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Nach dem Ende – Ein Kommentar zu Paul Schraders „First Reformed“

Wer sich bei dem düsteren Welter noch weiter die Laune drücken möchte wird bei Paul Schraders letztem Film gut bedient.
| Max Klas |

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

A24

Mit First Reformed hat Paul Schrader Ingmar Bergmans Licht im Winter (1963) in das 21. Jahrhundert gebracht. Im Klassiker des schwedischen Regisseurs wird ein Pfarrer einer kleinen Kirche gebeten, den Ehemann einer Frau aus seiner Gemeinde zu beraten. Dieser ist angesichts des möglichen Atomkriegs niedergeschlagen und sieht keine Hoffnung für die Zukunft der Welt. Trotz der Bemühungen des Pfarrers nimmt sich der Mann kurz darauf das Leben. Der Film erzählt die Geschichte eines Mannes, der selbst ohne jede Hoffnung ist und trotzdem angehalten wird, anderen zu helfen. 

In der modernen Fassung wird der Pastor einer kleinen Gemeinde, Ernst Toller (Ethan Hawke), ebenfalls von der schwangeren Mary (Amanda Seyfried) gebeten, sich ihres Mannes Michael (Phillip Ettinger) anzunehmen. Dieser sei tief deprimiert und wolle die Schwangerschaft abbrechen. Toller selbst steckt in einer tiefen Glaubenskrise und leidet wie die Geistlichen aus Bergmanns Licht oder Bressons Tagebuch eines Landpfarrers (1951) an einer siechenden Krankheit, die er ignoriert. 

In dem Treffen mit Michael offenbart dieser Toller den Grund für seine Verzweiflung, den für ihn unausweichlich eintreffenden Kollaps des Ökosystems – die moderne Angst vor den Nuklearraketen in amerikanischen und russischen Silos. Er rechnet vor, wie alt seine ungeborene Tochter sein wird, wenn die OECD Prognosen 2050 eintreten und fragt, wie er ihren vorwurfsvollen Fragen begegnen soll. “Kann Gott uns verzeihen, was wir der Erde angetan haben?”, fragt er Toller. Dieser beschwichtigt Michael und erklärt, dass die Verzweiflung, die Michael nun zu übermannen droht, schon immer als ständiger Begleiter der Menschen da war. Toller, der die Unterhaltung später als “berauschend” dokumentiert, vergleicht diese mit der biblischen Szene von Jakobs Ringen mit dem Engel. In der Bibel kann Jakob sich behaupten und ringt seinem Kontrahenten – dem Erzengel Michael – einen Segen ab. Doch in First Reformed gibt es keine Auflösung am Ende des Kampfes. Das Ergebnis wird vertagt – obwohl beide den Ausgang zu kennen scheinen. Anders als der biblische Michael segnet sein Namensvetter im Film seinen Kontrahenten nicht, sondern legt ihm weitere Bürden auf.

Allein mit der Wahrheit

Es ist gerade die Unausweichlichkeit der kommenden Katastrophe die Michael zu schaffen macht und die Atmospähre des Films prägt. First Reformed skizziert das Kommen der Tage wie das Ablaufen der Zeit, akzeptiert und unausweichlich. In einem Artikel fürs Protean-Magazin diskutierte Michael Malloy vor ein paar Jahren eine geläufige Fehlannahme in der Diskussion um den Klimawandel. Er stellt dabei heraus, dass es selbst beim Überschreiten verschiedenster Werte kein direktes Ende gäbe. Das Erreichen bestimmter Punkte irreversiblen Wandels bedeutet nicht, dass bestimmte Teile der Natur oder Bevölkerung mit einem Augenblick tot umfallen oder in Flammen aufgehen würden. Keine Apokalypse, kein jüngstes Gericht sondern ein langer Verfall in der Gewissheit verpasster Chancen beschreiben den worst case seiner Meinung nach besser. Dies ist zum einen ermutigend (oder kommt dem recht nahe), da sich im schleichenden Wandel auch noch ein Spielraum befindet, in dem man die Zukunft – wenn man sie auch nicht verhindern – zumindest abmildern kann. Zum anderen gibt er Leuten die sich für diese kleinen Verbesserungen und Hoffnungsschimmer einsetzen auch weitere Möglichkeiten, ihre Bemühungen scheitern zu sehen. Überall sieht man das Trauerspiel der Neuzeit, den Verfall und die Visionen von Ruinen.

First Reformeds Charaktere wollen die Stille des langen Verfalls brechen. In einem emotionalen Ausbruch fleht er seinen Vorgesetzten Jeffers (Cedric the Entertainer), Pastor der kommerziellen Megakirche Abundant Life, an: ”Somebody has to do something!” Die vage Formulierung, die Tat und Täter offen lässt, lässt die gewohnte Hilflosigkeit vor der Größe des Problems anklingen. Edward Balq (Michael Gaston) ist als CEO eines Energiekonzerns unter den Top-Verschmutzern des Planeten gelistet, aber er ist auch der größte Geldgeber der Kirche, also wird Toller abgewimmelt. Das Wissen um die Folgen der Untätigkeit wird konfrontiert mit einem desinteressierten Schulterzucken. Balq kauft sich den Ablass in der kommerzialisierten Kirche, wo durch ihn das Licht an bleiben kann, während es draußen langsam ausgehen wird. 

