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Nach der Schule in die weite Welt – aber nur bis zum Tellerrand

Bei einem Auslandsjahr geht es ums Abenteuer. Doch dabei werden teilweise rassistische Narrative aufrechterhalten.
| Anna Fiesinger |

Geschätzte Lesezeit: 12 Minuten

Uluru in der AbendsonneJason Ham | Unsplash

„Endlich raus, endlich frei – die Welt erwartet dich! Die ganze Welt steht dir offen, wo soll es hingehen?“ So oder so ähnlich schreiben es verschiedene Organisationen, die dir dein Auslandsjahr erleichtern sollen. Denn beim Auslandsjahr dreht sich alles um das Abenteuer. Es geht um „Lebe deinen Traum“ und darum, sich selbst zu finden. Doch weshalb durch Auslandserfahrungen wie Freiwilligendienste oft ein rassistisches Narrativ aufrechterhalten wird, möchte ich unter anderem im folgenden Artikel beleuchten.

„Fühl‘ mich, als hätte ich was verpasst, ihr geht nach Australien, meine Jungs geh’n in Knast. Hier wird keiner Astronaut. Ein Traum geplatzt, in der Nachtschicht bei Burger King. Was für Träume verwirklichen?“

Disarstar – Australien (2021)

So lauten die ersten Zeilen des Refrains aus dem Song Australien vom Hamburger Rapper Disarstar. Er bezieht sich damit auf das besonders bei Abiturient:innen beliebte gap year, für das viele nach Down Under reisen, um dort die Zeit ihres Lebens zu verbringen. Doch nicht nur Australien ist bei Backpacker:innen beliebt: Während dies eines der ersten Ziele der Flut an europäischen Reisewütigen war, die Anfang der 2000er Jahre das gap year für sich entdeckt hatten, sind mittlerweile auch Länder und Regionen wie Kanada, Neuseeland, Südafrika, Südostasien oder Südamerika in den Fokus geraten. Der beliebteste Zeitvertreib ist hierbei der Travel-Teil beim Work & Travel, doch für viele ist auch das Arbeiten die gern gesehene Herausforderung. Zum Beispiel im Zuge eines Freiwilligendienstes. 

Arbeiten und Reisen in deinem Traumland

Bei Work & Travel erwartet dich genau das, was im Namen steckt: Arbeiten und Reisen. „Einmal Traumland kreuz und quer“ – eingeschränkt ist man lediglich bei der Vergabe des Visums. Nicht alle Länder, in die man vielleicht gern reisen mag, haben so etwas wie ein Working-Holiday-Visum. Das ist insbesondere in Australien, Neuseeland und Kanada beliebt; es gibt aber auch Äquivalente in anderen Staaten, zum Beispiel Argentinien, Brasilien, Chile, Uruguay oder Japan. Als EU-Bürger:in ist es ebenfalls eine Option, ins europäische Ausland zu reisen und dort zu arbeiten, dafür ist nicht einmal ein Visum nötig. Work & Travel ist frei gestaltbar. Ob vom Geld der Eltern drei Monate durchfeiern, ganz ohne Geld durchstarten und in einer der vielen Sektoren der australischen Wirtschaft im wahrsten Sinne des Wortes Kohle scheffeln, oder ganz entspannt ein bisschen arbeiten, dann reisen, dann wieder arbeiten und schließlich wieder ein bisschen das Land erkunden. Alles ist möglich. Die Grenzen sind lediglich bei der Dauer des Visums gesetzt, wobei es auch hier Spielraum gibt. Zum Beispiel kann in Australien und Neuseeland eine Verlängerung von bis zu zwei Jahren beantragt werden, wenn man eine bestimmte Zeit in einem – wie wir es spätestens seit Corona kennen – systemrelevanten Beruf verbracht hat.

Verschiedene Organisationen haben es sich zum Auftrag gemacht, dich bei deinem working holiday zu unterstützen, sie schlagen daraus Profit, dass viele junge Backpacker:innen das Ganze nicht gern auf eigene Faust angehen. Sie bieten dir dann das volle Programm: Hin- und Rückflug buchen, eine Unterkunft für die ersten Tage bereitstellen sowie Hilfe bei der Jobsuche. Ob diese Organisationen wirklich zielführend und deren Hilfestellungen von Nutzen sind, darüber lässt sich sicherlich streiten.

