Gesellschaft und Lifestyle

Flaschenpost SE – Was steckt hinter dem Express-Lieferdienst?

Stolz wirbt die Flaschenpost im Netz mit ihrem Konzept: „Wir liefern innerhalb von 120 Minuten die Getränke bis an die […]
| Isabella Vormund |

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Isabella Vormund

Flaschenpost-Logo mit Getränkekisten

Stolz wirbt die Flaschenpost im Netz mit ihrem Konzept: „Wir liefern innerhalb von 120 Minuten die Getränke bis an die Wohnungstür“. Toll, dachte ich. Warum schleppe ich meine Getränkekisten überhaupt noch selbst? Als ich den Service dann aber vor einigen Wochen in Anspruch genommen habe und der freundliche Lieferant mir meine drei Kisten voller Glasflaschen die unzähligen Treppenstufen hinauftrug, packte mich das schlechte Gewissen. Ich wollte wissen, was hinter dem angesagten Startup aus Münster steckt und bin bei meiner Recherche schnell fündig geworden. Immer häufiger gerät die Flaschenpost wegen mangelhafter Arbeitsbedingungen in die öffentliche Kritik. Ist das Unternehmen etwa doch nicht so lobenswert wie es scheint?

Was ist Flaschenpost?

Gegründet wurde das E-Commerce von Dieter Büchl, einem Unternehmer aus Münster. Die Flaschenpost ist eine Plattform, auf der online Getränke und neuerdings auch Lebensmittel einfach und unkompliziert bestellt werden können. Die anschließende Lieferung bis vor die Haustür im x-ten Stock erfolgt durch die Flaschenpost-Mitarbeiter*innen innerhalb von 120 Minuten und ist grundsätzlich gebührenfrei. Geleerte Getränkekisten und -flaschen werden sogar wieder mitgenommen und das gutgeschriebene Pfand wird mit dem Lieferbetrag verrechnet. Noch bequemer geht es für die Konsument*innen kaum.

Wie mit einem solchem Konzept Geld verdient werden kann? Die Flaschenpost kauft ihre Produkte direkt beim Produzenten zum Handelspreis ein und verkauft sie anschließend zu Supermarkt-ähnlichen Preisen. Das Unternehmen verdient also im Endeffekt an den Margen der verkauften Artikel. Obendrein bietet es aber auch Eigenmarken an, bei denen die Margen höher und die Gewinne deshalb noch größer sind.

Was damals in Münster klein gestartet ist, generiert mittlerweile bundesweit Erfolge. An mehr als 30 deutschen Standorten arbeiten heute über 8.000 Mitarbeiter*innen daran, Kund*innen der Flaschenpost mit bis zu 150.000 Getränkekisten täglich zu beliefern.

Ein richtiger Alltagshelfer…

Was an dem Konzept der Flaschenpost gut sein soll, ist vermutlich offensichtlich. So viel Wasser, Cola und Bier bestellen, wie ich nur möchte – und das ganz bequem vom Sofa aus. Ganz egal in welcher Etage ich wohne oder ob ein Fahrstuhl in Reichweite ist. Spätestens 120 Minuten später steht der oder die nette Lieferant*in vor meiner Haustür, übergibt mir meine Bestellung und nimmt mein ganzes Leergut wieder mit. Nie wieder Kisten schleppen. 

Ein solches Konzept eignet sich nicht nur für bequeme Menschen, sondern ist besonders für eingeschränkte Personen ein echter Lifesaver. Sehr alte oder kranke Menschen sind häufig auf fremde Hilfe angewiesen, da sie schlichtweg nicht in der Lage sind, die Kisten von 12kg oder mehr hoch in ihre Wohnungen zu tragen. Eine neue Zielgruppe eröffnete dem Unternehmen wohl auch die derzeitige Corona-Pandemie. Infizierte Personen müssen sich in der Regel für mehrere Tage in häusliche Quarantäne begeben, isoliert vom öffentlichen Leben. Der Lebensmittel- und Getränkeeinkauf fällt aus – Hunger und Durst bleiben trotzdem. Unterstützung von außen ist hier also notwendig, wenn man in der Quarantäne nicht verhungern möchte. Und auch für Personen ohne Auto, Lastenrad oder ähnlichem ist der Einkauf von Getränken keine Leichtigkeit, da der Transport vom Supermarkt bis zur Wohnungstür oftmals eine große logistische Herausforderung darstellt.

Hier bietet die Flaschenpost die Hilfestellung, die von verschiedenen Personengruppen gebraucht wird und erleichtert den Alltag vieler Menschen. Natürlich sind unter den Kund*innen des Unternehmens auch Personen, die grundsätzlich durchaus in der Lage wären, selbst Getränke kaufen zu gehen und den Lieferdienst der Flaschenpost rein aus Bequemlichkeit in Anspruch nehmen. Solange die Kund*innen für die Produkte zahlen, dürfte es dem Startup aber relativ egal sein, welche Intentionen hinter den Bestellungen stecken. 

…aber auf wessen Kosten?

Dass der Job bei Flaschenpost kein Kinderspiel ist, sollte jedem und jeder Anwärter*in klar sein. Die Aufgabe der Lieferant*innen ist es schließlich hauptsächlich Getränkekisten in kürzester Zeit zu verladen und zu liefern, egal wie viele Treppenstufen dazu zu erklimmen sind. Abgesehen von der enormen körperlichen Belastung gerät das junge Unternehmen in letzter Zeit wegen etwas ganz anderem in die öffentliche Kritik. Die Arbeitsbedingungen hier scheinen auffallend mangelhaft zu sein.

