Say… ello? Wir testen ein neues soziales Netzwerk
Wie aus dem Nichts wird gerade ein neues soziales Netzwerk (das gar nicht so neu ist) beworben und von den Medien als das neue Facebook bezeichnet. Was an dieser starken Aussage dran ist, wollten wir wissen und haben uns umgehend eine Einladung zu „ello“ besorgt und uns das ganze einmal angesehen. Hat das soziale Netzwerk das Zeug zum Facebook-Ersatz?
Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Wie aus dem Nichts wird gerade ein neues soziales Netzwerk (das gar nicht so neu ist) beworben und von den Medien als das neue Facebook bezeichnet. Was an dieser starken Aussage dran ist, wollten wir wissen, haben uns umgehend eine Einladung zu „ello“ besorgt und uns das ganze einmal angesehen. Hat das soziale Netzwerk das Zeug zum Facebook-Ersatz?
Einfach beitreten, so wie man bei Facebook und Co vorgehen würde, das kann man bei ello noch nicht. Der Dienst befindet sich gerade in einer offenen Beta-Phase, und man benötigt jemanden, der schon einen ello-Account besitzt, um von dieser Person eingeladen zu werden. Bereits diese Exklusivität lässt ello dasselbe Mysterium ausstrahlen, wie einst Google+, zu dem man ebenfalls eine Einladung brauchte. Kurzerhand fragten wir bei einem Musikblog nach, und dankenswerterweise wurden wir eingeladen: Das Abenteuer konnte also losgehen.
Warum ello?
Eine der größten Fragen die wir uns von Anfang an stellten lautet: Was macht ello besser als Facebook und Twitter?
Laut den Machern von ello ist das vor Allem eines: das Versprechen, die Nutzerdaten nicht auszuwerten oder zu verkaufen.
We believe a social network can be a tool for empowerment. Not a tool to deceive, coerce and manipulate — but a place to connect, create and celebrate life.
You are not a product.
Ein erster Eindruck
Vermutlich ist das Erste, was bei ello auffällt, die gähnende Leere und die mehr als minimalistische Gestaltung der Seite. Es wird komplett auf Farben verzichtet, als Schriftart wird eine sehr an Schreibmaschinen erinnernde Schrift eingesetzt und anders als bei Facebook und Twitter gibt es kaum Buttons oder Schalflächen. So reduziert die Seite auch ist, übersichtlich geht anders! Man muss schon eine Weile suchen, bis man die wichtigen Funktionen gefunden hat, und eine Navigation, die zum Beispiel nur einen Pfeil am rechten Bildrand bietet, ohne, dass man wüsste, wohin der Pfeil führt, ist heutzutage nicht angemessen. Der Login-Bereich ist jedoch etwas leichter gefunden und als nächstes blicken wir auf eine (ebenfalls) reduzierte Seite, die an die Timeline von Facebook oder Twitter erinnert. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus: Das Prinzip ist auch das Gleiche. Ello bietet die Möglichkeit, zwischen zwei Arten von Timeline hin und her zu schalten. Zum einen ist da der „Friends“ [Freunde]-Bereich, auf dem man nur die neuesten Meldungen von befreundeten Mitgliedern zu sehen bekommt. Dann gibt es die Timeline mit der Kategorie „Noise“ [Lärm]; Hier kann man alle Timelines sammeln, die man noch irgendwie abonnieren möchte, die jedoch nicht im täglichen Feed zu sehen sein sollen. Zusammenfassend: Der erste Eindruck ist etwas ernüchternd. So toll ist ello nicht, vor allem etwas unübersichtlich und von der Wirkung her (zum Beispiel, was die Schrift angeht) recht extravagant.
Einstellungen und Nutzererfahrung
Nach ein paar Minuten der Orientierung wendeten wir uns den leider unbeschrifteten Buttons am oberen linken Bildrand zu und fanden heraus, dass sich dahinter die Privatsphäre-Einstellungen und eine Mitglieder-Suche befinden. Die Einstellungen sind im Gegensatz zum riesigen Dschungel an Optionen von Facebook sehr übersichtlich und ein wenig lückenhaft. So kann man keine Entscheidungen zur Datensicherheit oder dergleichen treffen, sondern lediglich einstellen, ob das Profil öffentlich sein soll, oder privat. Das gibt einen deutlichen Abzug, was die Möglichkeit der Einstellung angeht.
ello verdient jedoch ein großes Lob für eine andere Funktion: Das Hinzufügen von Bildern und Dateien per Drag & Drop. Das ist eine Sache, die Facebook auch nach Jahren noch nicht beherrscht und welche die Nutzererfahrung deutlich verbessern würde. Was hierbei jedoch wieder ein klein wenig nervt, ist die Tatsache, dass es erneut keine Beschriftungen oder Hilfen gibt. Der Minimalismus von ellos Design ist an dieser Stelle zugleich Segen und Fluch.
