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Chef-Gespräche
Interkulturelle Differenzen oder ein schwieriger Chef?
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten
“That’s a pineapple plant!”
Ich schaue auf eine Agaven-Pflanze mit harten, stachelbesetzten Blättern, die wie Finger in Richtung Himmel ragen. Ich habe diese Pflanze schon unzählige Male in Griechenland gesehen und die einzigen Früchte, die diese seltsame Pflanze in ihrer Blütezeit trägt, sind kleine Trauben am Ende des holzigen Stiels, der bis zu zwei Meter aus dem Inneren der Pflanze ragen kann.
“No… I don’t think that’s a pineapple plant.” Ich habe mich schon ein wenig an die Gepflogenheiten der asiatischen Kultur gewöhnt und ihm nicht direkt und unverblümt gesagt, dass er falsch liegt. Den Chef kritisiert man nämlich nicht.
“Yes. Yes, it is a pineapple”, sagt mein Chef und zieht von dannen.
“Es ist keine Ananaspflanze”, flüstere ich auf Deutsch.
Aber der Chef hat immer Recht.
So ein Praktikum im Ausland macht sich total gut auf dem Lebenslauf. Da lernst Du bestimmt ganz viel für dein Studium. Das wird so eine tolle Zeit sein und Du wirst so viel Spannendes erleben. Ja ja, schon klar. Ich hatte wahrlich eine spannende Zeit, aber das heißt längst nicht, dass immer alles Friede-Freude-Eierkuchen war. Heute präsentiere ich die kommunikativen Glanzperlen meines Chefs, die mich in den letzten 10 Wochen sowohl frustiert, als auch erheitert haben.
“Your writing is not good”
Mein Chef schaut mich von seinem Schreibtisch gegenüber erwartungsvoll an.
“Oh thank you so much. That is really nice of you”, antworte ich mit einem übertriebenen Lächeln. Er merkt, dass seine unreflektierte Aussage nicht gut bei mir ankam, und versucht seinen Ausdruck zu verbessern.
“I don’t like your writing.” Nun ja, er hat es immerhin versucht. Ich atme kurz durch und erfrage in pädagogisch wertvollster Kommunikation, was er denn an meinem Text nicht mag und gerne verändert haben möchte.
“It is not like the video I showed you.”
Meine Aufgabe war es, einen Text über eine Reise zu schreiben, der als Voice-over für ein Promotion-Video genutzt werden soll. Dazu hat er mir ein Video gezeigt, in dem in typischer Dokumentationsstimme über den Ort gesprochen wird. Anschließend sagte er mir “Let it sound natural. Make it in your own style and voice.”
Achso, da habe ich was verwechelt. Ich sollte es gar nicht in meiner Art machen, sondern einfach haargenau das Beispiel kopieren. Mein Fehler. Ich frage nach konkreten Verbesserungsvorschlägen und bin gespannt auf die Antwort, da ich im Großen und Ganzen durchaus diesen typischen Dokumentationsstil getroffen habe. Er nennt mir zwei Veränderungen und noch einige Informationen, die er gerne drin hätte. „Aha“, denke ich mir, „er findet also nicht den kompletten Text schlecht oder den Stil, sondern möchte lediglich kleine Veränderungen und Ergänzungen haben.“ Aber erst mal völlig aus dem Kontext gerissen mein Schreibtalent schlecht machen. Wäre mir das vor drei Jahren passiert, hätte ich vermutlich völlig niedergeschlagen nie wieder einen Artikel verfasst und dem Internet wäre einiges erspart geblieben.
Ich speichere dieses Gespräch als gutes Beispiel für einen schlechten Kritikstil ab und mache mich daran, seinen Wünschen gerecht zu werden.
“You get 80% of the normal salary in our company”. Ich bekomme pro Woche 36 Dollar. Das reicht so gerade eben, um die Verpflegung zu bezahlen. Der Flug ging auf eigene Kosten. Man muss dazu sagen, dass ich auch noch ein Apartment gestellt bekomme. Wenn ich ganz sparsam leben würde, könnten die 36 Dollar für eine Woche sogar ausreichen. Dass das “Gehalt” nicht mehr als die Spesen und Unterkunft abdeckt, war mir jedoch vorher klar und stört mich auch nicht weiterhin. In einem Praktikum kann man ja überhaupt froh sein, irgendetwas zu bekommen. Was mich jedoch stört, ist die Tatsache, dass er lügt. Ich habe schon längst erfahren, dass einige in der Firma rund 2000 Dollar im Monat verdienen. Abhängig von der Kommission, die sie für ihre Abschlüsse bekommen. Auch das Grundgehalt liegt bei über 200 Dollar.
