und nach Erlösung! Dazu gönnen wir uns ein paar Cashewnüsse. Kurz habe ich einen riesigen Appetit, ich denke an all die Sachen, die ich in den letzten Tagen nicht gegessen habe, von meinem Frühstücksmüsli über Nudeln bis zur Suppe… am liebsten hätte ich jetzt alles auf einmal.
Aber dann setzt auch schon wieder ein Sättigungsgefühl ein. Offenbar habe ich meinen Magen ein wenig überrascht.
Würde ich noch einmal so fasten? Ich glaube nicht. Dafür hatte es nicht die Wirkung, die ich mir erhofft hatte. Ich fühle mich nicht vitaler oder gesünder, nur mein Bauch ist ein wenig flacher.
Trotzdem war das Heilfasten nicht sinnlos. Es hat mir gezeigt, dass ich mich disziplinieren kann. Daran will ich mich erinnern, wenn ich das nächste Mal vor einem Buffet stehe. Ich will nicht mehr gedankenlos zuschlagen und es im Nachhinein bereuen. Ich will ein wenig gemäßigter leben. Auch das ist in einer Konsumgesellschaft bereits eine bescheidene Form des Verzichts.
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Tags: DetoxDisziplinEntgiftungEntschlackungErfahrungFastenGesundheitHeilfastenHerausforderungKonsumSelbstexperimentÜberwindung
Wie du schon in deinem Fazit richtig sagst, finde ich die Erkenntnis, dass man auch beim Essen diszipliniert sein kann, am wertvollsten. Klar, manchmal schaufelt man sich Unmengen an Müll in sich hinein. Das wichtige dabei ist jedoch, dass man sich dem bewusst ist und es vielleicht das ein oder andere Mal doch lässt.