Unterdrückung des Betriebsrates

Zum einen hat die Flaschenpost sich quergestellt, als es um die Errichtung eines Betriebsrates ging. In Kooperation mit Angehörigen des Lieferdiensts fand die taz heraus, dass das Startup firmeninternen Befürwortern dieser Idee mit Einschüchterungen, Abmahnungen oder Entlassungen begegnete, um eine Gründung zu verhindern. Als Flaschenpost sogar eine rechtliche Klage dagegen einreichte, wurde diese allerdings vom Arbeitsgericht abgeschmettert und es kam trotz jeglichem Widerstand zur Einrichtung des Rates. Statt sich mit dieser Entscheidung zufriedenzugeben, entschied sich die Flaschenpost kurzerhand, einige der potenziellen Ratsmitglieder noch vor deren offizieller Kandidatur aus absurden Gründen zu kündigen. Vor einer Entlassung sicher sind nur der Wahlvorstand und offizielle Ratskandidat*innen.

Unfaire Lohn- und Schichtsysteme

Zum anderen sei das als flexibel getarnte Lohn- und Schichtsystem bei der Flaschenpost alles andere als arbeitnehmer*innenfreundlich, wie die taz im Sommer letzten Jahres in ihrem Artikel herausstellte. Es gibt ein leistungsorientiertes Bonus-System, welches den Mitarbeiter*innen Stundenlöhne von bis zu 13,90 EUR verspricht. Klingt erstmal nicht schlecht – in der Realität sind das aber wohl nur leere Versprechungen. Über einen solchen Lohn dürfen sich nur extrem schnelle Lieferant*innen mit utopisch vielen Berufserfahrungsjahren im Unternehmen freuen. Alle anderen müssen sich mit sehr viel weniger zufriedengeben. 

Die Flaschenpost wirbt mit einem besonders flexiblen Schichtsystem, was sich bei genauerem Hinsehen allerdings eher als Eigennutz entpuppt. Vertraglich garantiert werden wenn überhaupt nur sehr wenige Wochenarbeitsstunden. Das ist der Teil, welchen die Mitarbeiter*innen von Flaschenpost im Krankheitsfall bezahlt bekommen. Alle weiteren Schichten werden mehrmals am Tag durch ein Bewerbungssystem per E-Mail-Verkehr vergeben, sodass eine sichere Planung mit Gehalt und Arbeitszeit schlicht unmöglich ist. Was für Studierende attraktiv erscheinen mag, ist für viele Vollzeitbeschäftigte alles andere als praktisch. Auf einem solchen Job sein Leben zu gründen, ist unter Umständen riskant. 

Vorwiegend befristete Arbeitsverträge

Vertragsbindungen im Allgemeinen scheint die Flaschenpost eher abzulehnen, denn auch Arbeitsverträge vergibt das Startup fast ausschließlich befristet. Bei Krankmeldungen, längeren Lieferzeiten oder Uneinigkeit müssen die Mitarbeiter*innen laut den Recherchen der taz eine ausbleibende Verlängerung ihrer Verträge fürchten, was besonders die Mitglieder des Betriebsrates zu spüren bekommen. Um diese Macht weiterhin über seine Arbeitnehmer*innen zu gewährleisten, nutzt die Flaschenpost eine Ausnahmeregelung für Startups, die es dem jungen Unternehmen erlaubt, befristete Arbeitsverhältnisse für vier statt der üblichen zwei Jahre einzugehen. Somit wird sich möglichst lang die Option offengehalten, all diejenigen Mitarbeiter*innen zu kündigen, die dem Unternehmen missfallen. Was das konkret bedeutet, erfuhr einer von ihnen im Sommer letzten Jahres. Auf seinen leicht verspäteten Schichtantritt von zwei Minuten reagierte die Flaschenpost mit einer Abmahnung, die das Startup aufgrund heftiger Hasswellen im Internet zwar wenige Wochen später wieder zurücknahm, aber damit sein wahres Gesicht der Öffentlichkeit präsentierte.

Das Konzept der Flaschenpost ist für die Konsument*innen ein echter Segen, da es ihnen mit der Lebensmittel- und Getränkelieferung gegebenenfalls eine Last von den Schultern nimmt. Dass die Mitarbeiter*innen dabei häufig die Leidtragenden sind, wird von den Konsument*innen oft verdrängt. Ein so schlechtes Gewissen wie ich brauchst du deswegen zwar nicht unbedingt haben, aber dir sollten die Umstände des Startups zumindest bekannt sein. Ich für meinen Teil werde bei meinem nächsten Trinkgeld an die Herausforderungen denken, die die Mitarbeiter*innen für meine Lieferung in Kauf nehmen – und vielleicht tust du das ja auch!

https://www.wirsindflaschenpost.de

https://www.businessinsider.de/gruenderszene/food/6-fragen-antworten-flaschenpost-oetker/

https://taz.de/Arbeitsbedingungen-beim-Onlinedienst/!5777780/

https://www.betriebsrat.de/news/getraenkedienst-behindert-br-wahl-20716

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Isabella Vormund

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