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“I am my own Grandpa” – Über Christopher Nolans Tenet

Film oder Literatur? Max hat sich für euch "Tenet" angeschaut.
| Max Klas |

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Warner Bros. Pictures

Vor dem Film ist nach dem Film ist vor dem Film

Den Großteil der Pressetour für Christopher Nolans neuen Film Tenet dominierte die Entscheidung des Regisseurs, seinen neuesten Blockbuster während einer globalen Pandemie in die Kinos zu bringen. Während manche Studios ihre Filme direkt auf Streaming-Plattformen oder Mietservices veröffentlichten, darunter auch Blockbuster wie Disneys Mulan-Remake, bestand der Brite – lange ein selbst erklärter Verfechter und Schutzherr des Kinoerlebnisses – auf eine Kinopremiere. 

Dabei wurde der Film zwei mal verschoben: Der ursprüngliche Start im Juli wurde erst auf August, dann auf September verlegt. Dank gelockerter Regeln brachte Warner Brother’s den Sci-Fi Thriller nun in die Kinos, in der Hoffnung, dass Fans und vom Lagerkoller Gelangweilte das 200 Millionen Dollar Budget wieder einspielen würden. Wird Tenet diesen äußeren Umständen und seinem Status als “Corona Kampfflagge” gerecht?

(Das folgende ist größtenteils Spoilerfrei gehalten. Aber vertraut mir, ihr würdet es vermutlich sowieso nicht verstehen.)

Tick Tock

Die Antwort wäre ein müdes “nicht wirklich”. Aber ich weiß auch nicht, wohin die Standarte getragen werden soll. Tenet fühlt sich oft an, wie das unausweichliche Ergebnis von Christopher Nolans Interessen und Desinteressen. Was übersetzt heißt, dass Christian Drosten enttäuscht wäre, finge man sich für diesen Film Corona ein. Denn Tenet fühlt sich über 150 Minuten oft so an, wie der Versuch, ein Puzzle und einen Rubik’s Cube gleichzeitig zu lösen, während ein Hans-Zimmer-Imitator einem das Trommelfell zerfetzt. Also pures Cinema.

Grob zusammengefasst handelt Tenet von dem Versuch des Agenten, entschuldige, des Protagonisten (John David Washington), einen dritten Weltkrieg zu verhindern. Dabei geht es nicht um einen nuklearen Holocaust (wobei der Bösewicht trotzdem Russe ist), sondern um eine zeitliche Umkehrung, welche die Welt auslöschen würde.  Um dies zu verhindern, müssen er und sein Partner Neil (Robert Pattinson) einem russischen Oligarchen (Kenneth Branagh, denn jeder russische Milliardär in Filmen muss sowohl Oligarch sein als auch von einem Briten gespielt werden) einen von neun MacGuffins abjagen, um die Welt zu retten. Der Versuch, den Film darüber hinaus zu erklären, würde zu viel verraten und mich nur erneut verwirren. Aber trotz der möglichen Migräne und des unausweichlichen Gehörsturzes den einem der Film verpasst, könnte dies zumindest unterhaltsam sein. Tenet ist das aber eher selten.

Wer mit dem Gesamtwerk Nolans einigermaßen vertraut ist, wird dies irgendwo kommen gesehen haben. Die alten Hits spielen alle: Eine Frau die entweder tot oder Mutter ist und sonst nichts (ein 1,90m check in Form von Elizabeth Debicki). Eine Handlung die auf Zeit – Wissenschaft oder ZeitMAGIC beruht (check und kcehc). Michael Cain (check, in der Rolle als buchstäblicher “Sir Michael”, denn jede Scharade wäre vermutlich überflüssig). Und dann wäre da noch die Neuerung, die natürliche Evolution von Christopher Nolans Umgang mit wissenschaftlichen Themen: der Film ist pure Exposition. Wo frühere Filme noch versuchten, die Existenz von Emotionen oder Motivation wissenschaftlich zu rechtfertigen (man denke an Liebe in Interstellar), sind diese hier größtenteils abwesend. Es gibt beinahe keinen Dialog, der nicht den Wikipediaeintrag eines komplexen temporalen Paradoxons oder physikalischen Problems durchkaut. Dabei zeigt der Film schon sehr früh seine Hand. 

Can you feel it, Mr. Krabs Protagonist?

Denn Tenet weiß, dass man ihn nicht ganz verstehen wird. Christopher Nolan hat mir in die Augen gesehen und mich als den Dummkopf erkannt, der ich auch bin. Er weiß, dass ich mir nach dem Kinobesuch auf YouTube “TENET EXPLAINED”- Videos angucken kann, deren Macher vermutlich die eigentliche Zielgruppe des Films darstellen. Er bietet mir und meinesgleichen aber gnädigerweise früh einen Ausweg. Vorbei sind die Zeiten, in denen Wurmlöcher mit einem gefalteten Papier und einem Bleistift erklärt wurden. Als dem Protagonisten (was im Film anstelle eines Namens verwendet wird, da das persönliche nicht relevant zu sein scheint) von einer Wissenschaftlerin (Clémence Poésy) die Theorie hinter der verschiedenartigen Bewegung der Zeit erklärt werden soll, tritt der Film mit beiden Füßen auf die Bremse. Sie beginnt von der invertierten Entropie der untersuchten Gegenstände zu erzählen, dass man invertierte Kugeln einfängt und nicht abfeuert, spürt dann aber die nahenden Fackeln und Mistgabeln des Kinopublikums. Sie korrigiert sich: “Versuchen sie nicht es zu verstehen. Fühlen sie es.” Die Massen sind kurz besänftigt. Fühlen können wir. 