“I also don’t earn much more than the rest of the staff.” Eine weitere Lüge. Und diesmal eine bei der ich tief einatmen muss. Erstmal Schakren sortieren. Klar, der Manager verdient nix. Aber trotzdem den dicken Audi SUV Modell Frag-mich-nicht fahren, in einer der besseren Gegenden der Stadt leben und im Herbst zieht er dann in das hübsche Ein-Familien-Haus in einer dieser schrecklichen Kunststädte. Für asiatische Verhältnisse heißt das: Er hat einen Arsch voll Kohle.
“My bachelor thesis was so good that they wanted to make a documentary based on my thesis.” Eine weitere Lüge und diesmal muss ich mich beherrschen, nicht laut loszulachen. Ich beiße mir auf die Lippen, schaue konzentriert auf meinen Earl-Grey-Tea und murmle ein “Oh really, woooow” und hoffe im gleichen Moment, dass ihm mein Sarkasmus entgangen ist. Glücklicherweise ist er zu sehr damit beschäftigt, seine hübsche Geschichte näher auszuschmücken und erzählt uns, wie eine ganze Dokumentation basierend auf seinen bahnbrechenden “Forschungen” gedreht wurde. Ich lausche ihm gebannt und mache mir selbst eine Notiz im Kopf, mehr über notorische Lügner in Erfahrung zu bringen. (Spannende Sache!) Unsere KollegInnen haben uns schon längst erzählt, dass Mr. Sunli* nie studiert hat.
Meine absolute Lieblingssituation war jedoch, als er mich nach meinen zwei Wochen im Office fragte, was ich in der ganzen Zeit gemacht hätte. Ich berichtete ihm geduldig meine bisherigen Taten per Skype-Chat und schrieb ihm, dass ich wie besprochen alle Reiseverläufe für die Webseite übersetzt habe. Er fragte, wo er meine Arbeit einsehen könne und ich seufzte tief und schrieb ihm, dass alles in dem Online-Dokument zu finden sei, in das er bereits eingeladen wurde und wo wir alle übersetzten Texte hochgeladen haben. Er hatte auch schon vor einigen Wochen nicht verstanden, dass es ein ONLINE-Dokument ist und er somit alle Aktualisierungen selbst einsehen kann. Eine weitere Nachricht von ihm in Skype:
„So how many texts did you translate?“
„All of them.“
Ich schaue in unsere ONLINE-Tabelle, in der übersichtlich alle Textnamen aufgelistet sind. 30 Texte zähle ich und schicke ihm diese Zahl. Skype bleibt still und ich wende mich meinen privaten Aufgaben zu.
Ich rufe eine Proxy-Seite auf und logge mich in Facebook ein. Die Arbeitsmoral im Büro war in letzter Zeit wohl zu lasch und deswegen wurde uns Facebook gesperrt. Ein Hoch auf Proxies!
Meine Kollegin ruft mir von der anderen Seite des Raums zu und weist mich auf eine Nachricht von unserem Chef hin. Ich rolle auf meinem Stuhl zu ihr. Unser Chef hat uns beiden eine ausführliche Nachricht geschickt – mit einer Einteilung, wer von uns beiden welche Texte übersetzen soll. Sie schaut mich vielsagend an: „Das hast du schon alles übersetzt, richtig?“ Ich seufze noch tiefer als zuvor und werfe ihr einen resignierten Blick zu. „Ja. Das habe ich ihm auch schon geschrieben. Aber er hat es nicht verstanden.“ Ich gebe auf und beschäftige mich für den Rest des Tages mit Facebook und 9Gag. Am Ende des Tages schicke ich ihm eine weitere Nachricht: „I translated all the texts. Everything is done now and the It-guy will upload the website.“
Nächster Tag, 9 Uhr. „As soon as you are ready with the translations, send it to the It-guy so he can upload it.“
…. Tief einatmen….
„Yes. Sure. No problem.“
“Well, you know.. The Boss is always right”. In dieser Kultur und unser Chef im Besonderen. Mein Mantra “Der Chef hat immer Recht”, das ich immer wieder ironisch vor mich hin gesungen habe, kommt ganz ernst aus dem Mund meiner Kollegin. Der Chef hat wirklich immer Recht. Auch wenn die Ananaspflanze keine Ananaspflanze ist, hat der Chef trotzdem recht und man sollte nicht widersprechen. Ich frage mich, ob die Agaven-Pflanze sich über die Metamorphose freut und sich mit seiner neuen Bestimmung anfreunden kann.
Ich für meinen Teil habe heute meinen letzten Arbeitstag und kann gar nicht beschreiben, wie froh ich bin, endlich von diesem verblendeten Idioten weg zu kommen. Dennoch muss ich gestehen: auch, wenn das Praktikum inhaltlich nicht anspruchsvoll war, ich habe einiges gelernt und bin nun quasi eine Expertin für schlechte Kommunikations- und Führungsstile. Das kann nicht jeder von sich behaupten.
*Name frei erfunden
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