Jeder Mensch ist seines eigenen Glückes Schmied

Reist man dann beispielsweise nach Australien oder Neuseeland, wird schnell klar, wer hier seinen Traum leben darf. Der Großteil der Backpacker:innen sind Deutsche, gefolgt von Menschen aus Großbritannien, Spanien und Frankreich. Im globalen Vergleich erscheint das logisch, denn Menschen aus diesen Ländern besitzen höchstwahrscheinlich eher die Mittel, mal eben ein Jahr lang durch die Weltgeschichte zu reisen. Denn die Flüge wollen bezahlt, die Unterkunft für die erste Zeit gebucht werden. Bis man dann vor Ort einen Job findet – den man leichter bekommt, je besser das Englisch – muss man sich ja auch noch über Wasser halten. Und natürlich möchte auch das Visum bezahlt werden. Das Visum, welches zwar vielen Nationalitäten gewährt wird, aber nicht immer leicht zu bekommen ist, wenn man einen anderen Pass als die oben genannten besitzt. Wer kann sich diesen Traum also leisten? Die Kinder der alleinerziehenden Krankenschwester, die sechs Nachtschichten die Woche schiebt, um ihre Familie zu ernähren, sind es sicher nicht. 

An den Zeilen von Disarstar wird also deutlich, welches Narrativ hier noch gefüttert wird. Dem neoliberalen Traum zufolge können wir alle unsere Wünsche erfüllen, wenn wir nur fest daran glauben – ganz getreu dem Motto „Jeder Mensch ist seines eigenen Glückes Schmied„. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass nicht jeder Mensch die gleichen Voraussetzungen besitzt. Wohlhabend sind meist diejenigen, die Vermögen erben oder in gut situierte Familien hineingeboren werden, nicht diejenigen, die hart arbeiten. Harte Arbeit bedeutet nicht gleichermaßen angemessene Vergütung. Sonst würden ja alle Pflegekräfte, Notfallsanitäter:innen, Reinigungskräfte, Handwerker:innen, Erzieher:innen, LKW-Fahrer:innen und noch unzählige andere Menschen im Geld schwimmen, anstatt nur den Mindestlohn zu verdienen. Kein Mensch arbeitet härter als die geflüchtete Frau, die um ihren Aufenthaltsstatus kämpft, während sie drei verschiedenen Jobs nachgeht, um sich und ihre Familie über Wasser zu halten. Die gleiche Frau, die noch dazu abends in der Volkshochschule Deutsch lernt, um nicht abgeschoben zu werden. In meiner subjektiven Wahrnehmung ist das Problem dieses Narrativs jenes, dass die meisten mittelständischen Menschen meinen, sie wären näher dran an den reichen 1 % der Welt als an den ärmsten 3,8 Milliarden. Die Chancen, Milliardär:in zu werden, liegen jedoch in den USA bei 1:1,2 Millionen. Mit einem Mindestlohn von zwölf Euro die Stunde müsste man also fast 10.000 Jahre ununterbrochen arbeiten, um eine Milliarde Euro zu verdienen. Es ist fernab jeder Realität zu glauben, dass ein:e Milliardär:in 10.000-mal härter arbeitet als ein:e Handwerker:in oder eine Pflegekraft. Wie vermutlich den meisten Millennials wurde mir oft erzählt, ich könnte alles werden. Ich dürfte träumen, aus mir würde etwas Großes werden. Doch wäre ich nicht weiß, sondern eine Schwarze, Indigene oder Person of Colour (BIPoC), wären meine Eltern nicht Teil der Mittelschicht gewesen oder hätte ich irgendeine Form der Behinderung gehabt, so wäre das Narrativ ein anderes gewesen. Wenn Kinder von Akademiker:innen „die Zeit ihres Lebens“ am anderen Ende der Welt verbringen, dann bleibt ein saurer Beigeschmack bei denjenigen, die sich das niemals werden leisten können. 