Explosion 

Michaels Verzweiflung wird für Toller, angetrieben durch seine frustrierenden Treffen mit Jeffers und Balq, zunehmend nachvollziehbar. Die Hebel, die zu einer Veränderung führen könnten, liegen außerhalb seiner Reichweite. Und jene, die durch ihre Macht Einfluss nehmen könnten, verdanken diese Macht der Aufrechterhaltung des Problems – oder haben kein Interesse daran etwas zu ändern. Die Worte des Trappistenmönches Thomas Merton, dessen Buch auf Tollers Nachttisch liegt, hängen über der Erzählung; eine Antwort lange vorher zu Papier gebracht und trotzdem zutreffend: “Ich weiß, dass sich nichts ändern wird und das es keine Hoffnung gibt.” Michael erliegt dieser Hoffnungslosigkeit kurz nach seinem Treffen mit Toller und erschießt sich in einem kleinen Waldstück. Seine Mission fällt auf einen nihilistischen, todkranken Pastor.

In einem Interview bezeichnete Schrader den jetzigen Moment als einen, in dem man sich für Hoffnung entscheiden muss, selbst wenn es keine gibt. Er sieht es als die Notwendigkeit, der eigenen Hoffnung Schmied zu werden. Und in diesem ebenso erdrückenden wie nachvollziehbaren Nihilismus, einer Philosophie über die Nichtigkeit des Seins, regt sich etwas in Toller. Es wäre zu einfach, zu rosig (und zu hoffnungsvoll?) die Veränderung des Pastors als die Erschaffung von Hoffnung zu beschreiben. Auch bringt der Wille zur Veränderung natürlich diese nicht zwingend herbei. Also appelliert Toller an Männer, die sich nicht interessieren, um ein Problem zu lösen, das viel größer ist als er. Im anhaltenden Scheitern etwas zu ändern und seiner ebenfalls bleibenden Glaubenskrise erreicht Toller eine Sackgasse. Er bewaffnet sich mit einer Sprengstoffweste, die Michael kurz vor seinem Tod anfertigte.  Nach Michaels Mission, seiner Verzweiflung, wird auch seine Resolution schließlich die Tollers. Der Missionar will Märtyrer werden.

Hoffnung wider Wissen

Wenig an diesem Film ist erbaulich. Nach dem ersten Sehen schlief ich schlechter als nach jedem Horrorfilm, denn wissenschaftliche Fakten sind vermutlich gruseliger als Zombies oder Riesenhaie. Erstere gibt es nicht und letztere hätten im Fall globaler Erwärmung vermutlich ähnlich schlechte Karten wie ich. Die Fakten bleiben aber. Trotzdem kehre ich oft zu diesem Film zurück. Die düstere Farbgebung und das fast komplette Ausbleiben von Filmmusik lassen die Zuschauer alleine, so alleine wie Toller sich lange fühlen muss. Er und Michael suchen nach dem Scheitern ihres Aktivismus den Weg in die Selbstzerstörung, doch zumindest Toller wird vom Eindringen der Zukunft zunächst abgehalten. Die Anwesenheit der mittlerweile hochschwangeren Mary hindert ihn daran, eine Jubiläumsfeier seiner Kirche, an der auch Balq und Jeffers teilnehmen, zu sprengen. Der Film endet vielleicht auf etwas, was man eine Annäherung an Hoffnung nennen kann: selbst im tiefsten Nihilismus und vielleicht gegen besseres Wissen, kann man sich immer noch für die Zukunft entscheiden, so schlecht ihre Chancen auch stehen müssen. 

Man kann sich darauf einstellen, dass der Klimawandel als Motiv immer mehr den Weg von der Wissenschaft in die Fiktion machen wird. Von einem relativ kleinen Film wie First Reformed zu großen Blockbustern wie Tenet wird der Klimawandel, seine Folgen, seine Bewältigung oder dessen Ausbleiben immer mehr an Präsenz gewinnen. Ein Streifen wie Schraders ist dabei ein guter Einblick, dass die Schäden dieses Wandels nicht nur an Bränden und Überflutungen, sondern auch in psychischen Folgen zu messen ist. Dies ist teilweise extrem deprimierend anzusehen, aber gerade dadurch so wichtig. Schrader bleibt dabei seinem ausgesprochen Prinzip bis zum Ende treu. Wenn sich die Trostlosigkeit doch noch aufhellt, wirkt diese Hoffnung zu schön um wahr zu sein – vermutlich weil sie es auch ist. Aber man freut sich oft mehr über Dinge, die schon verloren geglaubt waren.

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