Funktionen
Was kann ello? Ganz einfach: nicht viel! Man kann Benutzern folgen und sie in der Timeline erwähnen (@BenutzerXY) und man kann eigene Posts kreieren. Hier hört der Funktionsumfang jedoch schon auf. Gerade der private Chat, welcher Facebook für die meisten Nutzer so reizvoll macht, fehlt sehr. Außerdem besteht keine Möglichkeit, eine öffentliche mit einer privaten Seite zu verknüpfen, oder etwa Galerien anzulegen. Positiv fällt hingegen auf, dass ello nicht so viel fragt. Lieblingsbuch? Hausnummer? Mädchenname der Mutter? All diese unnützen Dinge sind in ello fehl am Platze, während Facebook fast täglich damit nervt. Außerdem kann man bei ello Namen unter Pseudonym angeben, und es gibt keine Kontrolle der Inhalte. Aber das nur nebenbei gesagt.
Ello als Facebook-Ersatz?
Nein! Die Funktionen, die Facebook heutzutage so unersetzlich machen, bietet ello nicht. Sas sind die Nachrichten-Funktion und die Möglichkeit Gruppen und Seiten anzulegen. Außerdem hat es das Problem eines jeden neuen Netzwerkes: Die Leere! Wenn noch keine Freunde, Bekannte etc. da sind, was soll man dann in einem sozialen Netzwerk? Das bedeutet, jemand muss den ersten Schritt wagen und jemand anderes den zweiten und so weiter. Ich vermute, dass ello nur deshalb einen Medienrummel veranstaltet, da es Eines bietet, was die Facebook-Nutzer schon seit langem ärgert: Die Sicherheit der Daten. Ich befürchte, die Nutzer von Facebook und Google+ warten einfach auf die erstbeste Gelegenheit um das sinkende (überwachte) Schiff zu verlassen und da kam ihnen ello gerade recht, es hätte jedoch auch jedes andere soziale Netzwerk treffen können.
Was kann verbessert werden, damit ello zum Erfolg wird?
Ich glaube nicht, dass ello jemals einen großen Erfolg erleben wird (und ich hoffe, ich leiste mir gerade keine Prognose im Stil von „dieses Internet wird sich niemals durchsetzen“), doch einige Dinge könnten optimiert werden. So fällt zum Beispiel sofort auf, dass ello von Designern und Künstlern geleitet wird, denn das Design der Seite macht an einigen Stellen Abstriche auf Seiten der Bedienbarkeit und wirkt irgendwie zu künstlerisch. Man fühlt sich gleich als „Hipster“, wenn man sich inmitten der großen, weißen Flächen auf die Suche nach einer Funktion begibt und zwar immer denkt „was sieht das alles modern aus“, aber gleichzeitig diese Funktion niemals findet. Außerdem sollte ello den Nutzern gegenüber offener sein – so kam vor einigen Tagen heraus, dass ello nicht nur ein Privatprojekt ist, sondern dass es von einer Firma finanziert wurde, und man sich fragen muss, ob die Nutzerdaten nicht bereits verkauft wurden. Außerdem ist die Frage, wie kostenlos ello auf die Dauer bleiben wird, und ob nicht für jede Zusatzfunktion Kosten anfallen werden. Wir sich selbst ein Bild von ello machen möchte:
Wir haben für seitenwaelzer.de dort eine öffentliche Seite eingerichtet, diese Seite findet ihr hier.
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Robin Thier
Gründer von seitenwaelzer, lebt in Münster und beschäftigt sich in seiner freien Zeit mit Bildbearbeitung, Webseitengestaltung, Filmdrehs oder dem Schreiben von Artikeln. Kurz: Pixelschubser.
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