„Generationslast

Zuletzt würde ich gerne noch die Frage in den Raum stellen, inwiefern Generationen, die an Regimen wie der White Australia Policy oder dem Apartheidsregmine in Südafrika keine Schuld tragen, dennoch einen rücksichtsvollen Umgang damit finden können, in ebenjene Länder zu reisen. In meinen Augen ist es ein zynisches Bild, wenn Menschen aus Großbritannien in Massen nach Australien strömen, um dort ihr koloniales Erbe weiterzuführen. Es scheint das Narrativ aufrechterhalten zu werden, das Land gehöre den weißen Menschen aus dem Königreich. Dabei stützt sich das Australien, wie wir es heute kennen, auf eine Jahrhunderte alte Geschichte der Ausrottung der Aborigines, der Indigenen Bevölkerung Australiens. Noch bis in die 1930er Jahre gab es eine regelrechte Jagd auf Aborigines, sie wurden teilweise auf offener Straße erschossen. Zehntausende, wenn nicht gar Hunderttausende mixed-race Kinder – heute die Stolen Generations genannt – wurden bis in die 1970er Jahre aus ihren Familien gerissen und zwangsassimiliert. Ähnlich schlimmes Leid wurde Jahrzehnte lang in Kanada verübt, wo in sogenannten Residential Schools Kinder der First Nations an die weiße Kultur angepasst werden sollten. Sollten weiße Backpacker:innen also einen respektvollen Umgang mit australischer, kanadischer, neuseeländischer, südafrikanischer, asiatischer und nicht zuletzt mittel- und südamerikanischer Kultur lernen? Inwiefern sollte man sich dessen bewusst sein, dass das System, von welchem man als Working-Holiday-Visum-Besitzer:in profitiert, auf eine derartige Unterdrückung aufgebaut ist? Die Frage stellt sich meines Erachtens spätestens dann, wenn man sich die Arbeitslosenquote der Aborigines in Australien ansieht: Die durchschnittliche Quote lag 2018/2019 bei 19 %, dies ist fast viermal so hoch wie die der nicht-Indigenen Bevölkerung. Lieber werden weiße, meist unausgebildete Backpacker:innen eingestellt, als dass eine Infrastruktur geschaffen wird, die es ermöglicht, dass diskriminierungsbetroffene Menschen den gleichen Lebensstandard erreichen wie die weiße Dominanzgesellschaft. 

Freiwilligendienst – mehr Schaden als Nutzen?

Bei sogenannten „Entwicklungshilfen“ oder Freiwilligendiensten – auch „Voluntourismus“ genannt – geht es zwar oft ums Abenteuer, nicht selten ist aber der Fokus darauf gerichtet, Menschen (oder Tieren) zu helfen. Während der Impuls, Ungerechtigkeiten beseitigen zu wollen, ja erstmal kein schlechter ist, hapert es an der Umsetzung. Denn meist sind diejenigen, die solch eine Zeit absolvieren, nicht geschult in den ihnen zugewiesenen Aufgaben. Man braucht keinerlei Qualifikationen, um nach dem Abitur ein Jahr in Costa Rica Schildkröten aufzuziehen oder in Kenia an einer Schule Englisch zu unterrichten. In Deutschland wäre so etwas ohne Qualifikationen nicht möglich gewesen, aber in anderen „unterentwickelten“ Ländern ist dies auf einmal okay. So kann es vorkommen, dass die Arbeit, die man verrichtet, gar nicht mal so dienlich ist. Sie ist vor allem nicht nachhaltig, denn anstatt mit lokalen Verbänden zu arbeiten und Menschen auszubilden, werden diese Stellen kurzfristig mit abenteuerlustigen Teenagern besetzt, die sich nach ein paar Monaten wieder vom Acker machen, und Platz schaffen für die nächste Gruppe ohne Vorerfahrungen. 

Und noch dazu füttert dieser Voluntourismus ein rassistisches Narrativ: den White Savior Complex. Er beschreibt die Vorstellung, dass weiße Menschen mit angeblich ausgebildeteren Fähigkeiten „die Pflicht haben, migrantisierte und rassifizierte Menschen aus ihrer vermeintlichen Minderwertigkeit und Hilflosigkeit zu retten„. Das lässt sich bereits im Begriff „Entwicklungshilfe“ erkennen: den „Anderen“ soll geholfen werden, ihre „Defizite“ durch das Eingreifen europäischer „Retter:innen“ zu überwinden. Teju Cole, ein nigerianisch-amerikanischer Autor, verfasste dazu einen passenden Tweet:

„Der:die weiße Retter:in unterstützt morgens brutale Politiken, gründet nachmittags Wohltätigkeitsorganisationen und erhält abends dafür Auszeichnungen.“

Teju Cole (2012)

Ebenso treffend formuliert es No White Saviors, ein feministisches Kollektiv aus Uganda, in einem Instagrampost:

„Der weiße Retter:innen-Komplex setzt auf Wohltätigkeit und nicht auf Gerechtigkeit. Er ist darauf ausgerichtet, Unterdrückungssysteme aufrechtzuerhalten und die Kontrolle zu behalten.“

No White Saviors (2021)

Wenn wir uns anschauen, wer und was genau hinter den Organisationen steckt, die Voluntourismus betreiben und ermöglichen, dann wird schnell klar, wie treffend das ist. Es geht um Wohltätigkeit, nicht darum, Systeme zu verändern, um sie gerechter zu machen. Es sind weiße Menschen, die sich in das Zentrum der Aufmerksamkeit drängen, für ihre Wohltätigkeit gepriesen werden und gleichzeitig daraus Profit schlagen. Es geht darum, das weiße Ego zu streicheln und dass Voluntourist:innen sich mit sich selbst und dem Zweck ihrer „Arbeit“ gut fühlen. Jene Organisationen, die vermeintlich für Wohltätigkeit stehen, sind jedoch diejenigen, die ganzen Bevölkerungsgruppen das Recht auf Individualität entziehen, indem sie sie homogenisieren unter dem Deckmantel der Rückständigkeit. Indem sich die Hilfsorganisationen als die Retter:innen darstellen, wird ein Denkmuster legitimiert, welches dem des Kolonialismus in nichts nachsteht. Die weißen Retter:innen kommen den „rückständigen“ Gesellschaften im Globalen Süden zur Hilfe. Damit wird das Bild geschaffen, es gäbe sowas wie unterentwickelte Gesellschaften. Das wiederum lässt die systemische Komponente von Armut und globalen Machtverhältnissen vollkommen außer Acht. Dabei war es erst der Kolonialismus, der Menschen im Globalen Süden in die Abhängigkeit des Globalen Nordens getrieben hat. Und nun sollen weiße unausgebildete Teenager und junge Erwachsene diese Armut einzig und allein durch ihre Wohltätigkeit bekämpfen.

Schließlich ist die Aussage, armutsbetroffene Menschen kämen im Vergleich zu dem Lebensstandard im Globalen Norden „mit weniger aus und seien zufrieden mit dem, was sie haben„, sehr problematisch. Wieder einmal werden hier die „Anderen“ zum Objekt gemacht, es wird über ihre Lebensrealität gemutmaßt, ohne dies wirklich erfragt zu haben. Wer sind wir weißen Betrachter:innen, darüber zu urteilen, ob ein armutsbetroffener Mensch glücklich ist? Vielleicht wäre dieser Mensch mit mehr materiellem Reichtum und genug Geld, um seine basic needs zu erfüllen, noch viel glücklicher. Armut ist ein systemisches Problem, die strukturellen Gründe, die koloniale Vergangenheit und die daraus resultierenden ökonomischen Verhältnisse zu ignorieren, verschiebt die allgemeine Wahrnehmung hin zu einem Weltbild, in dem Armut naturgegeben ist.

No White Saviors bringen es abermals auf den Punkt: „Der weiße Retter:innen-Komplex macht aus Menschen Projekte, aus Lebensläufen und persönlichen Geschichten Fundraising-Kampagnen.“ Nach globaler Gerechtigkeit zu streben, bedeutet aber vielmehr, „die Menschen in der Fülle ihres Menschseins [zu sehen] und [dafür zu kämpfen], dass die ihnen innewohnende Würde und ihr Wert erhalten bleiben.

Nach deinem gap year bist du endlich der Mensch, der du schon immer sein wolltest. Oder?