Das heißt nicht, dass derartige Erklärungen ausbleiben. Ganz im Gegenteil. Nach diesem kurzen Zugeständnis an das Auffassungsvermögen des Pöbels laufen die TED-Talks munter weiter. Man fühlt sich beizeiten an das grinsende Schulterzucken von Deadpool erinnert. Man belächelt etwas, nur um es kurz darauf selbst zu tun; wer nicht lacht, hat es nicht verstanden. In einem besonders trügerischen Moment setzt Neal (der dem Protagonisten peinlich berührt gesteht, dass er einen Master in Physik hat) zu einer Erklärung temporaler Parallelen an. Nur wird er rüpelhaft von der Kamera unterbrochen, welche plötzlich zu einem schwarzen Bildschirm schneidet. Wenn das Bild zurückkehrt, ist Neal gerade fertig, man will ja niemanden mit Details langweilen. Wenige Minuten später beginnt die nächste Vorlesung.

Explosionen in der Bücherei

Der eigentliche Antagonist des Films kommt in diesen Predigten auch häufig zur Geltung. Dieser ist nicht der russische Waffenhändler Sator, sondern das Sounddesign des Filmes. Um sicher zu gehen, dass man auch wirklich nichts verstehen kann, wird der Film nicht musikalisch begleitet, sondern dominiert. In der Rolle als Bizarro-Hans Zimmer ist Ludwig Göranssons Soundtrack so tosend eingespielt, dass es oft keinen Sinn ergibt, zuzuhören. Der Fakt, dass die Charaktere oft in Masken rumlaufen, hilft dabei auch keineswegs. Wenn in einem Nolan Film maskierte Männer auf dem Bildschirm unverständlich reden, dann könnte zumindest einer von ihnen Tom Hardy sein. Der Film wirkt, als wolle er sich in dem Wissen verstecken, dass er zu verworren ist, um verstanden zu werden. Gleichzeitig kann er nicht das Maul halten. 

Es ist frustrierend, denn es scheint, als könne sich der Film nicht vor sich selbst retten. Würde sich der Film trauen, sich vollends in seine absurderen Elemente zu stürzen, wäre vielleicht noch ein Roger-Moore-Bond-Film dabei herumgekommen. Was bleibt, ist die Verschwendung teilweise großartiger Action-Set Pieces. In den hauptsächlich von praktischen Effekten dargestellten verschiedenen Überfällen, Verfolgungsjagden und Schießereien zeigen sich überraschenderweise die Stärken von Nolans Film. Das Einbauen der invertierten Zeit stört hier nicht, sondern kann sich entfalten. Wenn man nicht genau versteht, was passiert, sieht es, wenn man die Augen zusammenkneift, schlimmstenfalls aus wie ein Wushu-Film.

Aber man merkt schnell, dass diese starken Höhepunkte nur Anlass geben, noch mehr zu erklären. Die Freude an den ruhigen Explosionen macht Platz für die nächste Physikstunde. Da man sowieso erst erklärt bekommt, was eigentlich passiert (oder was geworden sein wird), wartet man die Erleuchtung ab und hangelt sich von einer Action-Oase zur nächsten. Man wurde gebeten, zu fühlen und nicht zu verstehen, aber dieser Film erschwert einem beides.

Fazit

Das Problem bei der Sache ist auch, dass man die Wendungen oft kommen sehen kann, da bei dem Mangel an charakterlicher Untermalung nicht sonderlich viele Möglichkeiten für die Handlung offen bleiben. Dass der technische Aspekt kompliziert ist, macht das eigentliche Geschehen nicht spannender. Während Christopher Nolan sein Auto auf den einzigen Baum in der Wüste zufährt, erklärt er, wie der Motor funktioniert. Man fragt sich, wo die Prioritäten liegen. Der Film versteht “Antrieb” nur als Fortbewegungsmittel, nicht als Motivation, die vielleicht auch Interesse wecken könnte. Die große Motivationsoffenbarung gegen Ende hin stellt dabei einen so peinlichen Versuch einer Anbiederung an politische Relevanz dar, dass man sich fast fremdschämen müsste. 

Tenet bleibt in vielerlei Hinsicht eine Enttäuschung. Man sieht an genug Stellen das Potenzial, um seine Verschwendung zu bedauern. Aber nach der soliden Verwendung von Zeit als Motiv in Inception oder Dunkirk scheint sich Nolan hier verrannt zu haben. Kurze Momente, die Lust auf mehr machen könnten, ersticken in langatmiger Beinahe-Wissenschaft. Das “wie” so ausführlich es geht zu erklären, täuscht nicht darüber hinweg, dass das “warum” deutlich auf der Strecke bleibt. Christopher Nolan erklärt uns für zweieinhalb Stunden die Zeit, jedoch nur nicht, warum er sie größtenteils verschwendet.

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