Nach einem Jahr „Pause“ kehren die meisten Reisenden zurück ins traute Heim. Zurück in Deutschland wird meistens studiert, später macht sich so ein Auslandsjahr auch mittlerweile gut im Lebenslauf. Unzählige Geschichten hat man zu erzählen, wenn man zurückkommt und feststellt, dass sich zu Hause nicht viel verändert hat. Während man selbst die Welt bereist, sich weiterentwickelt und wilde Abenteuer erlebt hat, stand zu Hause irgendwie die Zeit still. Schockierend. Man selbst habe gesehen, wie es ist, mit wenig auszukommen, in ärmlichen Verhältnissen zu leben, wochenlang mit dem Backpack auf dem Rücken durch einen entfernten Kontinent zu reisen. Man habe seinen Horizont erweitert, neue Freund:innenschaften geknüpft, sich selbst für immer verändert. Doch Australien ist weder „die Welt“ noch hat es das Leben nachhaltig beeinflusst, sich monatelang von Hostel zu Hostel zu hangeln, von Nebenjob zu Nebenjob. Am Ende des Tages kehrt man immer wieder zurück ins Vertraute, in die sicheren vier Wände der Eltern mit ihren Doktortiteln. Es ist absurd, sich anzumaßen, man habe jetzt erlebt, wie es ist, mal mit wenig Geld auszukommen, weil man ein paar Wochen lang sparen musste, bis der nächste Nebenjob an Land gezogen wurde. Wenn doch meistens nur ein paar Nachrichten entfernt, die Eltern jederzeit ein paar Tausend Euro an Puffer überwiesen hätten. Noch perfider ist es, nach einer „Entwicklungshilfe“ zurückzukehren und zu erzählen, wir müssen dankbar sein für all das, was wir besitzen. In welch einer verkehrten Welt leben wir, in der Menschen guten Gewissens von Verzicht sprechen können, weil sie „jetzt gesehen haben, dass man auch mit weniger auskommt„, anstatt die Zustände anzuprangern, die Armut bedingen? Anstatt das System zu hinterfragen, in dem immenser Reichtum die existierende Armut bedingt. Darüber hinaus muss ich nicht die Erfahrung gemacht haben, wie es ist, eine Weile auf vieles zu verzichten, weil das Geld knapp war. Dafür kann ich auch einfach studieren oder eine unterbezahlte Ausbildung machen. Armut ist nichts, was es schönzureden gilt. Armut ist nichts, was man „erlebt haben muss„, um seinen eigenen Überkonsum wertschätzen zu können. 

Nach Monaten im Ausland hoffte ich so sehr, ein anderer Mensch zu sein. All das toxische Teenager-Gehabe aus der Schulzeit hinter mir gelassen zu haben. Doch keine der Angewohnheiten, die ich aus der Zeit wieder mit nach Hause brachte, blieben. Wie auch? Ich hatte dort nicht mein Leben weitergeführt, ich hatte für eine Weile auf Pause gedrückt. Ich hatte keine „wertvollen“ Erfahrungen für den Rest meines Lebens gesammelt, ich hatte eine Auszeit bekommen. Eine Auszeit vom Alltag, vom anstrengenden Leben, das mich ab dem Zeitpunkt, an dem mein Auslandsaufenthalt vorbei war, wieder einholen sollte. Gut, würden einige meinen. Schön, dass ich mir in jungen Jahren wenigstens ein paar Jahre Auszeit gönnen konnte. Sicherlich, werde ich antworten. Doch in welch perfider Realität sind denn andere Lebensrealitäten dazu da, um für mein Vergnügen herzuhalten? Um es anders auszudrücken: In einer Welt, in der weiße Narrative die dominierenden sind, in denen weiße Menschen stets im Mittelpunkt stehen, stets der Ausgangspunkt für alles sind, sind alle anderen lediglich dazu da, Entertainment für die weiße Mehrheitsgesellschaft zu schaffen. Andere Länder und Kulturen werden ausgebeutet und gleichzeitig exotisiert, da sie immerhin für einen Urlaub am anderen Ende der Welt ausreichend sind. Und nach dieser tollen Auslandserfahrung kann man endlich zurückkehren und von all dem Anderssein berichten. 

Anmerkung der Autorin: Angelehnt an Tupoka Ogettes Buch „Exit Racism“ wird die ethnische Bezeichnung „weiß“ in diesem Text kursiv geschrieben, um sie als soziales Konstrukt von der gleichnamigen Farbe zu unterscheiden. Ebenso werden die ethnischen Bezeichnungen „Schwarz“ und „Indigen“ großgeschrieben, da es sich um politische Selbstbezeichnungen handelt.

Quellen

Barbara Harris-White (2006): Poverty and Capitalism
Kemi Fatoba (2020): White Saviours retten nicht die Welt – im Gegenteil
Layla F. Saad (2020): Me and White Supremacy
Aram Zia (2004): Imperiale Repräsentation. Vom kolonialen zum Entwicklungsdiskurs

Dieser Artikel stellt nur die Meinung der AutorInnen dar und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Redaktion von seitenwaelzer wider.

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